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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 9. 2011 - 23:00

Fußball-Journal '11-101.

Das Elend des österreichischen Fußballs; im Praxistest - als einer von 247.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute wieder einmal mit einem Ausflug zum ÖFB-Cup, dem effektivsten Downer seiner Zunft.

Siehe auch Einer von 2312 vom April 11, Der kleine Cup von November 10, Das schiache Stiefkind von August 10 oder Einer von 2536 vom April 09 und vor allem ÖFB-Baustelle Cup, anlässlich des Matches Austria Amateure - Simmering.

Inhaltsangabe:
1) Das Elend der Lieblosigkeit der Cup-Abwicklung
2) Das Elend des untercoachten Zweitliga-Teams
3) Das Elend des Unterbaus am Beispiel der sogenannten Amateure
4) Das Elend der Fankultur unter besonderer Berücksichtigung des Feindbilds "Schwule"

Anlass: das Zweitrunden-Cupspiel Austria Amateure gegen LASK von heute Abend.

Zu Punkt 1

Dass sich nur 247 Zuschauer in der Generali-Arena, die im Europacup glücklicherweise immer noch Horr-Stadion heißen darf, einfanden, hat nicht so viel mit dem bösen Wetter (nass, kalt, und das nach einem 20-Grad-Absturz) zu tun. Auch nichts mit besserer Alternativ-Kost (die Rapid-Amateure gegen Wolfsberg wären mir als Wiener auch noch bereit gestanden; ich bin aus Kontinuitäts-Gründen nach Favoriten gefahren). Sondern ausschließlich damit, dass weder der Ausrichter (der ÖFB) noch der Veranstalter (die Wiener Austria) irgendein Interesse an einem gut gefüllten Haus hatten.
Der ÖFB hat - bis auf ein hervorragendes Datenservice genau keine Promotion-Maßnahmen für seine ureigene Veranstaltung, den Cup - gesetzt, und das trotz neuen Sponsors, der auch kein relevantes Commitment zeigt. Und der Heim-Verein war auf seiner Homepage nicht einmal imstande anzuzeigen, wo denn das heutige Match genau stattfinden würde (zuletzt wich man, genauso ankündigungslos, auf einen Nebenplatz aus).
Der ÖFB-Cup ist den großen Playern, vor allem in seinen ersten Runden, schlicht und ergreifend wurscht.

Das hat viel damit zu tun, dass der ÖFB (trotz seiner wurmstichigen Versprechungen, die schon in dem Moment, als sie die Lippen des Versprechers verließen, von allen Auskennern als Schmäh abgetan wurden; was in der nächsten Saison mit Leichtigkeit zu beweisen war) auch 2011/12 wieder die Cup-Regel "ein Bewerb, eine Mannschaft" gebrochen hat, und die Amateur-Teams der Bundesliga-Clubs zuließ. Die Teilnahme dieser Vereine bringt ein schnuckeliges Startgeld von 5000 Euro und verhindert, dass mehr kleine Provinz-Vereine mehr interessante Gegner bekommen. Irgendein OÖ-Landesligist hätte sich über den LASK einen Haxen ausgefreut, auch in Tirol oder im Burgenland hätte der Menschen gezogen - die Austria Amateure brachte 246 Leute und mich auf die Tribüne. Die Rapid-Amateure, intern ähnlich untergebuttert, schafften auch nur knappe 300 - das sind die beiden allergeringsten Besuche der ohnehin (katastrophal beworbenen und deshalb auch) so gut wie unbesuchten Dienstag-Spiele der Cup-Runde.

ÖFB-Replik auf Kritik an der Amateur-Teilnahme.

Die bewusste und destruktiv gesetzte Verelendung des ÖFB-Cups (in der 2. Runde sind noch drei zuschauerlose Amateur-Teams dabei, in der 1. Runde waren es mehr als doppelt so viele - insgesamt hat man etwa zehn Cup-Matches so in den Sand der Unsichtbarkeit gesetzt) ist ein Drama, das sich aus der reinen Gier speist.

Die ist in allen Belangen zentraler Antreiber für lächerliche Strukturen. In einem Land, dessen Geopolitik und Klima für klamme Kälte und krosse Hitze sorgen und weite Teile des Jahres eigentlich unspielbar machen sind 36 Meisterschaftsrunden (zumindest 6 mehr als nötig) und die Cup-Termine schon deutlich zu viel. Anstatt hier einen effizienten Kalender zu basteln, wird jede Möglichkeit angenommen noch 5000 Euro rauszuzutzeln - ohne eine entsprechende infrastrukturelle Gegenleistung hinzustellen.
Natürlich spottet so ein Cupspiel jeder Beschreibung, erinnert in seiner Abwicklung an den Ostblock der 80er.

