Erstellt am: 30. 9. 2011 - 14:18 Uhr
Wir jagen die Monotonie
Waves Vienna
Waves Festival
Alles rund um Wiens Clubfestival auch auf wavesvienna.com und fm4.orf.at/wavesvienna
Der Mittwoch ist ja noch vergleichsweise einfach gewesen. Während am Eröffnungsabend des Waves Festivals die Entscheidungsfindung locker mit dem Werfen einer zweiseitigen Münze abgehandelt werden konnte - man muss es noch einmal dazu sagen: Wer bei dem Konzert von EMA gewesen ist, wird es sein Leben lang nicht bereuen - tut sich am Donnerstag schon so einiges an Terminkollisionen fast durchgehend sehr guter Acts kleiner bis mittlerer Größenordnung. In den Locations am Donaukanal - Flex, Badeschiff und dem temporär mit dem schönen Namen "Jack Rocks The Boat" versehenen Clubschiff - dominiert an diesem Abend Musik der Machart "Gitarre".
Niko Ostermann
Niko Ostermann
Der Abend beginnt im Flex, das für die Uhrzeit 19 Uhr 15 schon recht ordentlich gefüllt ist. Auf der Bühne steht - in engen Hosen - eine sehr okaye Band: Dry The River. Das Quintett aus London samt Violine spielt einen überdeutlich "emotional" aufgeladenen Folk-Rock, der die Betonung gerne auch auf die Komponente "Rock" legt - vor allem in der Live-Situation. Was sich auf Platte in der Nachbarschaft einer Band wie Mumford & Sons oder aber auch mitunter der Fleet Foxes aufhält - wenngleich nie der Nuancenreichtum und die Feingeistigkeit der Bartträger aus Seattle erreicht wird - wird auf der Bühne mit gitarrenschwingendem Pomp dargeboten. Ein zärtlicher Donner, Pathos dringt aus jeder Pore dieser ostentativ "rockenden" Band. Wenngleich hier ein bisschen zu kalkuliert die Gefühligkeit und die Fähigkeit zu weinen als die wahren Stärken des Mannes vorgelebt werden, funktioniert das alles sehr gut. Sehr sympathisch sind Dry The River auch, sie schütteln gern ihr Haar und sind Meister der Publikumsinteraktion. Was macht man, wenn man Menschen, die andere Sprachen sprechen, trifft? Sprachbarrieren thematisieren. Sagt der Bassist von Dry The River: "How Do You Say 'Cheers' in German?" - "Wurst?". Geht immer.
Niko Ostermann
Dass das neue Album von Killed By 9 Volt Batteries ein ziemlich großartiges ist, ist an dieser Stelle schon erwähnt worden. Die von Patrick Pulsinger produzierte Platte namens "The Crux" hält sich ziemlich genau im Zeitraum zwischen späten 80ern und frühen 90ern auf, als man noch relativ ungestraft das Wort "Slacker" sagen durfte, ohne gleich daraufhin von Ethan Hawke in einem Film dargestellt zu werden. Die Nachlassverwaltung von Indie-Rock mit Krach-Appeal beherrschen Killed By 9 Volt Batteries wie kaum eine andere Band momentan. Aus den Stücken sprechen hier zwar immer und dauernd die Stimmen von Pavement und Sebadoh, trotzdem gelingt der Gruppe durch beiläufige Verschiebungen im Song- und Sound-Arsenal eine eigene aberwitzige Klang-Signatur zu entwickeln. Da brechen Parts und ganze Lieder abrupt ab, da werden zwischen den ganzen Noise-Eruptionen die abenteuerlichsten Zaubermelodien freigesetzt, und für jeden dritten Song, mindestens, scheinen unzurechnungsfähige Geister Frontmann Wolfgang Möstls diese EINE fantastische Idee in den Kopf gesetzt zu haben. Und: Wolfgang Möstl, komplett in Kurt-Cobain-Gedächtnis-Outfit, ist ein Star für Menschen, in deren Vokabular das Wort "Star" sonst nicht vorkommt.
