Erstellt am: 18. 9. 2011 - 13:22 Uhr
"Keine Ausreden mehr"
"1000 Euro für jeden"- das wünscht sich der dm-Gründer Götz Werner. Mit seiner Plattform Unternimm die Zukunft setzt er sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Werner ist der fixen Ansicht, dass finanzielle Sicherheit für alle die Gesellschaft revolutionieren würde.
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- Götz Werners Initiative Unternimm die Zukunft
- Morgen startet die Internationale Woche des Grundeinkommens
Was ist Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens?
Der Mensch braucht ein Einkommen, um leben zu können. Ohne Einkommen können sie in dieser Gesellschaft nicht leben. Das bedingungslose Grundeinkommen sichert dem Menschen, dass er davon zumindest bescheiden, aber menschenwürdig im Sinne unserer Verfassung leben kann. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen kann der Mensch gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen. Jeder Bürger bekommt ein Grundeinkommen im Vertrauen der Gesellschaft darauf, dass er dann zeigt, was er kann.
Sie haben ein Buch mit dem Titel "1000 Euro für jeden" geschrieben. Ist das die Summe, mit der man bescheiden, aber würdig leben kann?
Das kommt immer auf die Verhältnisse des jeweiligen Landes an. Das galt in dem Fall für die BRD. Das Kriterium ist immer bescheiden, aber menschenwürdig im Sinne des Grundgesetzes' Die Würde des Menschen ist unantastbar. Gerade die jungen Menschen brauchen es, um eine Perspektive zu haben. Damit sie unabhängig sind von anderen. Damit sie wählen können, was ihnen entspricht und es ausprobieren können. Das Grundeinkommen gibt dem Einzelnen einen Freiraum, um das zu tun, was er für sinnvoll und als Notwendigkeit erachtet. Sich in die Gesellschaft einbringen will letzten Endes jeder.
Wie würde sich eine Gesellschaft mit bedingungslosen Grundeinkommen gestalten?
Es wäre eine Gesellschaft, in der unsere gesellschaftlichen Ziele "Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit" realisiert wären. Deshalb sage ich immer "Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen". Es ermöglicht überhaupt erst gleiche Augenhöhe. Ich bin nicht mehr erpressbar. Von niemand. Das ist Freiheit, um mit Jean Jacques Rosseau zu sprechen – Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.
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Wie stellen sie sich diese Veränderung von reiner Erwerbsarbeit zu sinnstiftender Arbeit vor?
In unserer heutigen Gesellschaft ist der Arbeitsbegriff degeneriert und auf die Annahme verengt "Arbeit ist was gut bezahlt wird". Aber immer wenn wir für andere Menschen tätig werden und das sind wir ja permanent, ist das alles Arbeit. Denken sie an die Familienarbeit, der Mütter, der Väter, der Kunst und Kultur. Also alles was im heutigen Sinne schlecht bezahlt werden kann, weil man es auch nicht richtig werten kann. Jede Art von menschlicher Zuwendung würde dadurch befördert. Wir würden damit den Einzelnen in die Lage versetzen, Dinge zu tun, die er für notwendig hält, ohne vorher zu fragen, was bekomme ich eigentlich dafür. Er kann einfach mal anfangen. Denken sie einmal an unsere Gesellschaft ohne ehrenamtlich Tätige. Das wäre ja eine Katastrophe. Ehrenamtliche Tätigkeit heißt ja: Erstens sehe ich einen Sinn in der Arbeit, die ich tue und zweitens kann ich es mir leisten, weil ich ein Einkommen aus anderen Quellen habe. Denken sie an die ganze Lebensplanung: Sie haben immer ein Grundeinkommen. Das ist eine Sicherheit, auch für das Alter. Wir würden ganz andere Perspektiven für die Zukunft haben. Niemand kann uns mehr unter Druck setzen.
Wir hängen als Gesellschaft in festgefahrenen Denkstrukturen, aber das wäre ein echter Paradigmenwechsel, wenn man Arbeit und Einkommen voneinander entkoppelt. Der Mensch braucht das Einkommen, um leben zu können und die Arbeit, um sich entwickeln zu können. Der Mensch ist ja kein Tier, das determiniert ist, sondern der Mensch ist ja ergebnisoffen. Als was wir mal sterben werden, ist noch völlig offen, im Gegensatz zur Giraffe.
Würden bei einem Grundeinkommen die Menschen nicht zu Hause sitzen bzw. in der Hängematte liegen, weil ihnen der Grund fehlt, arbeiten zu gehen?
Das Problem in ihrer Fragestellung ist der Ausdruck "Zuhause sitzen". Der Mensch ist ein Tätigkeitswesen und kein Rum-Sitz-Wesen. Der Mensch neigt zu Aktivität, wenn er die Möglichkeiten dazu hat. Und das würde sich dann ganz individuell entscheiden. Sie würden nur noch arbeiten, wenn sie in der Arbeit einen Sinn sehen. Arbeiten, in denen sie keinen Sinn sehen, würden sie nicht machen. Insoweit ist das Grundeinkommen auch eine anstrengende Angelegenheit, denn es gibt keine Ausreden mehr.