Nach dem Spiel kam es nach übereinstimmenden Zeugenaussagen zu Übergriffen von extra wegen der Aussicht auf eine Schlägerei aufmarschierten Austria-Hools (die zuvor nicht im Stadion waren) gegenüber den mitgereisten maximal 30 LASK-Fans. Von LASK-Seite wird eingeklagt, dass Veranstalter und Polizei (womöglich wider besseres Wissen) ihr Aufsichts-Pflicht mit dem Schlußpfiff eingestellt hatten. Die Austria hat einige der Schläger ausgeforscht und mit Stadionverbot belegt. Wie effektiv eine solche Maßnahme ist, kann man sich anhand der Tatsache, dass die Schläger auch bei diesem Spiel eh gar nicht im Stadion waren (sondern sich nachher, als niemand mehr aufgepaßt hat, Zutritt verschafften) selber ausrechnen. Elend.

Die sonst so wortreich auftretenden Landespräsidenten sind in dieser Angelegenheit im Übrigen mäuschenstill - anstatt die Interessen der kleineren Vereine zu vertreten, und die Amateur-Teams der Großen endlich aus dem Cup zu kicken, schweigen sie still vor sich hin.

Zu Punkt 2

Ich hatte ja Hoffnung. Der Brasilianer Luis Henrique, der aus den Regionalmeisterschaften von Sao Paolo nach Linz kam, ist nämlich ein echter Zehner, also ein offensiver Mittelfeldspieler.
Und Walter Schachner, der LASK-Coach, hatte ja angekündigt ihn spielen zu lassen.
Das geht an sich nicht zusammen.
Schachners System, das er, seit immer, seit er Coach ist, spielen lässt, zum Erbrechen redundant, kennt keinen offensiven Mittelfeldspieler.
Schachner spielt ein flaches 4-4-2, mit zwei Sechsern, die offensiv nichts dürfen und auch nichts können sollen. Schachner ist schon Rene Aufhauser, ein defensiver Mittelfeldspieler der alten Schule, zu offensiv.

Ich war also neugierig, wie der neue LASK mit Luiz Henrique, der auch noch den Zehner auf dem Buckel trägt, aussehen soll.

Die Realität im leeren Horr-Stadion wischt dann alles weg: Henrique spielt einen Sechser mit dem Aktionsradius des legendären Wiggerl Drechsel (Mittelkreis). Das Spiel des LASK geht so: Die Abwehr treibt den Ball zu Ulrich Winkler, den Schachner von einem wenig aufbaufähigen Verteidiger zu einem wenig aufbaufähigen Mittelfeldspieler umschulte, der schiebt quer zu Henrique, und der spielt einen Longpass über das verwaiste Gebiet, das eine andere, schlauer organsierte Mannschaft als offensives Mittelfeld nützen könnte; entweder in die Spitze, oder auf die Flanken.

Für einen Gegner wie die Austria Amateure reicht das; gerade noch. Für einen Platz in der Bundesliga geht sich dieses Spiel, der Schachnerismus nicht aus; mit dem Aufstieg wird's auch schwierig.

So kann man nämlich nach einer Führung gegen einen personell unterlegenen Gegner super kontern, mit den schnellen Flügelakteuren - ein Spiel machen kann man so nicht.

Zu Punkt 3

Die Austria Amateure werden von einem jungen Coach trainiert, der sich jetzt schon als Bundesliga-Trainer auf Abruf sieht. Ivo Vastic zählt die Tage, bis ihn endlich die erste Liga-Mannschaft anfleht, doch den Trainer zu machen. Als Foda-Nachfolger bei Sturm ist er schon im Gespräch. Ivo, der einzige EM-Endrundentorschütze Österreichs, toller Spieler ... Was hat er eigentlich als Coach vorzuweisen? Nicht viel.

Heute Abend noch weniger als nicht viel.
Vastic ließ seine Mannschaft, ein junges Team aus fast ausschließlich Unter-20-jährigen, das vor Talent nur so strotzt, völlig zerfleddert über die ganze Platzbreite spielen. Verschieben? Ach wozu ...