Mona Hermann
Die dänische Band When Saints Go Machine (Wortwitz im Bandnamen, gefährlich) beginnt ihren Auftritt mit dem Song "Konkylie", dem Titelstück ihres vor Kurzem erschienen zweiten Albums. "Konkylie" bedeutet in etwa soviel wie "Muschelschale" und verweist darauf, dass bei When Saints Go Machine die Schätze mittlerweile etwas im Verborgenen liegen und den Hörerinnen und Hörern nicht sofort komplett aufgeschreckt ins Gesicht springen: Während das - schon auch ziemlich ansprechende - Debütalbum der Band sich noch relativ ungeniert in 80er-Synthie-Pop-Koketterie genügte, agiert "Konkylie" vergleichweise avantgardistisch. Hier muss nicht alles unbedingt Hit sein und man verbeugt sich artig vor No Wave/Mutant Disco/Cello-Klangkunst- Alleskönner Arthur Russell. Bei Live-Auftritten von When Saints Go Machine ergibt sich aktuell so aus den beiden Platten der Gruppe eine ausgewogene und wohlig prickelnde Symbiose aus Sound-Forschung innerhalb des Formats "Pop-Song", kaum gebremstem Dance-Enthusiasmus und subtiler Disco-Melancholie.
Niko Ostermann
Niko Ostermann
LINE-UP UPDATE
Freitag:
- Reptile & Retard 00:00 - 00:45 Fluc Wanne (statt 00:30 - 01:15 Opel Corsa Stage)
- Hella Comet 00:45 - 01:15 Clubschiff (statt 22:45 - 23:45 Opel Corsa Stage)
Samstag:
- Nero Cancelled
- Destroy Munich 22:45 - 23:45 Fluc Wanne (statt 21:00 - 21:45 Opel Corsa Stage)
Time change only
- Ogris Debris 00:15 - 01:15 Fluc Wanne
- Peterlicker 19:40 - 20:15 Opel Corsa Stage
- British Sea Power 20:45 - 22:15 Opel Corsa Stage
Es folgen zwei Höhepunkte: Die siebenköpfige finnische Band Rubik baut unter Zuhilfenahme von allerlei Gerassel und Geklopfe sowie hohem Synthesizer-Aufkommen einen verspielten Indie-Pop, der sich 1:1 als offizieller Soundtrack zur Vertonung des Regenbogens empfiehlt. Eine Musik wie aus Zucker gestrickt, es gibt auch einen Posaunisten, was nie das Schlechteste ist. Zudem stellt sich das Clubschiff nach anfänglichen Zweifeln abermals - nach dem Konzert von EMA - als der Laune höchst dienliche Location dar: Die Tatsache, dass es keine richtige Bühne gibt und die Bands auf gleichem Level mit dem Publikum spielen, macht Verschwesterungen einfacher.
Retro Stefson sind das, was man gemeinhin eine Live-Band nennt: Auf Tonträger ziemlich gut bis naja, auf der Bühne eine musikgewordene Konfettikanone. Die isländische Kapelle durchsetzt Indie-Rock mit Einflüssen von Afro-Pop und Tropicalia und trägt - wenn auch in der Musik selbst nur kaum hörbar - den Geist von HipHop im Hinterkopf. Das ist in der Live-Darbietung ein vor Heiterkeit und Feierlaune schwitzender Flohzirkus - zumal beim Auftritt von Retro Stefson das Badeschiff quasi bis an den Rand mit guten Menschen gefüllt ist.
Was kann man danach noch tun? Sich den absichtlich quirky und niedlich schiefen Gitarren-Pop der sehr feinen Figurines aus Dänemark - ebenfalls im Badeschiff - anhören und sich ein Grinsen schenken lassen. Oder aber in Richtung Prater die elektronische Seite des Spektrums suchen, in der Fluc Wanne zustimmend mit dem Kopf nickend den Niederländer 2562, der mit seiner Platte "Fever" eines der wenigen wirklich sehr guten Dance-Alben des Jahres vorgelegt hat, beobachten oder in der Pratersauna überprüfen wie Kenton Slash Demon - zwei Mitglieder von When Saints Go Machine - mit einem DJ-Set dem Dancefloor zuarbeiten. Hauptsache von Zola Jesus, die heute im Flex auftreten wird, träumen.
Niko Ostermann
Niko Ostermann
Claudio Farkasch