Erstellt am: 27. 9. 2011 - 10:41 Uhr
Man vs. Machine
Die Entwicklung selbst ist keine neue: Kann sich noch jemand an die schönen Ideen erinnern, so etwa vor 20 Jahren, als mit dem Aufschwung von Techno der anonyme, gesichtslose DJ und Techno-Autor als utopisches Gegenmodell zum verkulteten Rockband-Rockstar hochgehalten werden wollte? Heute wissen wir, dass Gott ein DJ war, oder schicker Schmuck bei der T-Shirt-Boutique-Eröffnung.

Apparat
Als auch das langweilig wurde, und die Menschen bei den "Live-Auftritten" der Produzenten von im weitesten Sinne elektronischer Musik nicht mehr bloß gelangweilten Typen mit ihren Powerbooks oder beim Herumfingern an irgendwelchen Controllern zusehen wollten, wuchs in nicht wenigen Heimstudio-Tüftlern der Wunsch, die ganze zuhause am Rechner zusammenprogrammierte Angelegenheit für die Konzert-Performance etwas aufwändiger und interessanter, also möglicherweise mit Band zu gestalten. Während Gitarren-Bands die Elektronik entdecken, finden Elektoniker Freude im Organischen. Und umgekehrt und alles dazwischen.
I hear that you and your band have sold your guitars and bought turntables.
I hear that you and your band have sold your turntables and bought guitars.
Hat man nun also im vergangenen Jahr einen Live-Auftritt des Berliner Produzenten Apparat besucht, konnte man da nicht einen einsamen elektronischen Bastler hinter seinen Gerätschaften erleben, sondern eine vierköpfige, leibhaftige Combo mit echten Menschen und Instrumenten zum Dranherumzupfen und -klopfen. Das alleine ist nicht das Aufregende. "Der Grund, meine Solo-Performance in eine Band zu konvertieren, ist natürlich musikalischer Natur, aber auch sozialer. Man wird auch mal überrascht. Und das ist weitaus interessanter, als da alleine an seinen Loops herumzumachen."

Apparat
Die Freude am Menschlichen, Handgemachten, die jetzt "The Devil's Walk", das schon vierte Album von Apparat, trägt, ist Sascha Ring, dem Mann hinter dem Projekt, nicht erst vorgestern quasi aus dem Nichts ins Leben gefallen. Bislang ist Apparat als Hersteller emotional knisternder Rumpel-Elektronik aufgefallen, der die gerade Bass-Drum von Techno zwar ideologisch in der DNA sitzt, die dabei aber trotzdem immer wieder gerne windschief und verspielt übers Kopfsteinpflaster kullern darf. Für die renommierte "DJ-Kicks"-Reihe hat Apparat aus Dubstep-Derivaten und digitalem Songwritertum einen Listening-Mix für den Schaukelstuhl am Kamin geformt und mit seinen Homies von Modeselektor hat er in der elektronischen Super-Boygroup Moderat die Verschränkung von bouncenden Humptata-Beats mit süßlichen Melodeien vorgemacht.

Apparat
Die Entwicklung, die auf "Walls", dem letzten Apparat-Album aus dem Jahr 2007, schon deutlich wurde, findet jetzt mit "The Devil's Walk" einen vorläufigen Höhepunkt: die vielfach zitierte Drehung vom Techno-Track hin zum Songwriting. Aufgenommen hat Sascha Ring die Platte zusammen mit Patrick "Nackt" Christensen, den der eine oder andere noch von der Band Warren Suicide (von der demnächst ebenfalls ein neues Album erscheinen wird) kennen dürfte. Zusammen haben sie Gitarren gestreichelt und zarte Töne aus dem Piano gezaubert, immer wieder mal sind Gäste vorbeigekommen, um möglicheweise den Gesang von ein paar Violinen einzuspielen.
Zwar gab es auf "Walls" auch schon Songs - richtig tolle noch dazu - samt Stimmen zu hören, dort jedoch haben noch überdeutlich die Faktoren "Beats" und "Elektronik" das Fundament definiert. Es ruckelte und brummte, alles ratterte und zischelte. Kksch-brrr-tsss. Auf "The Devil's Walk" darf es jetzt durchaus auch noch gehörig klappern und im Karton rappeln, es dürfen Synthesizer-Wände schwelgen - dennoch spricht der Platte das Analoge und Filigrane aus jeder Faser, das System "Techno" liegt hinter den Bergen.
10 schöne Lieder sind Sascha Ring und Patrick "Nackt" Christensen für "The Devil's Walk" eingefallen: Zwei melodiös läutende Instrumentals, wie von den Chicagoer Post-Rock-Chefs Tortoise auf einem Blumentopf-Orchester eingeklöppelt. 8 Songs, durchzogen von dunklem Wein, schwermütig torkeln sie durch die Nacht und künden vom Lieben und vom Leiden und von der Euphorie und davon, wie sich das anfühlt, wenn man eine Haut aus Seifenlauge hat. Sascha Ring dehnt die zerbrechliche Stimme und flüstert hundert Chöre in den Wind. Auf einer Nummer singt Soap&Skin. Eine logischere Zusammenarbeit hat es nie gegeben.
Das alles geht sehr, sehr weit und spannt die Gefühligkeit mitunter ins schwer Erträgliche. Manchmal kann man auf "The Devil's Walk" auch hören, wie der Regen auf den vermutlich trostlosesten aller Asphalte tropft. Wer gerne wieder einmal sein Herz - mit aller Geilheit und allem üppigsten Schmalz - in der Brust spüren will, möge diese wunderbare Platte als Hilfsmittel benutzen.