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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 9. 2011 - 22:10

Journal 2011. Eintrag 173.

... oder auch: Fußball-Journal '11-102. Ist Maria Fekter Nikon Jevtic? Über das Gesetz der Straße und tiefsitzenden Antisemitismus.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit zwei Grenzgängern politischer Korrektheit.

Im Fußball ist die Sachlage einfacher.
Nikon Jevtic, der sich in Nikon El Maestro umbenannt hat, ist suspendiert, rausgeflogen.
Sein Verein hat ihn freigestellt. Grund: ein Video, das der junge Kicker in seinem Nebenjob als künftiger Rap-Star veröffentlicht hat mit einem Text, der eine US-Moderatorin, die Jevtic' Ehre als Serbe verletzt hat, rassistisch und sexistisch beschimpft.

Jevtic ist ein Sonderfall, aber vielleicht auch nicht untypisch.
Der in London geborene Serbe war schon als Volksschüler ein Kick-Wunderkind, spielte in Jugendmannschaften großer Vereine in England, Spanien und Deutschland, hatte eine Homebase bei der Austria und deren Akademie.
Jetzt ist er 18, hat seinen Namen offiziell in Nikon El Maestro geändert, aber sonst nichts erreicht: zu schwach fürs Ausland, zu schwach für die Austria und letztlich auch zu schwach für den SC Wiener Neustadt, in dessen Kader ihn zu Saisonbeginn Peter Stöger holte.
Einsatzzeit dort: Null Minuten.

Gut ist Nikon im Posieren. Für dasbiber etwa. Zitat: „Never mess with Serbians“ oder „Du magst es, wenn dir ein Serbe ins Gesicht ejakuliert“, disst der Eminem-Fan seine Gegner. "Das ist so auf der Straße. Wenn du jemanden nicht leiden kannst, greifst du ihn verbal an". Und wie so oft in solchen Fällen relativiert die Redaktion auch in dieser Face of the Month-Story nichts.

Fall 1: El Maestro

So geschehen mit einer US-Moderatorin, die dem serbischen Publikum von Belgrad, das Amy Winehouse knapp vor ihrem Tod von der Bühne buhte, eine Mitschuld gab und es als "Enttäuschung" bezeichnete. Nikons Gegenschlag erfolgte mit verbalen Angriffen der Marke "jüdische Hure". Warum er mitten im serbischen Text immer wieder das deutsche Wort "Gruppensex" fiel? Aktuell kann man es nicht mehr nachvollziehen: Jevtic und seine Rap-Kumpels haben den Track offline gestellt.
Zu spät - der Schaden ist bereits angerichtet.

Immerhin ist damit aber etwas passiert, was im anderen Aufreger, dem auf der großen österreichischen politischen Bühne noch aussteht: ein Eingeständnis von Schuld.
Klar, in Wahrheit wird Jevtic weiter nach der Maxime, die ihm seine Umgebung eingebleut hat, vorgehen: Wenn du jemanden nicht leiden kannst - greif ihn an. Aber nominell, nach den vorliegenden Fakten, hat ihn der kleine Maestro ohne Spielpraxis zurückgezogen, den Angriff.

Natürlich aufgrund des Drucks, den öffentliche Reaktionen auf so einen öffentlicher Auftritt nach sich ziehen, Reaktionen, die auch ein 18-Jähriger, der mit neuen Medien aufgewachsen ist, mittlerweile einschätzen kann (oder: können sollte). Denn dieser Druck beschädigt Karriereweg 1, den Fußball, ordentlich. Und Karriereweg 2, der Rap, existiert ja nur aus dieser kleinen Prominenz des Karrierwegs 1.
Mit anderen Worten: Jevtic hat, zurecht, Muffensausen und tut das, was "auf der Straße" in solchen Fällen üblich ist: Er tritt den geordneten Rückzug an. Und die aktuelle Pose sagt: Ja, vielleicht zu weit gegangen.

