Erstellt am: 23. 9. 2011 - 20:16 Uhr
Journal 2011. Eintrag 174.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Eintrag, dessen Betreten auf eigene Gefahr erfolgt. Es kommen Körperflüssigkeiten und andere schlimme Sachen vor. Don't you say I never did warn you!
In der Kantine gab es heute Fish 'n' Chips.
Naja, nicht wirklich, zumindest nicht mehr, als ich dort war. Die Chips waren aus, es gab nur noch Bratkartoffeln. Und der Fisch entsprach sowieso nicht nach klassichen Ansprüchen.
Völlig egal, ich kriege leuchtende Augen, wenn ich Fish & Chips höre. Automatisch.
Das hat einerseits mit der Kindgerechtigkeit des Gerichts zu tun: In Backteig frittierter Fisch ist klar besser als jedes dumme Fischstäbchen oder der öde Knusperfisch; und die dicken Chips können mehr als die normales Pommes.
Dazu kommt noch der Aspekt der Sozialromantik, auch durch mein seltsames 70er-Jahre-Bild von Großbritannien (und durch meinen dicken Englisch-Leher) geprägt: Fish 'n' Chips als das egalitäre Futter für alle; ein bissl die internationale Entsprechung der Burenwurst am Würstlstand hinter der Oper oder am Hohen Markt.
Und natürlich sehe ich den Vater von Ian Dury vor mir, der im Regen seinen Evening Standard liest, in dem anderstags die fetten Fischstücke serviert werden.
Dabei bin ich weder anglophil, noch ein großer London-Fahrer. Aber wenn, dann: Fish 'n' Chips. Mit Essig oder Pampe, ranzig oder frisch, egal wie die Kartoffeln beschaffen sind.
Die vielen anderen Insignien des angewandten Britentums sind mir recht egal. Diese eine nicht.
Die besten Fish 'n' Chips meines Lebens habe ich in Cape Town, Südafrika gegessen.
Ich war gerade ein paar Stunden dort - der erste Weg aus dem sicheren Hafen, dem Veranstaltungsort, zu dem ich gekarrt wurde, führte mich raus, auf die nahe Hauptstraße in die nächste Frittenbude.
Dort war es wie gemalt, ethnisch durchsetzt, dass Mandela vor Freude geweint hätte: ein Weißer und ein Inder hinter der Theke, davor ein gemischtes Pärchen (sie weiß, er asiatisch), dazu ein smarter junger schwarzer Businessman und ich, der Tourist.
Die Fish 'n' Chips waren umwerfend, kross und knackig, heiß und fest. Die draußen wartende Sonne ließ mich beglückt wieder retour ins Veranstaltungszentrum schweben.
Das war auch gut so.
Etwa fünfzehn Minuten nach diesem besten Essen des Jahres klopfte mein Magen an und ersuchte dringend darum sich ausstülpen zu dürfen. Die nächste Viertelstunde hab ich am Klo zugebracht. Kennt ihr dieses Gefühl alles, aber wirklich alles in einem Ruck rauszuscheißen? Dieses erschöpfende Gefühl völliger Entleerung, völliger Entschlackung?
Als gelernter Österreicher hatte ich eine Vorerfahrung, als törichter junger Mensch, der sich an Most oder Sturm vergreift, weil das ja kein echter Alkohol ist. So ein richtiger Most- oder Sturm-Übergriff auf den Körper kann Ähnliches auslösen.
Der südafrikanische Knall stand aber weit über allem.
Ich bin nach dem Klosett-Aufenthalt dann gut eine halbe Stunde wie auf Droge gewesen, erleuchtet durch Entschlackung, wie Ghandi, die Yogis, wie auf Watte.
Der Rest der Cape-Town-Aufenthalts war, verdauungsmäßig gesehen, dann ein Spaziergang. Die Fish 'n' Chips, was immer auch der Grund für meine heftige Reaktion war, und der anschließende Mega-Schiss hatten mich immunisiert.
Außerdem trat etwas nicht ein, was sonst bei solchen Gelegenheiten wie das Amen im Gebet folgt: dass man nach einer solchen Erfahrung das schuldhafte Lebensmittel nicht mehr riechen kann.
Ich habe einmal, als ich anlässlich einer wilden Rallye-ähnlichen Beifahrerei ordentlich abgereihert hatte, die Schuld daran (automatisch, als körperliche Reaktion) auf ein Maracuja-Getränk geschoben. Und das kann ich bis heute weder trinken noch riechen, ohne Übelkeit zu verspüren.
Empfehlung: die aktuelle Ausgabe des Magazins Dummy zum Thema "Scheisse".
Den Fish 'n' Chips hat ihr Durchbruch-Massaker nicht im Geringsten geschadet. Es hat mir keinen Widerstands-Automatismus eingeimpft und auch kein Qualitäts-Screening diktiert. Es geht weiterhin alles, auch Bratkartoffel-Ersatz und Labberfisch.
Solange bei Fish 'n' Chips die Idee dahinter mitschwingt, leuchte ich.