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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

24. 9. 2011 - 09:23

Künstliche Aufregung

Der Papst zu Besuch in der Hauptstadt des Atheismus.

Kaum waren die Stimmen der Berlinwahl ausgezählt, stand diese Woche schon das nächste politische Großereignis an: Der Papst kam am Donnerstag nach Berlin und hielt nicht nur eine Messe im Olympiastadion, sondern sprach auch im Bundestag - ein Politikum.

"Not Welcome"-Anti-Papst-Plakate in Neukölln

EPA

Denn Berlin gilt ja als Hauptstadt des Atheismus - nur etwa ein Drittel der Berliner gehört einer christlichen Kirche an. Insgesamt sind 9% der Bevölkerung katholisch, davon sind wiederum 20% fremdsprachig. Die wenigen Berliner Katholiken kommen also hauptsächlich aus Polen, Spanien, Portugal, Kroatien, Korea, Rumänien, Indonesien und Sri Lanka.

Trotzdem oder vielleicht grade deshalb war die Aufregung groß, dass der Nachfolger Petri nicht nur Berlin besuchen, sondern auch im Bundestag sprechen und somit die Trennung von Staat und Kirche aufheben sollte. Als ungläubige Katholikin konnte man sich da über die künstliche Aufregung unter den ex-protestantischen und atheistischen Freunden nur wundern. "Es ist doch nur ein alter Mann, der Chef einer in Deutschland schwindenden Religionsgemeinschaft, er hat bei uns doch nichts zu sagen", gab man zu bedenken. Das war Wasser auf die Mühlen. "Und was das kostet, so ein Besuch! Und alle Straßen sind gesperrt!" fielen sie in den Chor der erbosten Berliner ein.

Dabei sind die Berliner doch sonst recht gelassen, ertragen mit stoischer Ruhe und Desinteresse wöchentliche Straßensperren wegen der Staatsbesuche homosexuellenfeindlicher und frauenfeindlicher ausländischer Politiker, Despoten und Menschenrechtsverletzer. Sie schleichen in der Innenstadt gelassen hinter Pferdekutschen, Segwayhorden, Bierbikern und Touristenbuskolonnen einher. Sie nehmen es hin, dass ihre Hauptverkehrsstraßen beinahe täglich wegen irgendwelcher sportlicher, politischer oder modischer Events von Ravern, Fußgängern, Skatern und Marathonläufer versperrt werden, aber wenn einmal in 500 Jahren der Papst kommt, regen sie sich über versiegelte Gullys, ein paar Absperrgitter und papamobilbedingten Umleitungen auf.

"Wo bleibt die souveräne Gelassenheit der Berliner?" fragte man sich da. So lange wie der Sturm der Entrüstung im Vorfeld anhielt, so schnell war dann aber auch alles wieder vorbei. Papst Benedikt war gelandet, hatte eine eher rechtsphilosophische Rede im Bundestag gehalten, 70 Abgeordnete waren dieser ferngeblieben, dafür kamen hinterher 70.000 Menschen zur Heiligen Messe ins Olympiastadion.

Nach der bewegenden Show, die ein begeistertes Publikum zurückließ, zog sich der Papst in seine Unterkunft in Neukölln zurück.

Papst mit Merkel und Wulff

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Vielleicht war sein Besuch in Berlin für ihn aber auch ein wenig lehrreich, vielleicht hat er gemerkt, wie weit er und seine Lehren von der Lebenswirklichkeit, sogar der gläubigen Berliner, ist.

Er wurde vom katholischen Bundespräsidenten, der geschieden ist und wieder geheiratet hat, also somit von der Kommunion ausgeschlossen ist, am Flughafen empfangen. Er sprach mit der protestantischen, geschiedenen Kanzlerin, deren Kirche der Papst nicht als Kirche "im eigentlichen Sinn" anerkennt, und trug sich an der Seite des offen homosexuellen katholischen Bürgermeisters - dessen Schwulsein für den Papst "eine objektive Störung im Aufbau der menschlichen Existenz darstellt" - ins goldene Buch der Stadt ein. Zur Anti-Papst-Demo unter dem Motto "Keine Macht dem Dogma" waren etwa 8.000 Menschen gekommen, von innerkirchlichen Kritikern, Missbrauchsopfern und ehemaligen Heimkindern über Theatergruppen, der großen Queerfraktion, Menschen in Nonnen- und Papstkostümen, Abgeordneten und Humanisten bis hin zu betrunkenen Punks und Linksautonomen.

Es gab ein Papamobil, zwei Gegenpäpstinnen, ein fliegendes Spaghettimonster wurde angebetet und die Kreuzigungsszene des "Leben des Brian" nachgespielt.

Am Freitagmorgen war der Papst im Rahmen seiner Deuschlandtour samt der ganzen vatikanischen Travelling Party dann schon wieder zu den nächsten Tourzielen Erfurt und Freiburg unterwegs. Und in Berlin kann man sich bestimmt bald wieder über was anderes aufregen.