Erstellt am: 2. 10. 2011 - 23:51 Uhr
Fußball-Journal '11-106.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit dem Versuch die zu kurz greifenden Loblieder auf den aktuellen Bundesliga-Tabellenführer (die Admira) zu relativieren.
Das schlimmste an der sogenannten Fußball-Öffentlichkeit (nicht nur der österreichischen) ist der manisch-depressive Modus, der einen riesenhaften blinden Fleck zwischen Fluch und Segen aufweist.
Ja, dieses fanatische, bewusst subjektiv sein dürfende Freigängertum des Fußball-Fans ist auch positiver Ausdruck der anarchischen Qualität, sicher.
Wenn allerdings die Hysterie das Geschehen definiert, wird es kritisch; vor allem in Gesellschaften, in denen sonst rigider gehandelt wird.
Es ist kein Zufall, dass die beiden Antipoden, der überbordende Jubel und die tiefe Verzweiflung, oft so knapp nebeneinanderliegen - und auch dieselben Instrumentalisierungs-Maßnahmen aufweisen; so wie ja auch der Philosemitismus knapp neben dem Antisemitismus liegt.
Diese Mechanismen sorgen gerade dafür, dass der Liga-Aufsteiger Admira Wacker, sein Team und seine Coaches, vor allem Dietmar Kühbauer, in überhöhten Tönen besungen werden.
Nach der simplen Logik, dass immer der, der gerade Erfolg hat und vorne steht, alles richtig macht, kramen selbst- und fremdernannte Analytiker im Platitüden-Kisterl; und wissen nichts Substanzielles zu erzählen - sie regredieren bloß zu Fans im manischen Modus.
Platte Loblieder und Null-Analysen
Denn das, was aktuell zu hören ist, besagt nichts über die Gründe für die doch etwas überraschende Tabellenführung. Die Spieler verfügen ebensowenig über ein Geheimrezept, bessere physische oder psychische Werte wie das Trainerteam über bahnbrechende Erkenntnisse.
Kühbauers System ist seit Jahren eingespielt, schon Vorgänger Schachner hatte so aufgestellt: 4-4-2 flach, mit zwei defensiven Kurblern in der Zentrale. Kühbauer interpretiert es etwas moderner als der Steckenbleiber Schachner, der aktuell den LASK führt: seine Zentralen haben mehr Aufbau-Verantwortung. Stefan Schwab ist da das Muster-Beispiel.
Dazu kommt, dass Kühbauer auf eine junge Abwehr vertraut, und dabei mit Dibon auf einen Verteidiger, der praktisch nie foulspielen muss, zurückgreifen kann. Dann hat der alte Jezek noch einen Lauf; oder Benjamin Sulimani letzte Saison, Philip Hosiner diese, und ein paar andere Details mehr.
Kühbauers Coaching und seine Menschenführung unterscheiden sich nicht drastisch von anderen: er setzt (seiner Persönlichkeit entsprechend) auf die direkte Ansprache von Problemen.
Nun ist es aber möglich, mit den ganz genau gleichen Voraussetzungen auch im Tabellen-Mittelfeld zu landen. Ein paar Läufe weniger und schon ist das, was im Erfolgsfall von allen gelobt wird, ein echtes Problem: die direkte Ansprache wird dann zu übergroßer Kumpelhaftigkeit.
Der Griff ins Platitüdenkisterl
Dieselben Lobeshymnen-Trällerer würden dann, wenn dieselben Voraussetzungen aufgrund ein paar kleiner Wendungen in eine andere, nicht so lässige Richtung geführt hätten, dieselben Fakten, die sie jetzt als Ursache für den Erfolg anführen, als Ursache für den weniger guten Erfolg hergenommen.
Das macht das ganze aktuelle Lobgekreische auch so unleserlich. Weil es auch schlechte Folgen hat: Gerade dann nämlich, wenn man Zeit hätte, Problemzonen anzusprechen und daran zu arbeiten, passiert das nicht. Sowas geht immer nur in guten Phasen; nur dann lässt sich investieren, forschen, analysieren und ausbauen. Die großen Fußball-Erfolgsgeschichten funktionieren fast alle nach diesem Modus.
Wenn es im Hintergrund der Admira halbwegs schlaue Leute gibt, dann werden die genau das jetzt betreiben. Und versuchen, die trotz allen Erfolgs deutlich sichtbaren Schwächen zu überwinden. Sich nämlich auch die restlichen drei Viertel der Meisterschaft darauf zu verlassen, dass die eigentlich recht leicht auszurechnende Spielweise nicht effektiv genug überrissen wird, also mit der Dummheit der Gegner zu spekulieren, ist. ganz schön riskant.
Die immergleiche Überraschung durch die 'Neuen'
Georg Sander erklärt das hier auf abseits.at anschaulich und ohne Sarkasmus: dass die heimische Liga aufgrund ihrer im-eigenen-Saft-Kocherei immer ein Drittel der Meisterschaft braucht, um die Eigenheiten des "Neuen" zu kapieren; weil Coaches und Spieler träge sind, sich auf Automatismen und Routinen verlassen, auf das Sickern dieses Langsamkeits-Gens, das die allermeisten Legionäre, die nach Österreich kommen, dann auch so schnell befällt. Nazer Barazite ist noch immun, als einer von wenigen...
Die Admira und das schnelle Vorpreschen auf den Flügeln, die weiten Bälle aus der Zentrale und die Abschluss-Versuche aus dem Halbfeld unter Vermeidung der Offensiv-Zentrale sind für die Liga-Usancen ungewöhnlich. Noch. Jetzt, wo jede Mannschaft zumindest schon einmal Troubles mit der Admira hatte, wird sich wohl der eine oder andere wie Klein-Wickie die Nase reiben und mit einer Idee ankommen, wie man dem entgegnet.
Wirklicher Erfolg stellt sich ja erst dann ein, wenn sich ein Kleiner über Jahre hin behaupten kann; nicht wie die Großen über Geld und Einkäufe, sondern über Talenteaufbau und spezielle Varianten. Ried ist so ein Beispiel und auch Mattersburg. Kapfenberg befindet sich gerade in einer entscheidenden Phase, die Admira steht an einem Beginn, etwa dort, wo Innsbruck vor einem Jahr stand. Und Innsbruck hat heute durchaus bereits das Problem der klaren Ausrechenbarkeit; das steht der Admira bevor. Womöglich sogar noch im Herbst.
Zucker oder Tritt?
Wenn das dann eintritt, werden dieselben Nicht-Analytiker die Mannschaft, der sie jetzt Zucker in den Arsch blasen, mit "kritischen" Worten belegen, was mit einem minimalen Drehen der Platitüden-Kiste problemlos funktionieren wird, weil ja die gesamte Fußball-Community an dieser Fluch/Segen-Blindheit leidet, die sie aber nicht als Krankheit, sondern als Normalität betrachtet.
Und das wird genauso dämlich sein, wie das Hochgeschrei es gerade eben auch ist.