Erstellt am: 28. 9. 2011 - 00:03 Uhr
Die Heartbreak-Slacker sind zurück
Späte Stunde. Es war einer dieser nie enden wollenden Subway-Rides von Manhattan nach Brooklyn. Ermattet, ermüdet, erschöpft saßen wir im 4-Train der Grünen Linie. Ganz viele waren wir und ganz alleine unter vielen. Menschen auf dem Weg nach Hause: Halboffene Krawattenknöpfe, in Schlaf gelegte Falten, schmerzende Beine. Christopher Owens flüsterte mir ins Ohr: "Oh god, I'm tired. And my heart is broken. It's so hard to feel so all alone. And so far, so far away from home." Es röhrte die Hammond Orgel, es vibrierte das Fell der Snare Drum, es schlugen die Akkorde der Gitarre.
Zum Debütalbum von Girls, das 2009 erschienen ist.
pias
Das Szenario rief zunächst schmerzhaft in Erinnerung, dass wir am Ende alleine sind/sein werden. Der Gedanke hatte aber auch etwas Tröstendes. Nicht nur weil er im Girls-Song "Myma" von einem dreiköpfigen Gospelchor ins Himmlische getragen wird und "George Harrison" mit einem an "My Sweet Lord" angelehnten Gitarrensolo aus dem Jenseits grüßt, sondern weil uns dieses Schicksal ja auch alle verbindet - selbst wenn die übrigen Passagiere gar nichts wissen von Chris Owens, den Girls aus San Franciso und ihrer neuen, fantastischen Platte Father, Son, Holy Ghost. Es folgte ein Blick. Dem Blick folgten andere. Ein Lächeln, Ein Verstehen. Musik kann das triggern. Zumindest bei mir.
Zwei Tage später das gnadelose Leben. Ohne Kunst und Privatphilosophie. In der 1st Ave Station sollte sich einige Meter neben mir ein Obdachloser vor den L-Train der Grauen Linie werfen. Zuvor fragte er mit großen Augen in unsere Arroganz und den Ekel hinein: "Why nobody wants to talk to me?" Das echte Leben kannte keinen Trost. Keine Zeitungsmeldung am nächsten Tag. Kein Name. Nichts. Ich versuche noch immer herauszufinden, wer dieser arme Kerl war. No Song.
Christian Lehner
Eigentlich ist das alles zu viel: zu viel Sound, zu viele Soli, zu viele Zitate – von Purple (Deep) über Presley (Elvis) bis zu Pavement, um nur einige der Ps im musikalischen Alphabet der Girls zu nennen. Da sind auch zu viele Blumen auf der Bühne. Zunächst bloß als Dekor an Mikroständer und Verstärker gebunden verwandelt sich das Szenario in der Umbaupause mit jedem zusätzlichen Bouquet vom romantischen Dinner-Setting in eine katholische Begräbniskulisse. Die zwei Shows im Bowery Ballroom in Manhattan waren ein Triumph gegen den Authentizitäts-Terror des Indie und doch so sincere wie der erste Kuss der ersten Liebe. Das ist die große Kunst der Girls.
Christian Lehner
Eine Stunde vor dem Gig plauderten die beiden (man muss es an dieser Stelle erwähnen) gesund aussehenden Girls, Chris Owens und Chet „JR“ White, in ihrer gewohnt offenen Art über das neue Album und all die anderen Dinge, die man wissen will: "There was this frustration point for me and JR, being in our late 20ies when you have your first band. I literally was telling everybody: look, I am at the end of my rope here. This is how it is. At this point you don’t care what people think anymore. And it is something that worked. And I stick to it because it’s easy".
Christian Lehner
Eigentlich ist das zu viel, aber bei weitem nicht genug. Deshalb gibt es heute Mittwoch mehr und zwar ab 15 Uhr in FM4-Connected im Rahmen einer Listenting Session zu „Father, Son, Holy Ghost“ und ab 19 Uhr in der FM4-Homebase mit einem Bandportrait der Girls.
Nachtrag: die Girls gastieren demnächst erstmals live in Österreich und zwar am 21. November im Wiener WUK. Bestellt schon mal die Blumen.