Erstellt am: 19. 9. 2011 - 17:41 Uhr
Journal 2011. Eintrag 171.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer zwar seltsamen, aber doch zu erwartenden Entwicklung, was die Selbstreflexion der österreichischen Medien betrifft. Im übrigen gilt für alle Erwähnten die Unschuldsvermutung.
In weiten Teilen funktioniert Österreich so: es wird viel geredet in den einzelnen Bereichen und Szenen, aber über den Elefanten der dick und fett im Zimmer sitzt, verliert keiner ein Wort, öffentlich.
Das ist tabu.
Alle wissen, dass Constantini seine Kicker ohne jedes taktische Konzept aufs Feld schickt - öffentliche Erwähnungen passieren maximal in subtilen Andeutungen.
Alle wissen, dass im österreichischen Polit/Wirtschafts/Medien-Komplex strukturelle Korruption an der Tagesordnung ist, thematisiert wird es maximal in Randbemerkungen.
Und alle wissen, dass die der aktuelle Kanzler seit Jahren alle wesentlichen Entscheidungen im Doppelpass-Spiel mit seinen Unterstützer-Medien trifft - analysiert wird das allerdings nur im Rahmen der Satire.
Wie Faymann die Medien-Orgel bedient, das hat dieser Tage der Kurier mit ein paar Enthüllungen seiner Investigativ-Abteilung offengelegt.
Angriff und Konter
Das ist ganz schön riskant.
Denn einerseits hat der Kurier mit der dabei indirekt angegriffenen Kronen-Zeitung eine direkte Verlags/Besitzer-Überschneider. Und zum anderen kann man sich sicher sein, dass die Angegriffenen, sowohl politisch als auch medial Mächtige sofort zum Gegenangriff übergehen und alles, was sie an schmutzkübel-tauglichem noch im Köcher haben, einsetzen werden.
Und weil in der Medien-Branche so gut wie alle Dreck am Stecken haben, ist eine Schlammschlacht hier unumgänglich.
Genau deshalb hat das Gleichgewicht der Kräfte den Elefanten (im konkreten das, was der SN-Chefredakteur heute das System Faymann nennt) bislang unsichtbar gehalten: weil ein offener Diskurs über das, was hier passiert, allen Beteiligten schaden würde.
Aktuell sehen wir also wohin die Dynamik, die dieses interessante Phänomen ausgelöst hat, uns noch führt. Was nämlich passiert, wenn jemand aus dieser Koalition der Omerta auftritt und ohne Rücksicht auf Verluste vorgeht.
Schusslinien und Aufklärung
Das hat der Kurier riskiert mit der Veröffentlichung von Dokumenten und deren deutlicher Kommentierung. Und klarerweise hat er sich damit in eine direkte Schusslinie begeben, die die einen als Scharmützel, die anderen bereits als Zeitungskrieg interpretieren.
Dass sich vor allem "Österreich" in aller Härte gegen die Kurier-Angriffe wehrt, ist nachvollziehbar: für den Fellner-Clan hängt von dieser Affäre das ökonomische Überleben ab. Für den Dichand-Clan (die Krone und Heute) steht lang nicht soviel auf dem Spiel - weshalb die Reaktionen dort auch verhaltener sind.
Wirklich interessant wird es aber erst wenn man sich die Unbeteiligten anschaut. Da ducken sich die einen, denen man eigentlich das höchste liberale Analyse-Potential zugemutet hat, verlegen weg. Und ausgerechnet 'Die Presse', die genauso angreifbar wie etwa der Kurier ist, stellt sich in der Blattlinie seines Chefredakteurs vollständig auf die Seite der Aufklärer.
Profit und Gefügigmachung
Jetzt, wo jemand (Rainer Fleckl und Erich Vogl, um es zu personalisieren) den Bann gebrochen, den Damm geöffnet und den Elefanten sichtbar gemacht hat, bricht es auch aus Fleischhacker hervor: " Das Gefügigmachen von Medien durch lukrative Inseratenaufträge gehört schon immer zum Standardrepertoire austriakischer Korruption." Und er veröffentlicht auch gleich das Risiko "... dass auch wir als in Wien ansässige, überregionale Zeitung von den Regierungsgeldern, die in Medien fließen, überproportional profitieren."
Das ist womöglich der Beginn eines konstruktiven Diskurses über die Rolle der Medien innerhalb des politisch-ökonomischen Komplexes zwischen Besitz-Verhältnissen, Inseraten-Zuschiebereien und politischer Einflussnahme.
Das ist wünschenswert.
Und das ist überfällig, überreif.
Better now than never, klar.
Aufschnürung und Diskurseröffnung
Allerdings ist das allgemeine Interesse an diesem, jetzt öffentlichgemachten Elefanten im Zimmer, mittlerweile relativ gering. Dadurch, dass letztlich viele schon geahnt hatten, was da passiert und diejenigen darunter, die die defensive "Wir spielen mit und sagen nix!"-Rolle der Medien durchaus als abscheulich empfunden haben, jetzt nicht das große Erregungs-Potential in sich freisetzen können, verpufft die Wirkung dieser Aufdeckung ein wenig.
Die Rolle der Medien wurde bislang eh großteils als die eines Mitschuldigen eingeschätzt. Von den Interessierteren.
Die, denen alles wurscht ist, denen bleibt auch weiterhin alles wurscht. Das sind allerdings tendenziell die Krone/Österreich/Heute-Leser, also Menschen, die sich so macht- und einflusslos fühlen, dass ihnen Querelen der Mächtigen komplett egal sind.
Um diese Schicht für den gerade aufgeschnürten Medienskandal zu interessieren, hätte man also deutlich früher aufstehen müssen. Jetzt bleibt also nur noch die Möglichkeit ein neues mediales Selbstbild und Selbstverständnis zu entwickeln, eine klare Abgrenzung gegenüber Praktiken, die strukturelle Korruption fördern, zu ziehen.
Dafür stehen die Chancen gerade so gut wie noch nie.
Immerhin.