Erstellt am: 28. 9. 2011 - 14:52 Uhr
Killed by Great New Sound
Eigentlich beginnt die Geschichte, wie so viele andere auch. Ein Haufen gelangweilter Jugendlicher gründet in irgendeinem Nest in einer Einöde eine Band. Das darf jetzt wahlweise Stockton oder Aberdeen sein. Oder irgendein anderes sauberes, strikt rasterförmiges Planstadt-Einfamilienhausgrauen vor einer Großstadt. In deinem Kopf darf es jetzt wahlweise eine Garage oder ein Keller sein, die als Refugium für eine von der Mehrheit unverstandene Geisteshaltung herhalten müssen.
Killed by 9V Batteries
„The Crux“ zum anhören auf YouTube
Doch ist der Bewegungsspielraum ein vorgegebener und begrenzter, ist das Resultat fast immer ein paradoxes: Es ist eben nicht die Fülle an Möglichkeiten, sondern fast immer deren Abwesenheit, die einen kreativen Weitblick ermöglicht. Das, was hinter diesen Kellertüren, Zimmertüren, Garagentoren entsteht, will hinaus und entdeckt werden.
In diesem Fall war es die Tristesse in einer steirischen Kleinstadt, die für eine Band namens Killed by 9V Batteries als Reibungsfläche herhalten musste. Gegründet im Jugendzimmer in Weiz, erste Proben im umgebauten Hühnerstall. Orte, an denen Lärm und Chaos ungestört und abgeschirmt inmitten einer scheinbar heilen Idylle ko-existieren dürfen.
Während sich der jugendliche Widerstand bei vielen im Laufe der Jahre abschleift und sich die meisten Aufsässigen der Reihe nach wieder in die Zurechnungsfähigkeit und in die vorgefertigte Lebensschablone des Flachlandes verabschieden - Nestbau, Brutpflege, nine to five, you name it! - haben die Batteries etwas getan, das in unseren Augen als sowas wie "richtig" erscheint: Sie sind nach Wien und Berlin abgehauen. Und sie haben ihren post-jugendlichen Zorn in schwarzem Vinyl konserviert.
"This City Is Lit When You're On Top Of It" haben die Batteries 2008 auf ihrer zweiten Platte "Escape Escape Plans Make It Hard To Wait For Success" so schön gesungen. Denn die Welt ist eine große, die aus mehr als nur einer 8000-Einwohner-Stadt besteht.
Video: Sigmund Steiner
Schöne neue Songtitel auf „The Crux“:
- “Need More Wrecks”
- “All The People Bite Their Tongues Off”
- “Don’t Feel Groovey”
- “Set Something On Fire”
The Crux - die dritte Platte
Und nun sind wir bei der neuen, dritten Platte der "Batteries" angelangt, die von jemandem abgemischt worden ist, der gerne auch als der "Wiener Technopionier der 90er Jahre" beschrieben wird. Da poppen natürlich erste Fragen in Sachen potentieller Erwartungshaltung im Kopf auf:
Geht man in Richtung gefällige Popnummern? Ein Frickeltronik-Ausreißer? Haben die Batteries gar ihre D.I.Y. Attitüde zu Grabe getragen? Immerhin, Patrick Pulsinger ist ja nicht irgendwer, eines seiner letzten großen Dinger war die aktuelle Platte "Blue Songs" der New Yorker Disco-Matadore Hercules & Love Affair.
Aber keine Sorge, Arbeits- und Genrefetischisten der guten alten Schule darf man an diesem Punkt beruhigen.
Außerdem: Jeder, der sich nicht schon in den 1990er Jahren vom der aktiven Musikkonsumieren verabschiedet oder zu viele bunte Zuckerln eingeworfen hat, hat natürlich mitbekommen, dass Patrick Pulsinger nicht nur ein Mann für gefinkelt programmierte Computerbeats ist:
Da gab es Ausflüge in die musikalischen Weiten des Freejazz, da war eine großartige, sechste Platte der Noise-Avantgardisten Bulbul, die er produziert hat, da war ein Album der "Wir-machen-Techno-mit-echten-Instrumenten"-Trios Elektro Guzzi.
Da war auch irgendwann mal ein Pixies Konzert, das er besucht hat, My Bloody Valentine-Platten stehen auch im Pulsingerischen Wohnzimmer-Wandschrank und ich kenne Menschen, die haben ihn schon einmal stagediven sehen.
Und besonders diese eine Bulbul Platte war der kleinste gemeinsame Nenner, weswegen Patrick Pulsinger eines Tages ein E-Mail in seinem Postfach fand in dem geschrieben stand, er möge beim neuen Album der Killed by 9V Batteries die Mischmaschine wieder anwerfen.
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Umgekehrt ist Patrick Pulsinger die Band auch nicht entgangen. Und plötzlich war da das Studio am Land, in das man sich eine gute Woche gemeinsam ein Quartier geschaffen hat, um gemeinsam auf der Terrasse abzuhängen und eine Platte in Form zu bringen.
