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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 9. 2011 - 23:04

Journal 2011. Eintrag 169.

Brennende Berliner Autos als Ertragsquelle.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem kleinen Exkurs zum Thema Wahlen in Berlin.

Also: morgen sind ja Wahlen zum Senat in Berlin.
Umwälzend wird das nicht, es stellen sich nur zwei Fragen:
1) mit wem wird Klaus Wowereit, der Prototyp des im Umgang mit eigentlich allem gelassenen Politikers, koalieren?
2) schafft es die Piratenpartei ins Abgeordnetenhaus, vielleicht sogar auf Kosten der FDP?

Die unangenehmste Begleiterscheinung eines unscharfen Wahlkampfs war allerdings eine behände inszenierte Instrumentailisierung; ein Doppelspiel zwischen Medien und Behörden.

Thema sind und waren die berühmten brennenden Autos. Die waren einmal ein Klassiker der in Berlin sehr gut organisierten Anarchos, betrafen Luxus-Karrossen und sollten eine Art sozialkommentierender Protest sein. Irgendwann wurde daraus Folklore, die Idee entkam dem Copyright und dessen politischem Hintergrund und wilderte durch die Stadt.

Bis das Thema anlässlich des Wahlkampfs wieder eingefangen wurde. Beteiligt daran sind/waren: die Berliner Medien (nicht nur der Printmarkt ist hart umkämpft, auch die ebenso eng fightenden Radios buhlen da feste mit), die Berliner Behörden (vor allem die etwas machtlose Polizei, die kaum jemals Autoanzünder ausforschen kann; bei so einem Hit-and-Run-Delikt auch sauschwer) und ein paar Berliner Parteien, hauptsächlich die, die sich über "Sicherheit" definieren.

Alte Anarcho-Folklore im Instrumentalisier-Modus

Die Polizei gibt ein paar vage Daten samt Vermutungen bekannt; die Medien pimpen das fett auf; die Parteien erregen sich in Wahlkampfreden und fordern mehr Security.

Diese neuen Mitspieler sind nämlich, ebenso wie die ursprünglichen Erfinder, die alten Anarchos, draufgekommen, dass hier ein ordentliches Symbol-Potential leuchtet. So ein brennendes Auto ist nicht nur ordentlich gefährlich und angsteinflößend, es sieht auch als Ruine am nächsten Tag wild aus und vermittelt den fröstelnden Schauer der Gefahr gegen angehäuften Besitz. Damit sind nicht nur Mercedes-Fahrer, überhaupt alle Autobesitzer, sondern darüber hinaus alle, die sich leicht ängstigen, emotional erreichbar.

Das wollten die Chaoten, das bezweckt die neue Koalition. Die unterschwellig auch den guten alten Links-Terror-Mythos anfachen will, auch wenn der längst widerlegt ist.

Nun liegt es in der Natur von politischen Parteien, derlei gut zu erzählende Geschichten für sich zu nutzen. In der Job Description der Polizei-Behörde und auch in der der Medien steht aber was anderes. In punkto Prävention nämlich.

Weil die Polizei in diesen Fällen nichts hat außer dem rekonstruierten Tathergang, und weil die Medien, die auch nicht mehr wissen, das dankbar und ausführlich aufgriffen, ist heuer quasi parallel zum Wahlkampf die Zahl der Brennenden Autos gestiegen. Weil hier eine ganz simple Logik einsetzt: die der Trittbrettfahrer.

Direkte Verantwortung für die Trittbrettfahrer-Problematik

Die Faustregel klingt primitiv, ist aber wissenschaftlich hunderprozent präzise: je mehr und ausführlicher über ein Verbrechen (vor allem seine Vorbereitung und die Details der Durchführung) berichtet wird, desto öfter wird es nachgeahmt.
Massive und ausführliche Pressemeldungen schaffen einen Anstieg der Verbrechenszahlen.

Zuletzt konnte die Berliner Polizei zwei TäterInnen fassen. Und das waren keine linken Chaoten oder alte Anarchos, sondern Normalos, denen langweilig war, weshalb sie nach medialer Vorlage halt auch einmal so ganz lässig ein Auto anzünden wollten, um damit in die Zeitung zu kommen. Gebrauchsanleitung stand ja überall zu lesen.

An sich gibt es in der gesamten zivilisierten Welt mit funktionierenden Behörden und funktionierenden Medien eine entsprechende Übereinkunft, genau das zu vermeiden: keine Detail-Berichterstattung über Verbrechen; wegen der Nachahmer-Gefahr.
Am allerdramatischsten ist das nämlich im Fall von Selbstmorden. Da gibt es - wegen grauenhafter Erfahrungswerte - strikte Ausmachungen zwischen Medien und Behörden. Die auch manchmal gebrochen werden, immer mit fatalen Folgen, kleinen Suizid-Serien.

Der bewusst inszenierte Teufelskreis der Eskalation

Nun ist ein brennendes Auto da vergleichsweise nicht so schlimm, klar. Trotzdem bringt eine verantwortungsvolle Berichterstattung auch hier etwas. Als sich etwa im Vorjahr in Hamburg das Phänomen der brennenden Autos zu häufen begann, und sich erste Erregungs-Cluster bildeten, die sofort zu noch mehr Brandanschlägen führten, schlossen sich Behörden und die lokalen Medien zusammen und brachten keine Aufgeregtheiten und impliziten Handlungsanleitungen mehr. Mit stupender Wirkung: die Zahlen sanken sofort dramatisch.

Wenn man den Trittbrettfahrern, die durch reine Mediengeilheit angestachelt werden, das Podium entzieht, verlieren sie schnell das Interesse.

Mitten im Wahlkampf ist das schwerer; eine Polizei-Behörde, die klassische Moral-Prinzipien nicht kennt, tut das ihre dazu; und vor allem sind es die Medien, die aus den Verbrechen einen direkten Ertrag (Auflage, Verkauf etc) ziehen wollen, die das, was sie mit Dackelblick einklagen, selber befördern.

So, und jetzt noch das Gedankenspiel, wie das in Wien/Österreich so wäre, wenn es diese Folklore auch hier geben würde: mit der Polizei, den Boulevard-Medien, einzelnen Parteien...
Brrr, Experiment wegen übergroßer Gruseligkeit abgebrochen!