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Pia Reiser

Filmflimmern

19. 9. 2011 - 10:43

Herzkammernspiel

"Beginners" erzählt von Liebe und Glück für Fortgeschrittene und ist ein Meisterstück mit Christopher Plummer, Ewan McGregor and Melanie Laurent. Ab ins Kino.

“This has already happened to everybody all the time”, notiert Mike Mills auf ein Kärtchen, als er mit dem Schreiben von "Beginners" beginnt. Selbstmitleid wollte er um jeden Preis vermeiden mit seinem Film, der auch die Geschichte vom Verlust der Eltern ist. Aber vor allem die Geschichte von Mike Mills selbst. Einige Monate nach dem Tod der Mutter, eröffnete Mills' Vater im Alter von 75 Jahren seinem Sohn, dass er schwul ist und das nun auch leben möchte.

Christopher Plummer in "Beginners"

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Vater und Freud

Im Film wird dieser Vater namens Hal, der eine schwere Krebserkrankung wahlweise auf die leichte Schulter nimmt oder negiert und ein Leben zwischen Aktivismus, "Harvey Milk"-Filmabenden, einem jungen Freund und Clubbesuchen beginnt, von Christopher Plummer gespielt, der zum pochenden Herzen von "Beginners" wird. Ein pochendes Herz hat auch Hals Sohn Oliver (Ewan McGregor) als er Monate nach dem Tod seines Vaters auf einer Kostümparty Anna (Melanie Laurent) begegnet. Als Sigmund Freud verkleidet verliebt er sich in eine Frau, die im Charlie Chaplin Kostüm steckt. Freuds Kopf wäre bei der Vorstellung wohl explodiert.

Mit tänzelnder Leichtigkeit balanciert der Film zwischen drei Zeitebenen: der Abschnitt ab Hals Outing, die Zeit nach seinem Tod, in der Oliver Anna begegnet und Rückblicke in Olivers Kindheit in den 1970er Jahren. Die Chronologie verweigernd, zieht einen "Beginners" in den Bann, zupft an den Mundwinkeln, massiert das Herz und kitzelt Tränen heraus. Photomontagen, Collagen, Zeitungsausschnitte, alte Reklamebilder und Familienfotos unterbrechen immer wieder die Erzählung; illustrieren Gedankengänge von Olivers Erzählung, die einen durch den Film begleiten.

ewan and mcgregor und melanie laurent in "Beginners"

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Erinnerungen

Ohne Manierismus, der oft ähnlichen Montagen von Wes Anderson anhaftet, sind diese Elemente bei Mike Mills nur die bestmögliche Form zur Visualisierung von Erinnerungen. Wenn sich persönliche Momente mit dem Wissen um Zeitgeschichte mischen und nicht mehr voneinander trennen lassen. Olivers Erinnerungen an seine Kindheit werden mit dem neuen Wissen um die Homosexualität seines Vaters, von der die Mutter von Anfang an wusste, neu gedeutet. Mutter und Sohn sind eine Einheit, verbunden durch absurden Humor. Wie groß der Einfluss der Eltern ist, dafür braucht Mills nur zwei winzige Szenen. Wir übernehmen Dinge, ohne darüber nachzudenken. Gute und weniger gute. Von seiner Mutter hat Oliver viel übernommen, von seinem Vater lernt er erst viel in dessen letztem Lebensabschnitt.

ewan mcgregor mit einem hund in "Beginners"

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Ewan McGregor spielt diesen Oliver so dezent, so ruhig, dass man sich erst bewusst machen muss, wie gut er ist. Seine Zerissenheit, seine Unsicherheiten, sie kommen ohne große Gesten, ohne das übliche Haareraufen und überbordende Mimikgymnastik. Ich hoffe, dass manchmal jemand McGregor sagt, dass er ein wunderbarer Schauspieler ist. Großartige Szenen hat er auch mit Arthur, dem Hund seines Vaters, um den er sich nach dessen Tod kümmert. Und Arthur, ein Jack Russel Terrier, wendet sich mittels Untertitel an Oliver mit Ratschlägen in Liebes- und Lebensdingen. Tell her the darkness is about to drown us unless something drastic happens right now. The dog days are not over.

Schwermut im Schönen

Aus Verliebtheit, Trauer, Zweifel und Hoffnung webt Mills einen Film, der zu schweben scheint, der leichtfüßig vom Schweren erzählt und der die Schwermut im Schönen findet. Und umgekehrt. Und das alles ohne Pathos, ohne Kitsch, aber auch ohne sich im Indie-Zwangskorsett der Quirkyness oder Hipsterness einzuengen. In "Beginners" steckt auch deswegen sovel drinnen, weil Mike Mills sich nicht erblödet, seine Figuren alles aussprechen zu lassen, was sie im Herzen tragen, was sie voneinander lernen und welche Schlüsse sie ziehen. Er vertraut den Schauspielern, seinem Drehbuch und seiner Inszenierung.

Christopher Plummer und Ewan McGregor in "Beginners"

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History of sadness

Und: Mills vertraut Bildern. Selbst die Kennenlernszene zwischen Anna und Oliver kommt mit wenigen Worten aus; Anna kann aufgrund einer Kehlkopfentzündung nicht sprechen und kritzelt und zeichnet auf einen kleinen Block. Zeichnungen und Gedanken in Sprechblasen finden sich oft im Film, als Notizen von Oliver und als Teil seiner Arbeit als Grafiker. Es sind Zeichnungen von Mike Mills. In diesen Arbeiten und vor allem in Olivers Projekt "The History of Sadness" als CD-Cover zu verkaufen, steckt wohl mehr von Mills als in der Figur des Oliver selbst. Oliver is just one sliver of me that I turned into a story, and when you turn it into a story, that’s already one abstraction, one untruth, one distillation. Und während Oliver die history of sadness zeichnet, erzählt "Beginners" von der Möglichkeit des Glücks. Das ist im Kino ja der weit mutigere Schritt, als das Unheil und das Unglück zu beschwören.

melanie laurent und ewan mcgregor in "beginners"

universal

As long as we're together/The rest can go to hell

"Beginners" läuft seit 16. September 2011 in den österreichischen Kinos

Mike Mills, der Grafiker und Konzeptkünstler, schafft es, eine Poesie, eine traumwandlerische Schönheit zu schaffen, die aber niemals in style-over-substance-Eskapismus übergeht oder in Befriedigung einer Sehnsucht nach alternativen Lieblichkeiten. Der Film hat eine Wahrhaftigkeit, eine Ehrlichkeit, die im Realismus fußt. Er weiß aber auch, dass Realismus allein, sei es im Leben oder im Kino, niemals genug sein kann.