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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

23. 9. 2011 - 21:02

Ecstasy für E-Musik

Das Austrian Cultural Forum in NY lud zum dritten Mal zur Soundforschung im Festivalrahmen von Moving Sounds 2011. U.a mit dem Beatwunder Shigeto und Elektro Guzzi aus Wien.

Im Turm

Laut ACF-Leiter Andreas Stadler ist das Moving Sounds in New York das weltweit einzige Festival, das sich primär dem Sound als Objekt und Material widmet. Moderne Musik, DJ-Culture, Klangkunst, Noise, Klassik und Pop, das alles hat Platz in der aus dem Moving Patterns Festival hervorgegangenen Serie. Das Konzept klingt zunächst etwas unverbindlich, doch erst die große Klammer ermöglicht eine ungewöhnliche Programmierung: Von der modernen Kammermusik des Argento Chamber Ensembles über die Präsentation des in Linz und Barcelona entwickelten modularen Synthesizers Reactable (of Björk fame), der Panel-Diskussion über den Komponisten als Interpreten bis zur schweißperlenden Party mit dem New Yorker Beatwunder Shigeto und der Wiener Techno Band Elektro Guzzi reichte das diesjährige Offert an das New Yorker Publikum.

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Moving Sounds Festival, New York

acf

Ich besuchte zwei der insgesamt vier Tage. Und siehe da, der popaffige Mensch sollte sich öfters in den Raum zwischen E wie Ernst und Elektronik wagen. Der bei ähnlichen Gelegenheiten akademisch vorgetragene Katzenjammer einer Musik, die mittlerweile häufig weder modern noch besonders mutig ist, blieb aus. Nicht, dass zB Eva Reiter mit ihrer Gambe und diversen Utensilien wie einer Zahnbürste keine Abstraktion in Sachen Harmonik und Tonalität betrieben hätte. Doch die Art, wie die Wiener Komponistin und Interpretin ihren Instrumenten Klänge entlockte, zählte mit zu den packensten Performances von Musik, die ich bis dahin überhaubt miterleben durfte.

Moving Sounds Festival, New York, Eva Reiter

Christian Lehner

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner

Moving Sounds, New York, Eva Reiter

Christian Lehner

Moving Sounds Festival, New York, Reactable

Christian Lehner

Der Linzer Wissenschaftler Martin Kaltenbrunner präsentierte den Reactable. Für eine Session in der New York U-Bahn fehlten leider Genehmigung und Steckdose.

Erfrischend übrigens die Einschätzung aller Beteiligten des Festivals, mit denen ich gesprochen habe, dass die Musik, egal in welchem Bereich, vorerst an ihre formalen und expressiven Grenzen gestoßen zu sein scheint und auch in der forschenden Disziplin das Diktum des "Neuen" mittlerweile keine Priorität mehr genieße. Wie im Pop geht es auch hier um Kombinatorik, das Re-Arrangieren und die Neuverteilung von Rollen im Prozess des Musik- und Soundschaffens. Diese Erkenntnis macht den Weg frei für eine spielerisch neugierige Annäherung an die Materie, die das akademische Fach etwas von seiner starren Strenge befreit und so möglicherweise Bedingungen schafft, die erst recht Neues ermöglichen.

Moving Sounds Festival, New York, Eva Reiter

Christian Lehner

Weiter im Konzert der Eva Reiter Band (Yaron Deutsch begleitet und verdaddelt sich gelegentlich an der Stromgitarre): Es hilft nichts, aber die Umarmung und musikalische Verschmelzung mit dem phallischen Trum von einem Instrument namens "Paetzold Kontrabass Blockflöte in F" hat einfach etwas sehr Erotisches und nährte wohl nicht nur so manche Männerfantasie im Auditorium.

Im wahrsten Sinn des Wortes atemberaubend aber war Eva Reiters Spieltechnik und die damit einhergehende Intensität, die dem klobigen Klangerzeuger wahre Seufzer der Schöpfung zu entlocken vermochte. Versteht mich bitte nicht falsch, normalerweise bekomme ich die Krätze, wenn ich ein Didgeridoo nur aus der Ferne sehe und mit Esoterik braucht mir auch niemand kommen, aber DAS war eindeutig der Atem des Universums.

