Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Zahlen, bitte!"

Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

15. 9. 2011 - 15:09

Zahlen, bitte!

Markus Marterbauer erklärt in seinem neuen Buch, warum der Sozialstaat nicht totgespart werden darf.

Schuldenkrise, Börsenstürze, Sparkurse, Demos, Reichensteuer, Bankenrettungen - kaum ein Tag vergeht, an dem den Bevölkerungen Europas nicht erklärt wird, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen.

Doch welche Lehren hat die Politik aus den Krisen der letzten Jahre gezogen?

Diese Frage versucht Markus Marterbauer, früher Ökonom beim Wirtschaftsforschungsinstitut und jetzt bei der Arbeiterkammer, in seinem neuen Buch „Zahlen, bitte!" zu erörtern.

Cover zu "Zahlen Bitte!"

Deuticke

"Zahlen Bitte!" von Markus Marterbauer ist im Deuticke Verlag erschienen.

Dabei hält er sich zwar erfrischend nüchtern an die nackten Zahlen und Fakten, kommt dabei aber dennoch zu, für manche wohl überraschenden, Ergebnissen. Etwa, dass der oft geschmähte "Wohlfahrtsstaat" nicht die Ursache der hohen Staatsschulden ist, sondern tatsächlich viel zum wirtschaftlichen Erfolg eines Staates beiträgt.

"Die von Banken und Finanzmärkten ausgelöste Krise führt zu einer Zunahme der Ungleichheit der Verteilung des Wohlstandes. Arme und Mittelschicht haben schon in den letzten Jahrzehnten nur recht eingeschränkt an der Zunahme des wirtschaftlichen Wohlstandes partizipiert. Ein großer Teil des Wachstums kam Spitzenverdienern und Vermögenden zugute. In der medialen Debatte wird die Mittelschicht, die von Leistungseinkommen aus selbstständiger und unselbstständiger Arbeit lebt, gerne als großer Verlierer der staatlichen Umverteilung dargestellt. Das ist falsch: Der Sozialstaat ist auf die Bedürfnisse der Mittelschicht zugeschnitten, und sie profitiert genauso wie die Armen vom Ausbau sozialer Dienstleistungen. Konkrete Vorschläge für eine stärkere Besteuerung von Vermögen und für eine Eindämmung der vielen Begünstigung in der Einkommenssteuer, die vor allem Spitzenverdienern nutzen, werden hier genauso diskutiert wie das Aufkommen und die Verteilungswirkung dieser Maßnahmen. Mit den gewonnenen Mitteln kann die wünschenswerte Verbesserung des Sozialstaates finanziert werden".
(Aus: "ZAHLEN, BITTE" von Dr. Markus Marterbauer, erschienen im Deuticke Verlag, 2011)

De facto, so Marterbauer im Buch, zeigt sich gerade aktuell, dass die nur aufs ausgabenseitige Sparen konzentrierten Reformen nicht funktionieren, wenn nicht gleichzeitig Beschäftigung und soziale Umverteilung geschaffen wird, da man nur so eine Rezession in Zeiten der Krise verhindern kann.

Ich habe Markus Marterbauer zu uns ins Studio geladen, um ein paar der Fragen zu besprechen, die aktuell durch die Medien geistern, von der Vermögenssteuer bis hin zu den Staatsschulden.

Herr Marterbauer, der Ex-Clinton Berater Robert Reich analysiert, dass sich in den USA seit 30 Jahren die Wirtschaftsleistung verdoppelt hat, während die Reallöhne fast gleich blieben. Deshalb gingen all die Billionen, so Reich, an die obersten Prozente der Gesellschaft, also an die „Superreichen“. Die haben außerdem eine durchschnittliche Abgabenquote von etwa 17%, während Arbeit viel höher besteuert ist. Durch ihren Lobbyeinfluss sind sie jetzt dabei, den Sozialstaat für jene Staatsschulden verantwortlich zu machen, die von der Finanzkrise und diesen Steuerausfällen verursacht wurden. Inwiefern kann man diese Situation auch auf Österreich und die EU umlegen?

Ich denke, generell ist das eine Analyse die auch für Europa zutrifft. Wir hatten insgesamt eine gute Wirtschaftsentwicklung, aber die Mehrheit der Leute hat davon wenig gespürt, in Bezug auf ihr Einkommen. Das hat dazu geführt, dass Bevölkerungsschichten zusätzliches Einkommen hatten, die zu sehr risikoreichen Finanzanlagen neigen und sehr viele Investmentzertifikate und Aktien halten, also faktisch das Spielkapital für das Finanzcasino bereitgestellt haben. Jetzt ist das Problem, dass wir die Folgen des Zusammenbruchs des Finanzcasinos überall merken, und die sind noch lange nicht vorbei. Wir diskutieren aber eigentlich nur mehr über eine Folge, über die Staatsschuldenkrise und die Finanzierbarkeit des Sozialstaates, und das wird den Ursachen dieser Krise sicher nicht gerecht.

Die Angriffe auf diesen Sozialstaat werden immer heftiger, trotz der Umstände die Sie gerade genannt haben. Es heißt stets: "Ihr habt über Eure Verhältnisse gelebt und wir müssen jetzt sparen". Wie gefährlich ist diese einseitige Sparpolitik für die Sorgenkinder der EU, wie Griechenland und Spanien, aber damit natürlich auch für Länder wie Österreich und Deutschland, die ja stark vom Export abhängig sind?

