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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

27. 9. 2011 - 17:03

Ägypten wird niemals seine Unabhängigkeit erlangen

In "Das junge Kairo" schrieb Nobelpreisträger Nagib Machfus in den 1930er Jahren über Ungerechtigkeit, Ungleichheit und das korrupte Leben in Kairo.

"Unser Land", philosophiert ein Student, "wird ausgeplündert und ausgebeutet, und die Verantwortung dafür liegt in der Hand reicher Schlappschwänze. Wie hoch wir auch aufsteigen, es wird immer weniger sein als wir verdienen."
"Das ist ein Land, wo man sich gern von der Obrigkeit treten lässt." (...)
"Ägypten wird niemals seine Unabhängigkeit erlangen."
"Es ist es gewohnt, von ausländischen Mächten beherrscht zu werden."

Nagib Machfus (1911-2006) hat 1988 als erster - und bislang einziger - Autor aus dem arabischen Raum den Nobelpreis für Literatur erhalten.

Protektion, Ungerechtigkeit und Unterdrückung stehen an der Tagesordnung. Wir befinden uns allerdings nicht in der Gegenwart, sondern im Kairo der 1930er Jahre. Damals schrieb Nagib Machfus den Roman über vier junge Studenten. Heuer wäre der ägyptische Literaturnobelpreisträger 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass ist der Roman erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Und ist aktueller denn je.

Das junge Kairo ...

Machfus schreibt von vier Freunden, die kurz davor sind, ihr Studium abzuschließen. Einer sucht seine Zukunft im Sozialismus, einer im Journalismus, einer im Islam und der vierte, Machgub, sucht vergeblich.
Machgub stammt aus sehr armen Verhältnissen, sieht nicht besonders gut aus und ist auch nicht besonders sympathisch. Im Gegenteil, er ist ein verbitterter Zyniker, der im Unterschied zu seinen Freunden nur eines will: Geld und Ansehen. Und er hasst alle, die davon mehr haben als er. Und er weiß, dass er ohne Beziehungen gar nichts werden kann.
"Ein Diplom ohne Beziehungen ist weniger wert als das Einwickelpapier beim Metzger."

Unionsverlag

Nagib Machfus: "Das junge Kairo", aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. Unionsverlag 2011

Weil ihm die Beziehungen fehlen, führt nur ein korrupter Weg in die obere Gesellschaftsschicht. So geht Machgub einen gefährlichen Handel ein – er heiratet eine Frau, die zwar auch aus armen Verhältnissen stammt, aber eine gute Partie ist, hat sie doch ein Verhältnis mit einem hohen Politiker. Der Politiker bezahlt die Wohnung für die beiden, kommt aber auch wöchentlich bei seiner Geliebten vorbei. Im Gegenzug hat Machgub einen sehr angesehenen Job und verdient gut. Er und seine Frau können dank Prostitution und einer großen Lüge Teil der wichtigen Gesellschaft sein. "Beide hatten sie ihre Seelen für Geld und Ansehen verkauft."
Machgub verdrängt seine Vergangenheit, seine Freunde, besonders seine Herkunft.
Als sein Vater erkrankt und dringend finanzielle Unterstützung von ihm braucht, verstellt sich Machgub. Eigentlich hofft er, dass seine Eltern bald sterben und ihn in Ruhe lassen.

... aktueller denn je

Hartmut Fähndrich ist einer der bedeutendsten Übersetzer arabischer Literatur. Ebenfalls von ihm übersetzt etwa Alaa al-Aswani: Der Jakubijan-Bau

"Das junge Kairo" ist vor über 80 Jahren geschrieben worden, liest sich aber erschreckend modern. Das liegt zum einen an der gelungenen Übersetzung von Hartmut Fähndrich, zum anderen an der schnörkellosen, direkten Sprache von Machfus und leider auch am Umstand, dass sich vieles in Ägypten kaum geändert hat:

"'Die Regierung', warf Machgub ein, 'also die Reichen und die großen Familien? Die Regierung ist eine einzige Sippschaft. Die Minister ernennen Stellvertreter aus dem Kreis ihrer Verwandten, und die Stellvertreter ernennen Direktoren aus dem Kreis der Ihrigen, die Direktoren wählen die Chefs aus den Kreis ihrer Familienangehörigen, und die Chefs wählen die Beamten aus dem Kreis ihrer Verwandten. Selbst die Bediensteten werden aus dem Kreis der Bediensteten der großen Haushalte ausgelesen."

Die Frustration gegenüber den herrschenden Strukturen, gegenüber Korruption und gegenüber Ungerechtigkeiten in Ägypten hat sich seit Generationen aufgestaut. Die Revolution kam also nicht von ungefähr. Dieses Buch hilft, die Gegenwart sehr viel besser zu verstehen.