Erstellt am: 1. 10. 2011 - 23:17 Uhr
Journal 2011. Eintrag 180.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem zufälligen zweiten, praktischen Teil zu Journal 2011. Eintrag 177: Die Medien-Branche zerfällt.; in zwei Teile nämlich.
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Es war zwei Tage nach diesem Journal-Eintrag in dem ich das speziell österreichische, unaufhaltsame Auseinanderdriften von zwei sehr unterschiedlichen Zuängen zum Journalismus thematisiert hatte, und zwar bei einem journalistischen Assessment Center, als eine Kandidatin, ganz arglos und ohne Beschädigungs-Absicht die Situation auf den Punkt brachte.
Ja, meinte sie, es würde da den Informations-Journalismus geben, der sogar investigativ sein solle - und den Unterhaltungs-Journalismus, der die Menschen entspannen, nach einem stressige Arbeitstag umschmeicheln soll. Und eher zweiterem fühle sie sich zugehörig.
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In diesem Moment habe ich den Blick einer Co-Assessorin aufgefangen, der unendliche Verzweiflung signalisierte. Dabei ist diese Kollegin Chefin eines Ressorts, in dem Unterhaltung schon auch eine Rolle spielt. Die durch die aktuelle Medienpraxis, vor allem die sehr schleimige österreichische Variante, zu einem Faktum gewordene Neu-Definition eines "Unterhaltungs-Journalismus" hat aber nichts mit dem, was man da bisher drunter verstand (nämlich dem Society-Journalismus der Profi-Tratschtanten/onkel) zu tun, sondern beschreibt die Form, wie mittlerweile alles, jegliche Nachricht, jegliche Wortmeldung ans Publikum gebracht werden soll: weichgespült, rein servicezentriert und unter Ausblendung aller womöglich das Wohlbefinden störenden Denkaufgaben.
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Die Kandidatin hatte aus ihrer Abbildung der Realität keinen Nachteil - es gab allerdings auch keine Aufklärung; das geht sich im Rahmen eines Selbstpräsentations-Runde nicht aus. Und selbst wenn: solange sie dieses Mantra in ihrer Sozialisation, in ihrer Ausbildung und in ihrer gelebten Berufs-Praxis vorgebetet und vor allem vorgelebt bekommen hat, sind andersgeartete Hinweise reine Verpuffer.
Natürlich zählt die Praxis, gerade im Mediengewerbe.
Und natürlich ist die Zweiteilung, von der die junge Frau gesprochen hat, mittlerweile der Regelfall.
Ja, klar, wirklich pfiffiger Journalismus braucht beides, den informativen Anteil, aber auch den unterhaltenden Aspekt - damit der Text, der Beitrag, die Story überhaupt rezipiert wird, natürlich.
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Das aktuelle Problem ist aber, dass die beiden Bereiche immer weniger miteinander zu tun haben: die einen, die faserschmeichelnden Schleimer-Medien, die sich (ebenso wie die Politik) nur noch nach Umfrage-Werten orientieren und das bringen, von dem sie annehmen (oder es die Interessen der Ökonomie ihnen vorgeben), dass es die Menschen erreichen kann; und auf alles andere einfach verzichten; die anderen, die sich selber im Glashaus "Qualitätsjournalismus" verschanzen und dort Rückzugsgefechte auf dem Copy-Paste-Schlachtfeld führen.
Das vor Entsetzen verzerrte Gesicht der erfahrenen Kollegin hat mir eines erzählt: es gibt mittlerweile kein Bewußtsein für einen Ethos der Widerständigkeit, dessentwegen es so etwas wie unabhängigen Journalismus überhaupt gibt. Auf einer Journalismus für Dummies-Erklärer-Plattform habe ich zum Thema Unterhaltungs-Journalismus etwa diese (von mir unverändert übernommenen) Sätze gefunden: "Diese Art des Journalismus ist durchaus Gleichwertig und hat sich etabliert. Informationen werden heute auch Unterhaltsam präsentiert, was einem bestimmten Zeitgeist bei der Nutzung von Medien entspricht."
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Nun ist Unterhaltsamkeit wie bereits erwähnt nichts Böses, im Gegenteil, jeder Journalist bemüht sich durch den Einsatz seiner Stilmittel darum; wie Udo Jürgens.