Ich würde zunächst sagen, dass sich der Sozialstaat in der Krise als ganz, ganz wertvoll erwiesen hat. Ohne diesen Sozialstaat hätten wir insgesamt viel schlechtere Wirtschafts-, und Arbeitsmarktdaten gehabt. Es ist gefährlich jetzt diesen Sozialstaat zu zerschlagen, das passiert aber gerade in Griechenland, Portugal, Irland und anderen Ländern. Man bedenkt zu wenig, dass diese massiven Kürzungen bei den Sozialausgaben die Wirtschaftsleistung einbrechen lassen, die Arbeitslosigkeit ansteigen lassen und damit aber wieder die Steuereinnahmen nach unten drücken und so die Budgetziele verfehlt werden. Da zeigt die EU eher wirtschaftspolitisches Unverständnis, als dass die entsprechenden Länder zu wenig sparen.

Sie fordern in ihrem Buch außerdem eine Verkleinerung des Bankensektors und eine Re-Regulierung. Der Trend scheint aber dennoch woanders hinzugehen: Die Gewinne dort sind auf Vor-Krisen-Niveau, es wird fleißig weitergezockt und zum Teil sind die gleichen Leute am Ruder wie damals. Der designierte Chef der EZB kommt etwa von Goldman & Sachs und auch Obama lässt sich seinen Wahlkampf von der Finanzindustrie bezahlen. Wie realistisch ist es denn, dass die derzeitigen Profiteure von selbst einlenken – oder geht es auch gegen deren Willen?

Ich habe wenig Vertrauen, dass hier Erkenntnis dazu führt, dass man sich selbst beschränkt. Es ist notwendig, dass die Politik gegenüber den Finanzmärkten und Banken stärker auftritt. Nachdem diese Krise ja von Banken und Finanzmärkten ausgelöst wurde, also vom enormen Wachstum dieser Institutionen, muss man durch Steuern, der Transaktionssteuer, Bankenabgaben, Regulierungen und Eigenkapitalerfordernissen dafür sorgen, dass dieser Sektor deutlich kleiner wird. Vor allem gegenüber anderen Sektoren, die tatsächlich Werte schaffen, wie Industrie, soziale Dienstleistungen und persönliche Dienstleistungen.

Ganz kurz noch zu einem anderen großen, aktuellen Thema, der Vermögenssteuer. Das oberste Zehntel hält, um den Daumen, etwa die Hälfte des Finanzvermögens in Österreich. Immer mehr Kapital kumuliert in immer weniger Händen, dennoch wird über eine Reform der Erbschaftssteuer oder eben über eine Vermögenssteuer von manchen Politikern nicht mal diskutiert. Die ÖVP lehnt Vermögenssteuern etwa mit dem Einwand ab, dass dies auch die sogenannten „Häuslbauer“ treffen würde. Was bringt so eine Steuer wirklich?

Wichtig ist sie, weil die enorme Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen eine wichtige Ursache für die Krise war, aber auch, weil diese enorme Ungleichheit unser demokratisches System gefährdet. Weil sie Macht ungleich verteilt. So eine Steuer würde, egal wie sie ausgestaltet ist, relativ viel bringen. Das Vermögen der privaten Haushalte beträgt in Österreich etwa 1400 Milliarden Euro, 780 Millionen davon hält alleine das oberste Zehntel. Würde man sich auf diese Gruppe beschränken, würden selbst relativ geringe Steuersätze, etwa von einem halben Prozent, Milliardenbeträge zur Finanzierung des Sozialstaates bringen.

Und das Argument mit den „Häuslbauern“?

Also das sind glaube ich eher vorgeschobene Argumente, die könnte man leicht über Freibeträge ausnehmen, ohne viel vom Aufkommen zu verlieren.

Haben Sie in Ihrer Arbeit den Eindruck, dass, wenn die Politik Wissenschaftler konsultiert, hier Ausgewogenheit herrscht? Eine Zeit lang schien es ja, als würden vor allem Vertreter der neoliberalen Schulen den größten Einfluss haben. Dreht sich das ein bisschen? Dürfen Sie mit ihren Untersuchungen auch bei der Finanzministerin vorsprechen?

In der Ökonomie gibt es natürlich nach wie vor die Auseinandersetzung zwischen den Neoliberalen und den Keynesianern (Ökonomen die für eine Nachfrage-orientierte Politik nach J. M. Keynes stehen, Anmerkung), oder anderen heterodoxen ÖkonomInnen. Ich glaube aber, dass sich hier etwas dreht, weil die Neoliberalen weder die Krise vorhersagen konnten, noch brauchbare Rezepte zu ihrer Bewältigung haben. Hier verschiebt sich die Aufmerksamkeit etwas, um es vorsichtig auszudrücken.

Abschließend, der US-Wissenschaftler Noam Chomsky spricht etwa davon, dass Dinge wie die Staatschulden ja eigentlich Massenvernichtungswaffen sind, die gezielt dazu eingesetzt werden, etwa Sozialstandards weiter zu erodieren. Das heißt aber dann, dass es ohne eine gewaltsame Revolution keine Chance geben kann, etwas zu verändern. Teilen Sie diese Sorge ein bisschen?

Ich teile die Sorge insofern, als die Finanzkrise in einem enormen Ausmaß zum Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in Europa geführt hat und sich hier ein sehr gefährliches Potenzial entwickelt, wenn Jugendliche jede Perspektive verlieren. Ich glaube aber, dass in einem demokratischen System diese Probleme bewältigbar sind und dass es vor allem darum geht, die entsprechenden politischen Mehrheiten zu entwickeln. Ein Programm, das sagt, wir helfen den Jugendlichen, wir bauen den Sozialstaat aus und finanzieren das Ganze über eine höhere Besteuerung von Vermögen, das ist mit Sicherheit technisch machbar. Es geht um die politische Umsetzung.