Dann werden viele Jobs nicht mehr erledigt werden. Weil sie einfach keine angenehmen Tätigkeiten sind, sondern weil sie nur für Geld gemacht werden.
Warum machen gewisse Arbeiten keinen Sinn? Weil sie gesellschaftlich nicht wertgeschätzt werden. Wir müssen lernen, dass wir die Arbeiten, auf die wir angewiesen sind, auch ganz anders wertschätzen. Gesellschaftlich wie auch finanziell. Das würde sich verändern. Man würde ganz anders darauf hinschauen und sagen: "Gott sei Dank sorgt dieser Mitmensch dafür, dass die Toiletten in Ordnung sind" und nicht "Was ist das für eine niedere Tätigkeit". Das wäre schon ein Umdenken. Eine Gesellschaft, wo immer andere für mich tätig sind, die kann ja auf Dauer nur zufriedenstellend ablaufen, wenn wir die Leistung der Mitmenschen auch honorieren, in erster Linie einmal durch unsere Anerkennung. Und das Problem unserer Gesellschaft ist, dass wir eher Geringschätzung deutlich machen als Wertschätzung.
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Wir leben in einer Fremdversorgungsgesellschaft, wir können uns ja nicht selbst versorgen. Wenn sie hier wollen, dass für sie eine Leistung generiert wird, dann haben sie heute nur drei Möglichkeiten. Erstens: Sie schaffen einen attraktiven Arbeitsplatz. Betonung liegt auf Attraktivität. Zweite Möglichkeit: Sie automatisieren es. Man würde ganz andere Anstrengungen in Automatisierungstechniken lenken, weil man sonst viel höhere Löhne dafür bezahlen muss. Die dritte Möglichkeit ist, dass sie es dann selbst machen. Aber anders geht es nicht. Sie haben nur diese drei Möglichkeiten.
Durch dieses System würden die gesellschaftlichen Lebenserhaltungskosten steigen, weil gewisse Berufe und Dienstleistungen dann teurer kommen.
Das ist ja der Beweis, dass sie jetzt zu niedrig bezahlt werden. Bei einem allgemeinen Preisanstieg wird man aber nicht mehr so leicht mit einem Grundeinkommen von 1000 Euro auskommen. Halten sie sich nicht an den 1000 Euro fest, sondern an der Bedingung: ich muss davon bescheiden, aber menschenwürdig leben können.
Wie entkräften sie den Einwand, dass niemand mehr arbeiten gehen würde, wenn er ein Grundeinkommen kriegt?
Das können sie ganz leicht ausprobieren. Denn immer wenn dieses Argument vorgebracht wird, fragen sie "Was würden sie tun?". Und dann bekommen sie, zumindest meiner Erfahrung nach immer diese Antwort: "Ja, ich weiß worauf es ankommt". Das ist ein Problem unseres Menschenbildes. Die Menschen denken über sich selbst humanistischer als über ihre Mitmenschen, und das muss sich ändern. Menschen, die sich nicht in die Gesellschaft einbringen können, die sozusagen sozialisationsunfähig sind, benötigen Unterstützung durch Sozialarbeit. Auch heute schon. Ein Mensch, der sich heute nicht organisieren kann, der sich nicht einbringen kann, das ist eigentlich eine Erkrankung.
Wie soll das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden?
Es ist ein Irrtum zu meinen, man lebt vom Geld. Wir leben von den Gütern. Weil Geld können wir nicht essen. Die Frage ist nicht, haben wir genügend Geld, sondern haben wir genügend Güter, um die Menschen zu versorgen und diese Frage können sie leicht mit ja beantworten. So dass man eigentlich sagen kann, das Grundeinkommen ist schon längst finanziert, weil wir den entsprechenden Gegenwert an Gütern haben.
Würde es das bedingungslose Grundeinkommen geben, wäre es aber nicht mehr so sicher, dass diese Güter in dieser Hülle und Fülle produziert werden.
Umso mehr Güter würden dann produziert werden, denn die Menschen wollen ja dazu verdienen. In meinem ganzen Berufsleben habe ich nie erlebt, dass jemand, bleiben wir bei dem Betrag von 1000 Euro, der 1000 Euro hat, endgültig zufrieden ist. Der Mensch ist ja ein Wesen, das immer nach dem schneller, weiter, höher strebt. Wenn ich die 1000 Euro hab, dann hab ich schon Ideen, was ich mit den 100, 200, 300, 1000 Euro mehr machen könnte, und deswegen bringen sich die Menschen ein. Da brauchen sie keine Angst zu haben.
Sie haben einmal gesagt "Unser Steuersystem macht uns arm. Wir hungern in der Fülle". Wie schaut das Steuersystem in ihrer Version des bedingungslosen Grundeinkommens aus?