Dabei war das grundsätzliche System von Vastic durchaus originell: Vor der Vierer-Abwehr und dem Einzel-Sechser Dos Santos spielen zwei offensive Mittelfeldspieler auf den Halbpositionen, zwei auf den Flügeln und einer im Sturm-Zentrum. Diese 5 Akteure haben zwar eine Grundordnung, wechseln aber dauernd durch.
Das hat was, theoretisch, aber es klappt nicht.
Zum einen, weil die fünf Rochierer nicht nur den Gegner, sondern auch sich selber mehr verwirren (das wird in der 2. Hälfte, als alle Position behalten, besser); und zum anderen durch die bereits angesprochene Breite des Spiels. Dadurch, dass Vastic seine Flügel wirklich außen hinstellt, muss seine Mannschaft das gesamte Feld ausfüllen.
Das mag sich bei kleinen Spielfeldern, auf denen man sonst in der Regionalliga vielleicht aufläuft, angehen - im Horr-Stadion ist das ein veritabler Knieschluss.
Also: vercoacht. Ganz kapital sogar.

Das Elend der Amateur-Teams zeigte sich auch am neben Dos Santos zweiten Über-20-jährigen: Patrick Salomon. Der wurde vor einem Jahr von der Austria eingekauft, wie viele andere Austro-Talente - und bekam nie eine echte Chance im A-Team. Statt ihn zu einem Erstliga-Verein oder einer Mannschaft im unteren Bereich der Bundesliga zu schicken, wo er sich als Leistungsträger entwickeln kann, pendelt er zwischen Bank, Tribüne und Amateuren. Salomon sah man in jeder Aktion an, dass er deutlich mehr kann als die Jungen, aber auch, dass ihn diese ausweglose Situation extrem anpisst. Einen Spieler derart vorzugeben - auch eine spezielle Art des Elends im österreichischen Fußball.

Und noch kurz zu Punkt 4

Im Cupspiel der Amateure gegen Simmering im Juli waren es noch die Simmering-Fans, die sich auf der Tribüne ihre rassistische Grauslichkeit von ihrer geschwärzten Seele schreien mussten - vor allem gegen die "Tschuschen" bei der Austria (dass bei Simmering mehr Spieler mit Migrations-Hintergrund auf dem Platz standen, Meingotterl, man wird sich doch seinen Rassismus durch Fakten nicht wegchecken lassen).

Dubiose Sache: das Tor wurde trotz des Zusammenpralls gegeben; die Bergung Arnbergers dauerte neun Minuten, der Schiri liess nur sieben nachspielen. Auch ein wenig elend...

Das Feindbild diesmal: Der Spieler, der das erste Tor erzielte, bei dem sich Austria-Tormann Günther Arnberger das Schienbein brach. Der war danach bei jeder Ballberührung "schwul". So halt, weil "schwul" so ein Jolly-Begriff für alles Blöde ist, für alles, wo man als Fan dagegen ist. Schwul eben.

Dabei sind die paar Austria-Fans (es waren ja außer mir nur 246) gar keine lallenden Hools oder übergeschnappte Ultras oder Typen, die sich auch sonst im echten Leben wie debile Drecksäcke benehmen, sondern Menschen, die sich einer durchaus gepflegten und normalen Sprache bedienen. Nur dann, wenn es um diesen Reflex geht, mit dem man "die anderen" zur Sau macht, dann kommt es raus, das mit den Schwulen.

Ich will jetzt gar nicht mit der Faustregel anfangen, dass Männer, die oft und laut über Schwule pöbeln (in hoher Korrelation) ein Problem 'in the closet' haben. Ich will auch nicht wieder damit anfangen, dass echte Fankulturen in echten Fußball-Ländern sich hauptsächlich damit beschäftigen die Stärken des eigenen Teams zu besingen und sich mit wilder Poserei zur Hervorhebung des eigenen Könnens beschäftigen und kaum Wert drauf legen sich mit etwas Unwichtigem, wie dem Gegner zu beschäftigen.

Aber abgesehen davon, dass die hiesige Fankultur sowohl offenbar ein Problem mit dem eigenen Coming-Out als auch ein Problem mit dem eigenen Selbstbewusstsein hat, ist diese Fixierung auf das Feindbild "Schwule" einfach das Hinterletzte.

Wäre sowas eine Alternative? Womöglich...
Und hier noch eine andere konstruktive Idee.

Und es macht klar, warum das letzte Tabu, nämlich die Unsichtbarkeit des schwulen Fußball-Profis, in Österreich bis zu Sankt Nimmerlein hin verschoben werden muss; da orientiert man sich lieber an rigiden, homophoben und tiefreaktionären Fußball-Kulturen wie der serbischen als an Europa. Ein Elend. Aber das sagte ich bereits.