Erstellt am: 4. 10. 2011 - 13:00 Uhr
Von "Mohren" und Hemden
Eine Geschichte, so unglaublich, so unerklärlich, so abstoßend, so anziehend, so unmenschlich, so rassistisch, so antiquiert, so aktuell. Eine Geschichte, die ein Wiener Mythos wurde und das gesamte Europa der frühen Aufklärung wiederspiegelt. Es handelt sich um die Lebensgeschichte eines adligen Afrikaners, später um die eines Kaffeemohren, Vorzeigehöflings, Bürgers und Freimaurers, dessen Leben in der Perversion europäischen Rassismus gipfelte: Der Zurschaustellung seiner sterblichen Überreste.
Seit 29. September 2011 zeigt das Wien Museum
Angelo Soliman -Ein Afrikaner in Wien
Die Ausstellung läuft bis zum 29. Jänner 2012
Das Leben Angelo Solimans, das nur in Fragmenten rekonstruiert werden kann, ist nun Ausgangs- und Mittelpunkt einer Ausstellung im Wien Museum. Wie aber wird eine „Wiener Kuriosität“ zu einem musealen Thema, das eine ganze Sonderausstellung rechtfertigt und füllt? Vor allem durch das ausgezeichnete Kuratorenteam, dem auch der Journalist und Historiker Philip Blom angehört. Ihm ist es zu verdanken, dass die Geschichte Solimans in einen weiteren Kontext eingebettet wird und Querverweise zur gesamteuropäischen Kulturgeschichte hergestellt werden.
Von guten Wilden und abstoßender Wildnis
Beginnend mit der Darstellung der beiden möglichen Herkunftsregionen Solimans in Zentralost- bzw. Westafrika, wird nicht nur eine geographische Eingrenzung vorgenommen, sondern die europäische Wahrnehmung dieser Region wiedergegeben. So wird beispielhaft die Ambivalenz zwischen dem noblen Wilden dargestellt, der anmutig und naturverbunden in einer unbekannten, exotischen Wildnis einige Evolutionsstufen unter den Europäern glücklich, weil unreflektiert lebt. Auf der anderen Seite wird die Andersartigkeit der wilden Afrikaner benutzt, um sich selbst als Europäer darzustellen und zu überhöhen.
Wien Museum
Ein wegweisender Teil der Ausstellung, sowie der Begleitpublikation ist die Aufarbeitung des europäischen Sklavenhandels über das Mittelmeer. Dieser Bereich europäischer Geschichte geht neben den haarsträubenden Berichten des amerikanischen Sklavenhandels fast unter. Diese Verbrechen, begangen von Europäern, Arabern und Türken gleichermaßen, stehen den amerikanischen jedoch in nichts nach und werden hier offensiv behandelt.
Soliman in Europa: Lebenslauf der perfekten Integration
Mit seiner Ankunft in Europa 1729 beginnt man an der perfekten Integrationsgeschichte Solimans zu schreiben. In Sizilien wird er getauft (man geht davon aus, dass er Moslem war), verkauft und macht seinen Weg durch europäische Höfe. Einen Weg vom Kaffeemohren zum Diener, Lehrer und Gelehrten, bis er 1754 nach Wien umsiedelt und als Kammerdiener Verbindungen zur Wiener Oberschicht knüpfte.
Als Vorzeigeausländer galt er wegen seiner Sprachkenntnisse, seinem Kartenspiel und seinem breiten naturwissenschaftlichen Wissen. All dies eröffnete ihm den Weg in Wiens gehobene Kreise. In der Freimaurerloge war er mit Mozart befreundet, im Alltag als intelligenter Gesprächspartner, bürgerlicher Ehemann und Familienvater geschätzt. So wird Soliman zum komplett assimilierten und integrierten Teil der Wiener Gesellschaft. All dies sind Wahrnehmungen aus der damaligen Zeit heraus. Dort wurde er als perfektes Beispiel eines „zivilisierten“ bon sauvage gesehen. Als ein menschliches Wesen, das nur ausreichender Zuneigung, Aufmerksamkeit, Bildung und Züchtigung bedarf, um sich einem Europäer kulturell anzunähern.
Wien Museum
Voyeurismus als wissenschaftliches Prinzip
Bereits wenige Stunden nach dem Tod Angelo Solimans 1796 wird von seinem Kopf ein Gipsabguss genommen, und sein Leichnam beschlagnahmt. Damit beginnt das bekannteste und düsterste Kapitel in seiner Lebensgeschichte. Denn Soliman wird wissenschaftliches „Forschungsobjekt“. Zum einen wird er dem bekannten Phrenologen Dr. Gall zum Objekt seiner evolutionistischen und rassistischen Schädelvermessung (aus der Gall auf biologischem Wege soziales Verhalten herleitet). Zum anderen wird Soliman die Haut abgezogen und diese auf einen Holztorso gespannt. Erst danach wird der geschändete Köper beigelegt. Soliman wird in einer primitiven afrikanischen Tracht im Wiener Naturalienkabinett ausgestellt.
1848, als die Aufklärung bereits hundert Jahre in Europa die Wissenschaft bereicherte, verbrannte das abstoßende und die Lebensleistung Solimans negierende Zurschaustellung „Zeugnis“ seiner afrikanischen Natur.
So begründet sich der Mythos Soliman, eine schauerliche, aber wahre moderne Sage, die bis heute in das Wien der Gegenwart strahlt. Gerade im zwanzigsten Jahrhundert findet Soliman, trotz überschaubarer Quellen, eine breite Rezeption in den darstellenden und bildenden Künsten sowie der Literatur. Robert Musil nimmt Soliman in seinen „Mann ohne Eigenschaften“ auf und versetzt ihn in ein rassistisch geprägtes Umfeld. Ab 2000 wird Soliman zu einer Kunstfigur, die seit dem Mozartjahr 2006 auch als Ikone der schwarzen österreichischen Diaspora gesehen werden kann.
Mit der sehenswerten Ausstellung im Wien Museum werden nicht nur die Mythen um das Konstrukt Angelo Soliman aufgezeigt, erklärt und kontextualisiert, es wird auch der Bogen zu modernem positivem wie negativem Rassismus gespannt. Der letzte Raum der Ausstellung ist dabei auch der Verweis auf die Aktualität der Person Soliman. Acht in Österreich lebende Afrikaner und afrikanische Österreicher berichten über ihre Erfahrung im Bezug auf Soliman, Afrika und Österreich. So meint Lana Abioudun Bibby, der seit 2005 in Wien wohnt, zu seiner Lebensrealität: If Austrians show that kind of love they are showing to their dogs to us, we can make it here.