Im Club

Gut zwei Tage später an einer upgefuckten Ecke eines upgefuckten Blocks in dem ansonsten zunehmend schicken Williamsburg, Brooklyn. Ein kleiner Haufen ÖsterreicherInnen steht etwas verdattert vor dem Eingang des Underground Clubs Glasslands Gallery nahe dem East River. Es ist Sonntagabend und obwohl das funkelnde Manhattan am anderen Ufer den Mythos der niemals schlafenden Stadt nährt, ruht sich jene am späten Wochenende doch gelegentlich etwas aus. Um 9pm tut sich jedenfalls kaum etwas vor und im Glasslands und eigentlich sollte es bald los gehen.

Das Moving Sounds wagt mit dem co-veranstaltenden mica immer wieder den Schritt hinaus ins Feld. Das ist gut so. Interaktion statt Repräsentation ist nicht jeder staatlichen Kulturinstitutions Sache. Und die Szeneanbindung hilft den beteiligten Acts beim Networking. So kommt es auch im dritten Jahr des Moving Sounds zu Auswärtsspielen in Konzerthallen wie der Bohemian National Hall (in Zusammenarbeit mit dem Czech Center) und in einem der momentan angesagtesten Clubs der Stadt, der besagten Glasslands Gallery. Das ist nicht ohne Risiko. Obwohl die Underground-Venue auf einen beeindruckenden Auftritts-Roster verweisen kann – von Cant bis zur neuesten Provo-Chanteuse Lana Del Rey – handelt es sich dann doch um einen typischen DIY-Schuppen US-amerikanischer Machart. Es fehlt an allem und man gibt sich betont unmotiviert. Erst vor wenigen Wochen hat jemand die PA geklauft, die Improv-Anlage funktioniert nur zu 50 Prozent. Keine idealen Vorraussetzung also für die saiten- und drumsticksschwingende Techno-Live-Formation Elektro Guzzi. Dazu bloß fünf Minuten Zeit für den Soundcheck. Und dafür ist man nun extra über den großen Teich gekommen? Willkommen in New York.

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner

Drei Stunden später hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Die Hütte war schlussendlich doch noch halbwegs gut gefüllt und die Stimmung sehr ausgelassen. Es war beeindruckend zu sehen, wie sich die drei Elektro Guzzis Bernhard Breuer, Jakob Schneidewind und Bernhard Hammer das berüchtigt coole New Yorker Publikum Beat für Beat, Track für Track erspielten. „How do these crazy guys actually do it?“, fragte ein Tanznachbar. Er hörte Techno, er sah eine Rockband. Awesome.

Zuvor ging der von Detroit nach Brooklyn umgezogene Produzent, DJ und Performer Zach Saginaw aka Shigeto zur Sache. Der gelernte Jazzmusiker mit der großen Liebe zur Synkope brachte neben dem üblichen DJ-Kram sein Schlagzeug mit und ließ einen prallen Sack von Beats und Drum Rolls auf uns niederprasseln. Beheimatet auf dem guten Sound Label Ghostly International (Matthew Dear, School Of Seven Bells) versucht sich Shigeto an einem Brückenschlag zwischen analog gespielten und digital manipulierten Rhythmen. Kirrer Jazz, Detroit Tech, Squarepusher freundliche Breakbeat Attacken und ein Faible für langsame, dopey Hip Hop Beats charakterisieren seine Platten und Live-Auftritte.

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner

Das Zusammentreffen dieser beiden Acts würde in einem Chinese-Menu unter der Bestellnummer C 12 „Perfect Match“ aufscheinen. Prompt vereinbarte man ein Treffen für die verbleibenden Elektro-Guzzi-Tage in New York. Im Dunst der Feierlaune weiß ich gar nicht mehr, welcher der beiden Elektro-Guzzi-Bernhards (oder war es der Jakob) abschließend gesagt hat: „Eigentlich ist es eh überall gleich. Du findest immer ein/zwo Leute, die von der Musik Ähnliches wollen wie du, die totale Nerds sind. Und dann entsteht ein Netzwerk und das ist natürlich sehr schön“.

Moving Sounds 2011 ist Geschichte, der Rest das Geheimnis einer Nacht in Brooklyn.

Moving Sounds Festival, New York

Christian Lehner