Erstellt am: 22. 9. 2011 - 15:50 Uhr
Vom Erinnern und Vergessen
Monique Schwitter hat in ihrem neuen Buch vierzehn Geschichten geschrieben, die alle vom Erinnern oder Vergessen handeln.
Florian Thiele
Eine alternde Schauspielerin, die sich ihren Text nicht mehr merken kann, der tragische Unfall eines Sohnes, dessen Todestag jedes Jahr begangen wird, die Geschichte einer verlorenen Freundin. Es sind fast jedesmal existentielle Erfahrungen - Krankheit, Tod oder schicksalshafte Begegnungen - von denen Schwitter erzählt.
Dabei dramatisiert sie nichts, sondern konzentriert sich auf Alltag und Gedanken ihrer Figuren. Im Text "Andante con moto" z.B. entspinnt sie das Schicksal einer Familie ausgehend von einer Tauffeier. Die ungläubige Patentante unterdrückt in der Kirche einen Lachkrampf:
"Sich zu reproduzieren war doch ein Verbrechen. (...) Warum bekamen Kinder unter Garantie alles Schreckliche von beiden Elternteilen ab? Nicht auszumalen, was das für Lilith bedeutete (es war ja in ihrem zarten Alter längst noch nicht alles sichtbar und abzusehen)! Oder für den armen Maxim! In seinem Fall (...) hieß das: Schweißfüße und Juckreiz, dünnes Haar und spröde Nägel, Platt- und Spreizfüße, Mundgeruch und Migräne, Schuppen und Warzen, Krampfadern und Orangenhaut, Blähbauch und Rotznase. Dazu die Neigung zur Fettleibigkeit, ein schwacher Rücken, degenerierte Kreuzbänder sowie dünne Lippen, eine dicke Nase, fleischige Ohren, ein kurzer Hals. Bravo!"
Emotionaler Ballast
Monique Schwitter hat bei Wortlaut 2002 den zweiten Platz gewonnen - für sie der Start in ihre literarische Karriere. 2005 ist ihr Debütband "Wenn's schneit beim Krokodil" erschienen, 2008 ihr erster Roman "Ohren haben keine Lider".
Die körperlichen Unzulänglichkeiten stehen hier stellvertretend für all den emotionalen Ballast, der in Eltern-Kind-Beziehungen, bei Paaren oder in Freundschaften unweigerlich weitergetragen wird. Schwitters Geschichten sind damit voll beladen. Wie die Vergangenheit einen Menschen immer wieder einholt und im Verhalten prägt, beschreibt sie in "Die Schaukel". Eine Geschichte über Mutter und Tochter, die seit Jahren um den toten Bruder trauern.
"Es kam Melanie bereits bei ihrer Ankunft am Flughafen vor, als sei sie nie weg gewesen. Alice und sie machten nahtlos dort weiter, wo sie ein Jahr zuvor aufgehört hatten. Als hätten sie Angst, der Urgrund ihrer Beziehung geriete ins Wanken, wenn sie anfingen, sich mit dem auseinanderzusetzen, was das Leben an Neuem hervorbrachte, statt sich dauernd auf die Vergangenheit zu beziehen, die gleichzeitig ihre Verbindung nährte und sie beide fast erstickte. Sydney war längst kein Thema mehr, die Akte geschlossen und archiviert, um wieder Platz zu machen, für das, was viel weiter zurücklag und Grundstein der tiefen und belasteten Verbindung zwischen Mutter und Tochter bildete: Philipps Tod."
Geschichten zum Wiedererkennen
Literaturverlag Droschl
Was und wie erinnert wird, ob Ereignisse einfach vergessen, bewusst aufgearbeitet oder verdrängt werden, sind das durchgängige Thema im Erzählband "Goldfischgedächtnis".
Alle Figuren werden von früheren Begebenheiten aus ihrem Leben gesteuert, ob sie es wollen oder nicht. Trotzdem ist Schwitters Ton niemals verzweifelt, ihre Sprache im Gegenteil direkt und unpathetisch. Jedesmal schafft sie es, den Charakter ihrer Figuren mit wenigen Worten so offen zu legen, als würde man sie schon ewig kennen. Mit jeder ausgelesenen Geschichte verabschiedet man einen alten Bekannten. Ob der sympathisch war oder nicht, ist nebensächlich, vertraut ist er einem in jedem Fall, sein Handeln verständlich.
Aus den Vergangenheiten, die Monique Schwitter auf diese Weise heraufbeschwört, entsteht aber auch immer etwas Neues. Familien, die ihren Frieden finden, Fragen, die endlich beantwortet werden. Beim Lesen jedenfalls kann man sich in diesen vierzehn Geschichten stellenweise wunderbar wiedererkennen.