Den von ihm verwendeten Antisemitismus wird der junge Mann selber gar nicht verstehen: der ist im Zusammenhang mit Serbien und den USA Folklore.

Fall 2: La Maestra

Maria Fekter hat diese Karrieresorgen nicht. In der heutigen Kronen-Zeitung ist von einem TV-Format-Experiment die Rede, in dessen Rahmen die "I red, wia mia der Schnobl gwoxn is!"-Ministerin angeblich toll abgeschnitten hat. Weil sie authentisch rüberkommt, und nicht so zeiselig wie die beiden aktuellen Regierungs-Chefs und viele andere, heißt es da. Und dass "man" (da können wir jetzt nur raten: die Dichands? Raiffeisen? Schlaff & Taus?) sie schon als Spitzenkandidatin in Position bringen möchte für 2013.

Maria Fekter kann sich in ihrer Funktion als eiserne Innenministerin noch so viele Schnitzer erlaubt und Feinde gemacht haben: sie fällt bergauf. Und sorgt jetzt als Finanzministerin dafür, dass der innenpolitisch bislang unsexy konnotierte Playground Brüssel zum Hot Spot wird. Mit Sprüchen, die die Nation erregen. Und auch für Antisemitismus-Vorwürfe sorgen.

Fekter sprach von den Feindbildern, die aktuell aufgebaut würden, gegen die Banken und die Reichen. Und sie sagt, dass es sowas historisch schon einmal gegeben hat, in ähnlicher Diktion. Damals (in den 30ern) sei es auch gegen die Rothschilds gegangen, die Juden also, deren Kapitalmacht schuld an der damaligen Krise angelastet wurde.

Der Vergleich hatscht, sie formuliert patschert, aber an sich ist da nichts Ungehöriges dabei: der Hinweis auf den strukturellen Schuldzuweisungs-Wahn, der im historischen Fall Teil eines verbrecherischen Vernichtungs-Plans war, ist legitim.

Natürlich geht es Fekter um reine Klientel-Politik: die VP-Wähler unter den Reichen und Bankiers, die nicht wegen ihrer Stimmen, sondern wegen ihrer finanziellen Unterstützung der Partei wichtig sind, sollen beruhigt werden.

Die implizite Anklage des tiefsitzenden Antisemitismus

Diese Aussage haben nun so gut wie alle in den falschen Hals bekommen. Ich möchte behaupten, absichtsvoll. Und den flapsigen Spruch sofort benutzt um Maria Fekter wieder einmal eine aufzulegen, verbal.
Da auch dies Teil der Gesetzmäßigkeit ist, nach der die politischen Straße funktioniert, kommt auch die Antwort entsprechend: Wenn sie jemanden mit der Aussage zu nahe getreten wäre, täte ihr das leid.
Das ist, im Gegensatz zum jungen Herrn Jevtic, kein Rückzieher, sondern ein Relativierer. Frau Fekter ist sich nämlich keiner Fehlaussage bewusst; und weiß sich dabei in guter Gesellschaft etlicher Antisemitismus-Forscher.

Denn natürlich ist es, auch außerhalb klassisch alt- oder neonazimäßig geprägter Klassen, immer noch ein weitbverbreitetes Klischee, dass "die Reichen" oder "die Banken" mit "den Juden" in Verbindung gebracht werden. Diese und ähnliche Ostküsten-Sprüche kriegt man von Proleten, Bürgerlichen, auch von Linken genauso zu hören wie von Nationalen. Das ist der eingesessene Antisemitismus in Österreich.
Der ist deutlich stärker als ein Dummbeutel-Rap eines gescheiterten Fußball-Talents. Der ist auch deutlich schwerwiegender und nachhaltiger als die Aufregung um einen beuwsst missverständlichen Sager einer belasteten Ministerin.

Und letztlich ist es Maria Fekter zugutezuhalten, dass sie diesen tief verwurzelten Antisemitismus breiter österreichischer Bevölkerungs-Schichten wieder einmal thematisiert hat; bauerntheatermäßig, ja, aber immerhin.