Erstellt am: 29. 9. 2011 - 21:09 Uhr
The Grey Ship
Waves Vienna
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Waves Festival
Alles rund um Wiens Clubfestival auch auf wavesvienna.com und fm4.orf.at/wavesvienna
Liebe und Leid. Das ewige Drama war schon das Gesprächsthema beim Ticket-holen am Badeschiff und hallt noch immer nach, so wie die tiefe Verzweiflung von Soap&Skin im Stadtsaal und die rohen Sex-Vibrations von EMA am Clubschiff, die mit ihrer entwaffnenden Natürlichkeit schwer beeindruckt hat. Beide haben uns in Licht und Schatten in ihre Seelen und Herzen blicken lassen.
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Armin Rudelstorfer
Soap&Skin
Es waren zwei Konzerte voll großer Momente, authentische und emotionale Statusmeldungen in der Realität und nicht auf Facebook, das mein Sitznachbar bei Soap&Skin ständig gecheckt hat, während mich die Grabesschwere tief in den Theatersessel gedrückt hat. "Pale Blue Eyes", das zum weinen-schöne Cover von Velvet Underground beschließt die düstere Messe im hell erleuchteten Saal. Sängerin Anja Plaschg hat das Licht wie das Ensemble mit entschlossenen Gesten effektvoll dirigiert. Wir sind ausgeleuchtet und zur Schau gestellt, nicht sie.
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Armin Rudelstorfer
Soap&Skin Konzerte polarisieren. Die Einen rühren sie zutiefst, die Andere zweifeln an der Glaubwürdigkeit ihrer Performance. Hypochondrische und spekulative Distinktionstheorien, was ist inszeniert, was echt? Doch daran, dass es große Kunst ist, zweifelt niemand. Die Intimität ihrer Auftritte macht den Zuhörer zum Eindringling, zum akustischen Voyeur. Wobei die Atmosphäre dieses Mal nicht mehr so fragil war, wie bei ihren vergangenen Konzerten. Man traut sich schon nach einer halben Stunde Luft zu holen und einmal hat sie auch gelächelt, immerhin. Anja Plaschg ist nicht mehr der zitternde Teenager, selbstbewusst entfaltet sie ihre Stimme in zuvor ungehörter Klarheit und Druckvollendung.
Stille&Schreie
Das Konzert startet Soap&Skin solo mit Piano-Läufen und bedrohlich tobenden Industrial-Hämmern. Später begleitet sie ihr Ensemble, bestehend aus vier Streichern, einem Bläser und ihrer Schwester als zweite Stimme. Der Stadtsaal ist trotz Ausverkaufs-Ankündigung nur dreiviertel voll. Die Kooperationspartner und Sponsoren haben anscheinend keine Ahnung und ihre reservierten Tickets nicht abgeholt. Das ist schade und bestätigt Skeptiker in der Überzeugung, dass ihre Musik in Österreich, verglichen mit dem Ausland nicht genügend wert geschätzt wird.
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Armin Rudelstorfer
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Armin Rudelstorfer
Der Film „Stilleben“, für den sie den Soundtrack komponiert hat, stiftet das Cover von „Voyage Voyage“. Ihre schön intonierte, aber ungewohnte Version des Desireless-Klassikers überraschte das Publikum, das aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Schon zuvor hat ein Lied Kopfzerbrechen bereitet: es war ein unbeholfenes Gedicht auf Deutsch, eine morbide, aber zärtliche Hommage an ihren verstorbenen Vater. Sie möchte eine Made sein, um noch im Grab bei ihm zu sein. Wieder wird man zum Voyeur, wenn die Tochter um den Vater trauert.
Doch diese beiden Stücke waren nicht die einzigen neuen Werke des Abends, die neue EP erscheint Anfang 2012.
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Mona Hermann
EMA
Von der Verzweiflung in den Hedonismus. Realitätsflucht ist Programm, nach Soap&Skin sein Herz an EMA zu verlieren auch. Die hat sich wiederum in die Stadt Wien verliebt. Gegenseitige Liebesbekundungen zwischen ihr und dem Publikum waren die unterhaltsame Folge. Man muss sie einfach lieben, diese unkomplizierte, leidenschaftliche Musikerin, die den Flirt mit dem Publikum genießt und lustvoll mit ihm spielt. "Fuck you" ist bei ihr keine Attitude, sondern Rückgrat.
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Mona Hermann
EMA hat am Clubschiff gekapert, bei dem sich die Frage stellt, wie lange dass schon im Donaukanal vor Anker liegt. Hundertmal am Weg ins Flex vorbei gegangen, niemals aufgefallen. So wie EMA in The Grey Ship singt: "When you see that ship, it is the ship you can't see, when the grey ship calls, it is calling for me."
Diesem Ruf sind einige gefolgt. Mit "Marked" eröffnet sie die Show und sublimiert selbstverliebte Cock-Rock-Posen, verwendet die Gitarre als Phallus und dergleichen. Sie trägt keine Leggins, sondern eine lange Männerunterhose mit Schlitz vorne. "Die letzte Männerbastion ist gefallen", meint ein Bekannter und das ist gut so.
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Mona Hermann
Live klingen Erika M. Anderson und ihre sympathische Band schneller und direkter als auf Platte. Die verhuschten Momente ihres Albums "Past Life Martyred Saints" weichen bei ihrem Konzert ihrer enormen physischen Präsenz und Ausstrahlung. Rampensau. Punk-Rock-Göttin.
Neben den eigenen Songs zollt EMA ihren Helden Tribut, wie z.B. den Violent Femmes mit "Add it up". Dass sie bei der abschließenden Auflegerei aus dem Backstage gestürmt kommt, um mit dem Publikum "Blister in the Sun" zu zelebrieren, ist kein Wunder, sonder konsequent.