Erstellt am: 3. 10. 2011 - 11:18 Uhr
The trick is to keep breathing
"Schlosserei nix?
Wüßt net aussi? Hast Angst?
Licht an oder aus?" - "Wurscht."
Roman Kogler (gespielt von Thomas Schubert) sitzt auf seinem Bett in der Jugendstrafanstalt und raucht eine selbst gewutzelte Zigarettte. Der Justizwachebeamte schließt die schwere Zellentür hinter sich und lässt das Licht brennen. In Karl Markovics' Regiedebüt "Atmen" kommunizieren die Menschen wortkarg miteinander. Umso eindringlicher ist die Bildsprache von Kameramann Martin Gschlacht. Zehen schlagen eine Zeitung auf. Ein Wecker piept im Dunkeln. Das indirekte Versprechen der offenen Straße zu Beginn des Films erfüllt sich auf eigensinnige Weise: Bei seinen Freigängen ist Roman ständig in Bewegung. Züge fahren in Bahnhöfe, U-Bahnen rasen an Menschen vorbei. Was in Roman vorgeht, mag man an seinem Gesicht deuten. Kurz vor seiner nächsten Anhörung um Entlassung beginnt er bei der Bestattung zu arbeiten.
Die fiktive Geschichte des jugendlichen Straftäters, die Karl Markovics als Drehbuch verfasst und verfilmt hat, ist noch vor dem Kinostart hierzulande bis nach Jerusalem gereist. Ausgezeichnet wurde "Atmen" bereits nach der Uraufführung in Cannes bei den Filmfestspielen mit dem Preis "Label Europa Cinema" als bester europäischer Spielfilm. Das Label erleichtert die Vertriebsmöglichkeiten für die Verleiher.
In Sarajevo drückte Angelina Jolie dann im Sommer dem Hauptdarsteller Thomas Schubert den Heart of Sarajevo Award als besten Schauspieler in die Hand. Während der israelische Regisseur Ari Folman, dessen "Waltz with Bashir" für einen Auslandsoscar nominiert war, Karl Markovics zum besten Film gratulierte. Hierzulande hat sich die zuständige Jury vor kurzem entschieden, "Atmen" ins Rennen um die Nominierung für den Auslandsoscar zu schicken.
Die Erwartungshaltung darf also hoch sein. Selbst bei jenen, die dem österreichischen Spielfilm mit Vorbehalt nur in Kinofoyers an Plakaten begegnen und jetzt auf den möglichen nächsten österreichischen Auslandsoscar-Beitrag neugierig sind. Freilich: Vergnüglich im Sinne von heiter ist an "Atmen" höchstens der eine oder andere Dialog. "Die richtige Leiche im richtigen Sarg zur richtigen Zeit am richtigen Ort", sagt da ein Bestatter, das sei schon alles, was gefordert wäre. Eine Tiefstapelei.
Thimfilm
Im Tabubereich
Richtig hineingezogen in die Geschichte wird man nicht zuletzt durch die Schauplätze, die Spannung aufbauen. Das alltägliche Prozedere in der Jugendstrafanstalt mag noch vorstellbar sein, das Wesen eines Bestattungsbetriebs in Wien - und nicht jenes eines Familienbetriebs in einer Kleinstadt in den USA mit ihren offen aufgebahrten, geschminkten Verstorbenen - ist einem fern. War es Nikolaus Geyrhalter, der in "Abendland" den Blick auf den Verbrennungsvorgang im Krematorium richtete und Urne neben Urne ins Regal schlichten ließ, so weitet Markovics das Bild aus. "Atmen" zeigt, was zwischen dem Zeitpunkt des Todes und der kleinen beschrifteten Metalldose passiert, die für einen einstigen Menschen steht.
Die Geschichte betritt mit Roman einen Bereich, den unsere Gesellschaft ausblendet und tabuisiert. Die Arbeit mit Toten ist dem Kinopublikum ebenso fremd wie Roman. Tote wollen ihr letztes Festkleid überzogen bekommen, Leichen umgebettet werden und manchmal ruft die Polizei die Männer der Bestattung zu früh.
Es ist die Wiederholung einer emotionalen Ausnahmesituation, in immer neuen Variationen, die den Arbeitstag bestimmt. Noch warme Körper, nackte Körper, und vor allem stets fremde Körper konfrontieren Roman mit seiner eigenen Existenz. Als eine Tote den gleichen Nachnamen trägt wie er, wird der teilnahmslose junge Mann mit dem Bubengesicht aktiv.
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Intuition und Menschenkenntnis
Eine diffzille Coming-of-age-Geschichte verknüpft Karl Markovics mit einer konkreten Auseinandersetzung mit dem Tod, die konsequent realistisch gehalten ist. Nur einmal erlaubt sich der Regisseur Markovics eine dick geschwungene poetische Metapher, die als Vögelchen verirrt gegen die Wände des Krematoriums ankämpft. Und dann mit Romans Hilfe ins Freie fliegt.
Der Schauspieler Karl Markovics hat sich in seiner ersten Film-Regiearbeit für einen Laiendarsteller in der Hauptrolle entschieden. Thomas Schubert hat nicht nur ein Gesicht, das man gerne anschaut, sondern trifft die Verstörung, die Angst und die Wut. Mit Gewissheit lässt sich nie so richtig voraussagen, wie weit Roman Kogler sein Innenleben für sich behält und unterdrückt, wie er seinen ganzen Körper im Schwimmbecken am Grund unter Wasser zu halten versucht. Irgendwann, das ist klar, wird es Schwapp machen. In der Konfrontation mit der Außenwelt spielt Georg Friedrich einen Kollegen, der mit der Zurückgenommenheit des 19Jährigen nichts anfangen kann und der mit kleinen, herausfordernden Schikanen reagiert.
Thimfilm
Alles andere als aufdringlich
Wie fantastisch Karl Markovics "Atmen" inszeniert, offenbart sich stets in den folgenden Szenen. Gewissenhaft vorbereitet ist der Lauf der Dinge, von Details in der Ausstattung bis hin zum Verzicht auf erläuternde Dialoge. Am abendlichen Weg zurück in die Haftanstalt schaut Roman die umsitzenden Menschen in der U-Bahn auf einmal unverwandt an. Jede und jeder könnte der Nächste sein, der auf Metallplatten vor ihm zu liegen kommt. Dass Roman kein Zuhause hat, wird klar, wie er in der Wohnung einer alten Dame das Bad sucht, während im Vorzimmer eine Schwiegertochter wehklagt, dass ihr Parkschein in einer halben Stunde abliefe.
Markovics psychologisiert nicht. Als Romans Vergangenheit thematisiert wird, wird über eine Kinostunde vergangen sein. Warum er in Haft sitzt, erfahren ZuschauerInnen wie der Arbeitskollege Rudolf (Georg Friedrich) spät. Zuvor war es auch nicht von Bedeutung.
Filmstills Domenigg_Epofilm
"Atmen" von Karl Markovics läuft derzeit in den österreichischen Kinos.
"Atmen" könnte die Folgeerzählung einer kurzen Chronikmeldung vor einem Jahrzehnt sein. Die Schwere, die seine Hauptfigur gefangen hält, muss abfallen. Das ist klar. Dass die Hoffnung sich stets bereit hält, ist die logische Konsequenz, die Markovics' Zugang zum Leben im Film vom Abdriften in bittere Abgründe bewahrt.