Und da möchte ich auf die zweite, durchaus frappante Beobachtung aus dem angesprochenen Assessment Center kommen. Da wurde ein Dutzend Jung-Journalisten zu einem Recherche-Telefonat gezwungen, das die Assessoren dann mithörten. Der Fake-Experte, dem einige Informationen und die eventuelle Zusage für ein längeres Interview zu enlocken waren, präsentierte sich nicht sehr bockig und lieferte in sehr vielen seiner Antworten durchaus zitierbares und weiterführendes. Nur: keine/r der KandidatInnen hakte da nach. Ich rede da nicht von arminwolfmäßigem Nachhaken, sondern der ganz menschlichen Nachfrage, die im echten Leben immer dann passiert, wenn der Gesprächspartner etwas Unerwartetes sagt. Das ist immer interessant, im Journalismus aber doppelt.
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Weil sich darin, in der Differenz nämlich, nicht nur die Spannung des Lebens, sondern auch die besten Geschichten verstecken.
Wie gesagt, der Fake-Experte extemporierte und niemand ging darauf ein. Die KandidatInnen führten ihre Recherche-Gespräche wie das Abhaken einer Checklist. Dabei hatten sie gar keine vorgegeben. Die Aufgabe lautete schlicht mit diesem potentiellen Informanten "ins Gespräch zu kommen".
Die Jung-Journalisten erledigten das ungeschickt bis professionell; im Gespräch war aber keiner gewesen. Sie hatten alle eines übersehen: dass man zuhören muss, wenn man mit jemandem spricht.
Zuhören.
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Klar, in Zeiten der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne ist das nicht einfach.
Ich merke das bei Freunden/Bekannten/Kollegen, die früher stundenlang die Spannung halten konnten, was zu den bestmöglichsten Gedankenaustäuschen führen konnte - die wiederum die Basis für die Profession dieser Menschen legte, was sie also besser als andere machte. Dieselben Menschen halten, sofern sie durch den Stress des Erfolges auf einem zeitgenössischen Dauerdruck-Level festgezurrt sind, heute keine fünf Minuten mehr durch. Nicht alle, aber doch einige. Und damit gleichen sie sich an die Jungen an, für die diese 5 Minuten schon die höchstmögliche Leistung sind; jungen überaus kluge und bewußt ans Leben herangehende Menschen, für die es immer schon unmöglich war allzuviel Zeit in eine bedeutende Sache zu investieren, weil der allgegenwärtige, aus dem "bestimmten Zeitgeist" enstpringende Faktor das nie zugelassen hat.
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Das erste Opfer dieser sinnentleerenden Beschleunigung ist das Zuhören.
Checkt das einmal aus: wie gut hören Menschen aus eurer Umgebung zu, wenn ihr ihnen etwas mit dem Siegel der Bedeutsamkeit berichtet. Sie müssen nicht so gut sein wie Paul Weston, aber wenn sie Journalisten sein wollen, dann sollten sie über diese Fähigkeit verfügen.
Zuhörn können, und aus diesem Zuhören Rückschlüsse und Querverbindungen ziehen, etwas entwickeln. Und bei Ungewöhnlichem einhaken und nachfragen. Rein interessehalber. Im Journalismus nennt man das Recherche-Gespräch.
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Wenn nun die eh schon besseren der Jung-Journalisten, die, die gute Ausbildungsstätten besucht, sich bereits einiges an Praxis angeeignet haben, es nicht schaffen so ein Recherche-Gespräch entsprechend zu führen, dann ist das nämlich der zweite Grund für den Gesichtsausdrucks des Entsetzens, den ich seit gestern als Leitmotiv vor Augen habe.
Und dann passt alles plötzlich zusammen: wer durch die geringe Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr zuhören kann, wer diese Fähigkeit, die man als Journalist mehr braucht als alles andere, nicht aus sich rauszukitzeln imstande ist, der wird auch nichts erfahren, was über die Präkonzeptionen, das vorgegoogelte, das eh überall copypastebare, die Schmähbrüdereien der PR-Maschine hinausgeht.
Und nachdem so jemand ohnehin keinen wirklichen Informations-Journalismus mehr betreiben kann (von Investigation ganz abgesehen) ist der Weg in den puren Unterhaltungs-Journalismus also vorgezeichnet.
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Wer nicht zuhört, erfährt nichts.
Wer nichts erfahren hat, hat nichts zu erzählen.
Wer nichts zu erzählen hat, redet seinen Kunden nach dem Mund; oder plappert sie mit Auftrags-PR voll.
Unterhaltungs-Journalismus neuen Stils eben.
Und alle jungen Journalisten, die diese Situation als gottgegeben hinnehmen, die sind echt arm dran.