Und beim ersten Hören von "The Crux" wird ersichtlich, dass hier beide Seiten ihre allerbesten Vorzüge miteinander zu einer Quintessenz fusioniert haben:
Da wird ein neuer Soundkosmos aufgemacht - nicht nur zwischen unterschiedlichen Musiken und Generationen. Hier treffen sich zwei hörbar unterschiedliche Produktions- und Herangehensweisen. Noise-Fantastismus trifft auf einen Meißel, der in bildhauerischer Feinarbeit die Songstrukturen, die schon immer unter der lau(t)en Oberfläche gelauert haben, freilegt. Manche sprechen von Popappeal, das alleine ist es aber nicht. Man macht große Augen, wenn man Liedern wie "Impulse Control" lauscht: Kleine Soundsensationen und man fühlt die feine musikalische Genetik, die sich dahinter verbirgt. You have to see the big picture!
"The Crux" erscheint am 30.9. auf Siluh Records
Natürlich werden auf der neuen Platte auch Weggefährten von Anno dazumal aus dem Jugendzimmer begrüßt, Whirlwind Heat haben das eine oder andere Mal im Weizer Zimmerchen vorbeigeschaut, Nirvana, Sonic Youth, Dinosaur Jr. und Pavement winken natürlich auch.
Susi Ondrusova/FM4
Auf "The Crux" sind all diese Referenzen gegenwärtig, man hat aber niemals und in keinem Moment das Gefühl hat, hier würde etwas kopiert werden. Man weiß insgeheim, dass einem diese eine Melodie da bekannt vorkommt, wie etwa in "Could Not Find A Disease To Fight", aber bloß woher? Das wird man nie herausfinden. Es ist vielleicht ein kollektiver musikalischer Gedanke, der bei einem angetipselt wird und den die Batteries so locker auszudrücken vermögen. Man spürt nur, die Batteries und Patrick Pulsinger haben hier etwas sehr gut gemacht.
Schön auch die detailreiche Bearbeitung der Arrangements, die mit viel Liebe zum Experiment entstanden sind: Zum erweiterten Raumkonzept auf der Platte passt es gut, dass sich in den Stücken sämtliche Naturgeräusche zwischen Vogelgezwitscher und Wellenplätschern finden. Freilich Spielereien aus Patrick Pulsingers Feedback Studio-Fuhrpark.
TOURDATES
29.9. Wien, Flex (Waves Festival)
30.9. Graz, Hans-Sachs-Gasse 10
20.10. Bern, Rössli
21.10. Basel, Hirscheneck
22.10. Zürich, Mars Bar
25.10. Innsbruck, Weekender
26.10. Dornbirn, Spielboden (+ Kreisky)
28.10. Oerlinghausen, Jugendzentrum
29.10. Oberhausen, Druckluft
31.11. Braunschweig, Nexus
04.11. Warsaw, Chlodna
18.11. Linz, Stadtwerkstatt
15.12. Wien, Chelsea
16.12. Salzburg, Arge
Vintage vs. Selbstgebastelt. Dreck vs. klares Klangbild
Ein seltenes, teures Museums-Stück wie die "Wave-Machine" findet seinen Weg in die Shoegazer-Reminiszenz "Worst of Total Anarchy": Ein Synthesizer, der in den 1980ern dafür gebaut wurde um mit gefaktem Ambiente den Raumsound zu erfrischen - mittels Sound-Imitaten von wabernden Meereswellen und prickelnden Regentropfen. Unendliche Weiten werden erschlossen in einem Punk-Melodiosium, in dem sich Noise, Punk und Pop die Patschhand schütteln.
Auch schön der "Mövinator", wie Wolfgang Möstl und Patrick Pulsinger in der Listening Session scherzhaft meinen: Ein selbstgebautes Instrument von Batteries-Sänger Wolfgang Möstl, irgendwas mit Gitarrenseiten, Drumsticks und einem Holzbrett, das klingt wie eine Möwe.
"The Crux" ist eine Verbeugung vor den Zeiten, die diejenigen, die jetzt gerade Mitte 20 bis Ende 30 sind miterlebt haben. "The Crux" ist eine Erinnerung an die Versprechen, die man sich irgendwann damals einmal selber gegeben hat. Nämlich, „dass man nie so wird wie die da". "The Crux" ist ein Aufruf, die eingeschlafenen Füße einmal gescheit in kaltes Wasser zu tauchen, am besten den Schädel gleich mit dazu. Und bitte, macht‘s doch wieder einmal ein bisschen Blödsinn! Und Leute, seid's doch nicht immer so ernst!
"We Need More New Wracks!", "Set Something on Fire!", "Quit Your Job and Work For Free, the Worst of Total Anarchy!"
Ja, bitte! Das kann alles kein Fehler sein.