Das bestehende Steuersystem ist ein falsches Steuersystem. Es ist erstens verfassungswidrig und zweitens der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr adäquat. Unser jetziges Steuersystem stammt aus einer Zeit, in der wir uns selbst versorgt haben. Der Zehent kommt daher. Das war der Beginn des Steuersystems, man besteuert die Ernte. Heute leben wir aber in anderen Situationen. Wir arbeiten nicht mehr für uns selbst, wir arbeiten für andere Menschen. Deshalb darf man nicht mehr die Frage stellen, "was hast du dir erarbeitet?", weil man sich selbst gar nichts mehr erarbeiten kann, sondern man muss sich fragen: "was nimmst du an Leistung von anderen in Anspruch?" Und dann ist man vom Einkommenspol am Konsumpol und somit bei der Konsumsteuer.
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Für unsere heutige fremdversorgungsgesellschaftliche Realität ist die einzig richtige Steuer die Steuer die am Konsum ansetzt. Jede Steuer, die nicht am Konsum ansetzt, Einkommenssteuer, Ertragssteuer, Lohnsteuer, ist parasitär und behindert unsere gesellschaftliche Entwicklung und macht uns arm. Und deshalb haben wir auch die Verarmung der öffentlichen Haushalte. Wenn wir das umschalten würden und wir tun das auch schon, aber nicht sehr bewusst, auf Konsumsteuer, dann bedeutet das, dass das Einkommen für die öffentlichen Haushalte gesichert wäre. Wir brauchen ja ein Einkommen als Individuum, als einzelne Menschen, aber die Gemeinschaft muss auch ein Einkommen haben, um ihre Aufgaben zu erfüllen: Infrastruktur etc. In dem Moment, in dem wir konsequent auf Konsumsteuer, also Mehrwertssteuer umschalten würden, hätte das zur Folge, dass wir die Leistungsgenerierung nicht mehr diskriminieren, sondern die Leistungsgenerierung fördern. Die heutigen Steuerstrukturen führen dazu, dass unsere Leistungserbringung verformt wird und in die Irre geführt wird. Und das ist unser Problem. Das falsche Steuersystem ist eine parallele Baustelle zur falschen Einkommensgenerierung. Das Einkommen brauchen wir zum Leben, und die Gesellschaft braucht die Steuereinnahmen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Steuer ist immer der Rücktritt des Einzelnen vom Konsum, damit die Gemeinschaft konsumieren kann.
In Österreich gibt es seit 1. September 2010 die "Bedarfsorientierte Mindestsicherung". Das sind 750 Euro pro Person im Monat. Das Geld ist allerdings gebunden. Der Bezieher muss beim AMS immer verfügbar sein, für Schulungen oder Arbeitseinsätze. Was sagen sie zu dieser Lösung?
Das ist vergleichbar mit dem Hartz IV in Deutschland und das ist menschenunwürdig. Das diskriminiert die Menschen und schließt sie aus. Das ist freiheitseinschränkend, man verliert einen Teil seiner Grundrechte und das ist wirklich ein Skandal, dass wir uns das leisten. Und wenn man es anders nennt, wird es dadurch nicht anders.
Das ist eine Erniedrigung, dass sie immer der Beweispflichtige sind, das ist eigentlich das Problem. Es schränkt mir meine verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte ein. Und sich zur Verfügung zu stellen für eine Arbeit, die oft einmal eine Beschäftigungstherapie ist, verstößt zumindest in Deutschland gegen den Artikel zehn oder zwölf des Grundgesetzes "Zwangsarbeit ist verboten".
Was raten sie der jungen Generation, die künftig für die Bankenrettung und Finanzkrise zahlen soll?
Ich rate der jungen Generation, dass sie sich mit solchen Fragen gar nicht belasten soll. Sondern schauen soll, wie finde ich den Schritt ins Leben. Wie können wir uns artikulieren, dass unsere Rechte und unsere Ansprüche auch gehört werden in der Gesellschaft. Die Probleme, die sich die Gesellschaft selbst gemacht hat, die soll sie auch lösen. Aber die Jugend hat einen Anspruch darauf, dass sie von der Erwachsenen-Generation die Voraussetzung geschaffen bekommt, dass sie den Schritt ins Leben machen können, und dazu gehört zum Beispiel auch ein Grundeinkommen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Arbeitsplätze, Lehrstellen und Studienplätze zu finden. Das muss sie artikulieren. (...)
Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir der jungen Generation keine Zukunft vermitteln, deswegen kämpfe ich ja für das bedingungslose Grundeinkommen. Aber das hängt davon ab, ob die Jugend auch bereit ist, sich mit so einem Thema auch zu beschäftigen. Ob die Jugend ihre noch unverbrauchten intellektuellen Kräfte nimmt, um sich damit zu beschäftigen. Ich kann nur jedem empfehlen, sich mit den Utopien in einer Weise zu beschäftigen, dass daraus Realitäten werden. Denn die Utopien von gestern sind die Realität von Heute und die Utopien von Heute sind die Realitäten von morgen. Das ist der Gang der Geschichte.