Erstellt am: 1. 10. 2011 - 05:15 Uhr
Zur Lage der Spiele
Immer wieder taucht sie auf, die Frage, wie denn der "typische Spieler" so ticke. Und was diese Computerspiele allgemein so faszinierend macht. Obwohl digitale Spiele nicht nur in der westlichen Welt seit Jahren zum Unterhaltungsalltag gehören wie Kino oder Konzerte und in Europa durchschnittlich jede/r Vierte regelmäßig spielt, ist das Konzept des "typischen Computerspielers" als liebgewonnenes Klischee weiterhin in den Köpfen vieler Menschen vorhanden. Diese Idee ist mittlerweile genauso abgedroschen wie die diffuse Diffamierung als "Nerd" für quasi alle, die mehr oder weniger intensiv mit Informationstechnologie, Wissenschaft oder Technik zu tun haben oder sich dafür interessieren.
Die Vielfalt von Videospielen und die unterschiedliche Typologie der Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen, sind in den letzten zehn Jahren stark gewachsen. Das merken auch jene, die sich darüber selbst keine Gedanken machen - weil es einfach unübersehbar ist. Das 60-Euro-Game für die rechenstarke Konsole ist ganz eindeutig etwas anderes als das Smartphone-Spielchen für lau. Dazwischen gibt es Titel für anspruchsvolle, lernende, tanzende und reaktionsschnelle Zeitgenossen. Trotzdem haben es das Arthouse-Game, das Autoren-Videospiel und das von kommerziellen Zwängen befreite Kunstspiel weiterhin schwer. Computer- und Videospiele sind als reine Konsum- und Unterhaltungsprodukte entstanden und legen diese DNA auch 40 Jahre nach ihrer Geburt nicht vollständig ab.
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Drei Schritte vor, zwei zurück
Seitdem sich um die Jahrtausendwende eine erste Generation an Forscher/innen und Journalist/innen über das Wesen und die Wirkung von Games Gedanken gemacht hat, gibt es einen Grabenkampf zwischen denen, die das Medium kennen und den Skeptikern, die sich ihre Informationen meist von überall anders holen. Videospiele (nicht) zu verstehen ist das kleine Geschwisterchen eines großen Generationenkonflikts zwischen den heute 20- bis 35-Jährigen, die an digitale Medien eine unaufgeregte Selbstverständlichkeit und natürliche Kompetenz anlegen und jenen Älteren, die auch einige Jahre nach dem eigenen Internetanschluss weiterhin über die Macken und Wunder der weltweiten Vernetzung und der damit einhergehenden Kultur verblüfft sind.
Dennoch sind Fortschritte zu spüren in diesem zähen Aufeinandertreffen von zwei Gruppen, denen im Bereich Neue Medien eine gemeinsame Kommunikations- und Erfahrungsgrundlage fehlt. Beim Amoklauf in Oslo im Juli etwa hat zum ersten Mal - und obwohl der Täter Videospiele in seinem "Manifest" namentlich erwähnt hat - so gut wie keine dumpfe Stigmatisierung von Videospielen stattgefunden. Auch hier ist das Offensichtliche selbst bei großer Anstrengung nicht zu leugnen. Oder wer würde ernsthaft Medien wie Filme, Bücher, Theaterstücke oder eben Computerspiele mit expliziten Inhalten in einer freien Gesellschaft verbieten wollen, bloß weil Mechanismen der (fiktiven) Gewalt in ihnen beschrieben werden, die in realen Straftaten Übereinstimmungen finden können?
Grundsatzdiskussionen
Die Gesellschaft hat sich damit vertraut gemacht, dass Videospiele zum Alltag gehören und in Einzelfällen kurzfristig auch für einen selbst interessant sein können. Aber eine stilistische und inhaltliche Verästelung, wie man sie aus anderen Kulturformen kennt, zugestehen? - Soweit muss man dann doch nicht gehen. Jene, die spielen bzw. sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Medium Computerspiel theoretisch und analytisch nähern, kommen wegen dieser Haltung in eine unauflösbare Zwickmühle. Anstatt einzelne Aspekte innerhalb des großen Bereichs Videospiele zu thematisieren und eine kulturelle Basis voraussetzen zu können, wird man immer wieder zurück an den Start geworfen und in eine allgemeine Debatte über die Relevanz von Spielen an sich gedrängt.
TV-Tipp:
Samstag, 1.10., in newton auf ORFeins ab 18h25: "Computerspiele jenseits der Klischees"
Im schlechtesten Fall führen diese ständigen Grundsatzdiskussionen zu einer großen Lücke, die zwischen einem wissenschaftlich-intellektuellen Diskurs innerhalb einer aufgeklärten Minderheit und plumper Berichterstattung des Boulevard (und seiner mehrheitsfähigen Zielgruppe) klafft. So sehr die meisten Reaktionen von Spieler/innengemeinschaften auf mediale Diffamierung zu begrüßen sind: Es ist nur noch langweilig und uninteressant, ein ganzes Medium und eine ausgereifte Kulturtechnik als Gesamtpaket verteidigen zu müssen. Zumal - wie überall - genügend Schrott und unreflektierter Mist existiert, der weder mit Kunst, Kultur und hoffentlich nur bedingt etwas mit einem Spiegelbild der Gesellschaft zu tun hat. Weitere zehn Jahre wird es wohl noch dauern, bis alle Beteiligten den immer selben Schlagabtausch satt haben. Bis dahin haben auch Computer- und Videospiele genügend Zeit, ihr Wesen und ihre Möglichkeiten breiter auszuspielen.