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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

21. 9. 2011 - 12:48

Die fliegenden Mazedonier

Bei der diesjährigen Basketball EM erreichte die Republik Mazedonien den größten sportlichen Erfolg ihrer jungen Geschichte.

Als ich ein Teenager war, wollte ich Profibasketballspieler werden. Ich hatte ein Poster mit Michael Jordan an der Decke über meinem Bett. Das erste, was ich gesehen habe, wenn ich die Augen öffnete, war das Siegeslächeln des “Chicago Bulls”-Stars. Als ich schlafen ging, sah Michael Jordan auf mich “von oben” herunter. Damals lebte ich mit meiner Familie in Berlin und hatte mich bei einem Basketballverein angemeldet. Ich hatte schnell begriffen, dass ich keine Zukunft als Basketballspieler habe. Meine Mannschaft “Tus Neukölln” war die zweitschlechteste Basketballmannschaft in ganz Berlin. Die schlechteste war die zweite Mannschaft unserer Mannschaft. Trotzdem ging ich gern zum Basketballtraining. Im “Tus Neukölln” war die Mehrheit meiner Mitspieler aus migrantischen Familien. Ich spielte zusammen mit Russen, Polen, Türken und Armeniern. Auf dem Basketballplatz war es egal, wo du geboren bist. Es zählte nur, wie hoch du springen kannst.

Basketball Korb

flickr.com/ryan_fung

Mein bester Freund aus dem Team war Igor aus Bitola, Mazedonien. Vielleicht, weil wir uns auf einer gemeinsamen slawischen Sprache verständigen konnten. Seine Eltern waren Wirtschaftsflüchtlinge. “Mazedonien ist ein sehr schönes Land”, sagte sein Vater einmal, “aber Steine kann man leider nicht essen.” Mit Igor war ich ein Team, auf dem Platz und auch außerhalb. Ich habe einige der schönsten Flüche meines Lebens von ihm gelernt.

Ich habe neulich an Igor gedacht, weil ich gerade die Basketball-EM verfolgt habe. Bei dieser EM erreichte die Republik Mazedonien das Halbfinale. Trotz ihrer Außenseiterrolle verloren die Mazedonier nur gegen die künftigen Europameister aus Spanien. Das ist der größte sportliche Erfolg in der Geschichte eines der jüngsten europäischen Staaten. Ich freue mich für dich, Igore, wo immer du auch bist!

Tausende feierten in Skopje den Erfolg der Basketballnationalmannschaft Mazedoniens. Der größte Star ist ein etwas dunkelhäutiger Mazedonier aus New Orleans - Bo McCalebb. Die Homepage der NBA kommentierte das so: “Bo McCalebb wird für ein Abendessen in Mazedonien nie wieder etwas zahlen müssen.”

Bo McCalebb

AFI/VALDA KALNINA

Bo McCalebb

Wie so oft ist Sport ein Katalysator des Selbstbewusstseins von einem der kleinsten und ärmsten Völker in Europa geworden: “In Mazedonien gibt es nichts, außer Steine”, sagte Igor früher. Jetzt gibt es auch Basketball. Dazu kam, dass der Siegeszug der Mazedonier bei der EM mit einem Sieg gegen Griechenland angefangen hatte, eine ausgewiesene Basketballmacht in Europa. Außerdem stellen die Griechen Ansprüche auf den Namen Mazedoniens. Laut ihnen ist das Wort “Mazedonien” griechisch und kein anderes Land darf sich so nennen. Auch Bulgarien und Serbien - zwei andere Länder, die sich paternalistisch gegenüber Mazedonien verhalten - waren in der Endwertung der Basketball-EM hinter den Mazedoniern.

Ich frage mich, ob die Teenager in Mazedonien heute ein Bo McCalebb Poster über ihren Köpfen haben, wie ich früher eins von Jordan. Und ob sie auch beten: “Du Bo McCalebb, der du von oben schaust, gib uns Brot. Wenn nicht Brot, dann wenigstens noch einen Sieg!”