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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 9. 2011 - 22:26

Journal 2011. Eintrag 168.

Warum der Blick nach Dänemark mich heute ärgerlich macht.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer dänischen Assoziation.

Okay, wenn ich mich jetzt hier an dieser Stelle ausführlicher über das dänische Wahlergebnis von gestern verbreiten würde, würde ich hämisches Gemurre verstehen; dass das nämlich schieres Gepose sei. Man kann sich für vieles, aber eben nicht für alles interessieren; nicht einmal in einem journalistisch-analytischen Kontext.

Bloß: ich interessiere mich tatsächlich für dänische Innenpolitik. Es reicht zugegebenermaßen nicht dafür aus, die aktuelle Wahl seriös zu überblicken - die Basis dafür wäre aber vorhanden.

An diesem Interesse sind die Menschen schuld, die The Killing gemacht haben, die Reihe um die Kommissarin Lund, die im Original "Forbrydelsen" ("Verbrechen") heißt. Die ist ja nicht deswegen sehenswert, weil die muffige Frau Lund (Sofie Gråbøl) und der rohe Co-Inspektor Strange (Mikael Birkkjær) in einem österreichischen Werbespot (für eine urbane Versicherung) einen reifen Flirt durchziehen, sondern weil die (bislang zwei) düsteren Fälle dieser Zwanzig-Teiler nicht im luftleeren Raum oder einer überspitzt-überzogenen Landschaft spielen, sondern direkt an die politische Situation andocken.

Sarah Lund, Kopenhagener Rathaus & dänische Regierung

Staffel I von Kommissarin Lund – Das Verbrechen spielt zu einem Großteil im Kopenhagener Rathaus, zum einen, weil ein paar Verdachtsstränge dorthin deuten, zum anderen, weil der Fall im Wahlkampf politisch mißbraucht wird. Und die Szenarios rund um die politischen Akteure der an reale Parteien nahe angelehnten Stadtparteien erzählten in ihrem recht unbarmherzigen Realismus enorm viel über das politische Klima einer großen, nordischen, liberalen europäischen Hauptstadt.

In The Killing, Staffel 2, das aktuell auf arte ausgestrahlt wird (auch im Netz nachzusehen, kriegen wir einen Einblick eine Stufe höher - der Fall spielt tief ins Militär, die NATO-Einsätze in Afghanistan und in die Regierung, vor allem das Justizministerium rein. Zugegeben, die Figur des dicken, etwas parzifalesken Neo-Ministers ist ein wenig zu naiv geraten - andererseits lehrt uns in Österreich die tägliche Enthüllung mehr als deutlich, dass Minister-Sein gern das pure Gegenteil vom Besitz moralischer Intelligenz bedeutet.

Auch hier ist die Darstellung der inneren Konflikte einer Koalitions-Regierung, sind die Sach-Zwänge, die sinnvolles Handeln dann durch sinnarme Kompromisse ersetzen, fast wichtiger als die (grandios anzusehenden) von der wieder unglaublich kommunikationsarmen und solitären Kommissarin gesetzen Haken, die die Mördersuche vorwärts treiben.

Deutlicheres Miterleben von globalen Verstrickungen

Ja, und genau deshalb habe ich sowas wie den Ansatz eines Gefühls, wie dänische Innenpolitik funktionieren könnte.

Ich habe etwa mitbekommen, dass die militärischen Einsätze im Gefolge des "War on Terror" bei den Dänen anders konnotiert sind als etwa bei uns oder in Deutschland. Hat wohl auch damit zu tun, dass Dänemark tatsächlich angegriffen wurde - seit dem sogenannten Karikaturenstreit von 2005 ist man, als Däne, deutlich stärker in der Dangerzone der internationalen Revanchegelüste-Politik drin, als sagen wir einmal als Belgier oder Österreicher. Das verrückt die Positionen; macht das Anti-Kriegs-Dogma schwerer vermittelbar.

Beide Lund-Reihen spielen immer wieder mit der Angst vor Moslems und Überfremdung, entweder direkt (in Staffel 1 ist kurz der arabischstämmige Vertrauenslehrer des ermordeten Mädchens verdächtig; und gerät prompt in Lebensgefahr; in Staffel 2 nützt eine zündelnde Regierungs-Partei erste Verdachtsmomente, um schärfere Überwachungs-Gesetze durchzubringen) oder in subtilen Andeutungen und Subtexten.

Vor allem die (natürlich zwielichtige) wird mit deutlich mehr Subtilität und Zwischentönen dargestellt als selbst im allerbesten deutschen Edel-Krimi - so schlägt sich eine entsprechend differenzierte gesellschaftliche Haltung wieder.

