Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Längste Nacht der Musik"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

2. 10. 2011 - 12:23

Längste Nacht der Musik

Waves Festival, Samstag: Touchy Mob, Peterlicker, WhomadeWho, Photek.

Waves Vienna

Waves Festival

Waves Festival

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Von der Tatsache, dass gerade ein Konzert stattfindet, lässt sich die Kellnerin des Dogenhofs nicht beirren und ruft suchend "Susi! Susi! Susi?" durch das winzige Lokal in der Praterstraße. Wo mag sie bloß sein? Zwischendurch wechselt die Frau Chefin scheppernd die Aschenbecher an den Tischen aus, schenkt neue Biere ein und durchkreuzt so die Darbietung von Herrn Touchy Mob in Zimmerlautstärke mit interessanten neuen akustischen Aspekten. Der bärtige Berliner passt mit seinem um minimalistisches Elektronik-Gepluckere angereicherten Trauerweiden-Folk nur allzu gut hinein in den freundlichen Kaffeehaus-Mief zwischen goldverzierten Vitrinen, Kristall-Luster an der Decke und zur Schau gestelltem Porzellan von vor der Zeitrechnung. Vermutliche Stammgäste des Dogenhofs, die noch nie gehört haben dürften, was denn so ein "Waves Festival" ist, wundern sich amüsiert über diese seltsame Musik, die dem jungen Mann da aus den Geräten und den Gliedern fährt. Der Dogenhof stellt mit seinem Puppenstuben-Charme als Location für Intim-Konzerte eine echte Bereicherung für das Waves Festival dar und eignet sich bestens für einen gemütlichen Start in eine lange Nacht.

Peterlicker

Patrick Münnich

Peterlicker

Den Kontrast zur betont "lieben" Musik von Touchy Mob definieren Peterlicker im "Opel Corsa Stage" genannten Zelt, das irgendwo im Prater gelegen, quasi hinter zwei Bäumen und einem Gebüsch versteckt, nur schwer aufzufinden ist. Die vier in Wien ansässigen Herren von Peterlicker haben dieses Jahr mit "Nicht" eine sehr gute Platte bei Editions Mego veröffentlicht - Musik, die aus Zorn und Strenge destilliert scheint und am Samstag Abend als angenehm schmerzhafter Katalysator herhalten darf, um den Ärger zu verdauen, dass der Mann, den man mit Fug und Recht eine "Legende" nennt, Andrew Weatherall nämlich, sein DJ-Set für diese Nacht kurzfristig abgesagt hat. An Gitarre, Stimme und Doom-Elektronik stellen Peterlicker einen trostlosen, teils jedoch flamboyanten Noise auf die Bühne, der mitunter an frühe Swans gemahnt, also ziemlich großartig ist. 30 Minuten sind die richtige Länge für derartige im ganzen Körper erfahrbare Seelenreinigung. Danach darf es vielleicht wieder Popmusik sein.

Das Wort "Langeweile" hingegen definieren Tempelhof oben im Fluc. Die Band aus Bratislava scheint letztes Jahr beim ergooglen des Begriffs "Trendmusik von Gestern" auf das Wort "Witch House" gestoßen zu sein und bedient das Genre nach Wörterbuch und Schablone. R'n'B-Beats auf Codeine, sinsistre Ambient-Flächen, gemurmelter Singsang. Die fehlende Eigen-Initiative in der Musik versucht der Sänger durch Körpereinsatz - in Zeitlupe zwar - wettzumachen: Er windet sich und verlässt die Bühne Richtung Publikum. Zwischendurch geht er während eines Instrumental-Parts komplett aus dem Lokal, vermutlich um eine Zigarette zu rauchen oder aber weil er von der eigenen Musik so angenervt ist.

Tempelhof

Niko Ostermann

Tempelhof
Tempelhof

Niko Ostermann

Im gut gefüllten Flex kann ein Band erlebt werden, die auch beim siebten oder achten Mal nicht langweilig zu werden scheint: Die dänische Disco-Combo WhoMadeWho war in den letzten Jahren schon das eine oder andere Mal zu Gast in Österreich, abgenutzt ist der Party-Faktor nach wie vor nicht. Zwar haben die drei Herren grob geschätzt nur zweieinhalb Tricks in ihrer Musik, spröder Funk, elastischer Disco-Bass, Rock-Pose, der Stimmung ist das nicht abträglich. Neue und halbneue Nummern vom letzten, bei der Kölner Techno-Hochburg KOMPAKT erschienen Album "Knee Deep" sind okay, lassen aber ein wenig den präzisen Punch von frühen Hits wie "Rose" und "Space For Rent" vermissen. Und, ja, die Coverversion von Mr. Oizo's Flat Beat funktioniert immer.

Nett zerzausten Indiepop mit Folk-Einschlag samt Mund- und großer Schwester der Zieh-Harmonika gibt's derweil von der österreichischen Band Destroy, Munich (Wortwitz über das zeitgleich nebenan im Prater stattfindende Oktober-Fest fehlt an dieser Stelle) in der Fluc-Wanne. Wenn man "On Fire" von den ewigen Indie-Helden Sebadoh covert, kann das auch nie schaden.

Whomadewho

Mona Hermann

WhoMadeWho
Whomadewho

Mona Hermann

Destroy Munich

Niko Ostermann

Destroy, Munich
Destroy, Munich

Niko Ostermann

DJ-technisch bietet sich beispielsweise noch Drum'n'Bass-Altmeister Photek in der Pratersauna an. Sein Set tendiert zu starkem Vocal-Einsatz, neigt auf die Pop-Seite und hat oft nur mehr am Rande mit Drum'n'Bass zu tun. Es gibt richtige Hits der Marke "La-Roux-im-Skream-Remix" zu hören. Das alles ist sehr unterhaltsam, kann aber eher nur als Party-Beschallung denn künstlerisches Statement aufgefasst werden kann. Nahezu zeitgleich verlegen Jonas Imbery und Mathias Modica, die beiden Köpfe der wunderbaren, ähm, Münchner Labels Gomma, in der Fluc-Wanne einen Bastard aus House, Disco und Pop und zeigen wieder einmal, dass man nicht ständig stumpf mit dem Presslufthammer auf die Glocke hauen muss, um die Menschen zum Tanzen zu bringen. Alle DJs sollen es sich merken.