Rücksturz auf die Insel der Seligen, die Alpenfestung

Jetzt komm ich zum Punkt: in diesen Momenten, und vor allem jetzt, wo sich die Korrelation zwischen Fiktion (die Lund-Krimis) und Fakten (die gestrige Wahl) auftut, frage ich mich schon, warum diesbezüglich bei uns gar nichts geht.

Ich will mich gar nicht über die nur noch rein ironisch-satirisch-sarkastische Auseinandersetzung des heimischen Film/TV-Schaffens mit der politischen Realität äußern - diese Branche hat es einfach aufgegeben, sich mit Zeitgeschichte zu beschäftigen, hat sich in das Zerrspiegel-Kabinett der Resignation begeben, eh schon länger.

Für eine Auseinandersetzung auf Lund-Niveau braucht es nämlich eine andere, ganz wichtige Vorraussetzung, die hierzulande einfach nicht gegeben ist: das Interesse der Menschen.

Ich bin sicher, dass auch der Durchschnitts-Däne nicht sonderlich weit über den eigenen Tellerrand hinausdenkt oder allzuviel-drüber-hinaus-weiß. Dadurch aber, dass die Dänen in den letzten paar Jahren direkter in die europäische Militär/Terror-Politik einbezogen waren, haben sie ein deutlich größeres Gefühl für globale Umschau entwickelt. Das kann böse ende - es zieht aber auch mehr Wissen nach sich.

Wissen, das es in Österreich nicht gibt.
Hierzulande existiert keinerlei Interesse für Vorkommen außerhalb eines engen Radars, Obamas Hund, Sarkozys Frau und punktuelle revoltierende Aufgeregtheiten ausgenommen.

Bruno der erste, Alois der letzte, Schüssel verschusselt es

Mir ist das dramatisch aufgefallen, als Ex-Kanzler Schüssel anlässlich des Zehners von 9/11 über die damaligen Umstände interviewt wurde und dann davon erzählte, wie er kurz danach eine diplomatische Mission im Iran hatte und mit dem Versuch der Vermittlung in Washington scheiterte.

Hätte Schüssel 2001/2 sich nicht mit den fatalen Umsortierarbeiten innerhalb der Republik hauptbeschäftigt, hätte die Wende-Regierung nicht allem, was mit "außen" zu tun hatte, den kindischen "Die sind alle gegen uns!"-.Stempel draufgedrückt, wäre es Schüssel also möglich gewesen, seine außenpolitische Agenda so zu präsentieren wie Kreisky in den 70ern, dann wäre was möglich gewesen. Dass sich nämlich die österreichische Gesellschaft, von der Politik bis zum Herrn Strudl, in einem normalen Umfang mit der Welt beschäftigt, anstatt sich (wie es heute der Fall ist) abzuschotten und (teilweise bewusst) zu isolieren in der lachhaften Alpenfestung.

Schüssel konnte allerdings bereits auf nichts aufbauen - allerspätestens seit den 90ern war das Feld der internationalen Kontakte grotesken Hussein/Gadhaffi-Haberern des rechtspopulistischen Lagers und den Osteroberungsplänen der Wirtschaft überlassen. Der Blick auf die Liste österreichischer Außenminister ist entsprechend erschreckend: bis auf Alois Mock gab es seit Kreisky niemanden, der imstande war, eine echte Agenda zu setzen.

Desinteresse, Agendalosigkeit, Abstumpfung

Dadurch geht enorm viel verloren. Das Desinteresse an den anderen, den Fremden, macht einen recht automatisch zum dummen und blöden (seit Seeßlen wissen wir ja, dass das nicht dasselbe ist...) Menschen.

Und deshalb tut mir der Blick auf die dänische Innenpolitik dann auch weh. Dort wurde nämlich, auch mit Blick auf das Breivik-Attentat, die dahinterstehende pervertierte Logik der Rechtsextremen und Rechtspopulisten durchaus abgestraft. Das heißt nicht, dass die Migrations-Debatten nicht weitergehen - sie verlagern sich aber wieder auf ein anderes, weniger pseudoemotionalisiertes Level.
Das geht sich aber nur dann aus, wenn der entsprechende Leit-Diskurs auf einem halbwegs realistischem Blick auf die Welt fußt.
Und der ist in Dänemark gegeben.
In Österreich nicht.

Deswegen werden die hiesigen Brethren 2013 auch nicht abgestraft werden. Und es wird auch weiterhin kein Interesse an globalen Zusammenhängen herrschen, nicht oben und nicht unten und schon gar nicht in den Medien. Und es wird auch weiterhin weder literarische noch filmische Fiction über Real-Österreich geben, maximal zynische Verlustigungen. Und alles trägt seinen gediegenen Teil zur Abstumpfung bei, die zielsicher auf eine postdemokratische Struktur zusteuert.