Erstellt am: 19. 9. 2011 - 16:12 Uhr
Good In-Tentions
J. geht den kleinen Park mit der weitflächigen Arena in Jerusalem entlang, wo vor kurzem noch Zelte aufgespannt standen. Das Gras ist gelb und faul geworden von den vielen Wochen unter der Versiegelung der Plastikzeltböden. J.s Freund sieht seinen nachdenklichen Blick, fragt, "Was denkst Du wird am Ende passieren?"
"Das ist das Ende", sagt J., "was passiert ist das hier."
Konfetti, Karate und das Weltall
Devora Liss
Als die Bewegung begann, schrieb Autor David Grossmann von einem heterogenem “Wir-Gefühl, ungeordnet, familiär und improvisiert, das uns deutlich signalisierte: Wir tun das Richtige.”
Jeder ist Medienmensch geworden, die demonstrierende Masse gleicht von weitem einem Lichtermeer aus leuchtenden Smartphones, die Fotos sammeln. Fragmentgespräche mit den zeitweisen Gehnachbarn, bis sich diese Nachbarschaft wieder verliert. Manche sitzen mitten auf Kreuzungen und singen Lieder, andere besetzen die Dächer von Bushaltestellen. Eine Konfettiregenrakete. Festivalartig fühlt sich das an, Unglauben in den Augen der Menschen.
Judith Humer
In all den Wochen wurde bei diesen Demonstrationen nicht einmal ein Schaufenster eingeschlagen. Ich muss an die Psychologin Tali denken, die mit israelischen und palästinensischen Kindern über deren Wünsche gesprochen hat. Kein einziger der 500 von ihr gesammelten Wünsche richtet sich gegen etwas. "Ich habe nur zwei Wünsche, die mit kämpfen zu tun haben, einer wollte ein Karatekämpfer werden und ein anderer ein Weltraumkrieger".
Clara Trischler
"Testimony" von Shlomi Elkabetz wurde gerade beim Filmfestival in Venedig gezeigt
Ofer Ein Gal, Drehbuchautor des Films "Testimony", war glücklich über soviele handgeschriebene Transparente bei den Demonstrationen: "Die Menschen sind wirklich zu Hause gesessen, haben sich etwas gesucht, worauf sie schreiben können und sie selber gemacht!", keine Parteien oder Organisationen.
Die veränderten Zeiten
Erfolgreiche Musiker stellen sich in diesen Tagen spontan auf die Rothschild Avenue und singen in mediokre Mikrophone, auch auf den Transparenten werden oft Songs zitiert. Shalom Hanochs Lied über den Börsencrash in den Achtzigern etwa, "the public is stupid, and therefore the public will pay".
Judith Humer
Als ich die Zelte zum ersten Mal sah, war ich erstaunt, aber auch verärgert. Die Zeltbewegung ist trügerischerweise deklariert "unpolitisch", obwohl sie das natürlich nicht sein kann.
Schließlich gibt es kaum studentische Wohnbeihilfen, Siedler werden aber wohl subventioniert. Die Besatzung der palästinensischen Gebiete kostet. Die Wohnungsverteilung passiert oft sehr selektiv, würden die Menschen gemischter wohnen, wäre der Wohnraum wohl auch günstiger. Es gibt keine Mietpreisbindung, weshalb Mieten jederzeit horrend erhöht werden können. Ich kenne erwachsene Menschen mit Familien, die in renommierten, staatlichen Museen fünf Euro pro Stunde verdienen.
"Bitte erzählt mir nicht"
"Bitte erzählt mir nicht, dass es kein Geld gibt", sagt die Stadträtin Rachel Azaria. "Als mein Vater eingewandert ist, hat niemand gesagt es gäbe kein Geld für Schulen, öffentlichen Verkehr oder Gesundheitsfürsorge."
Devora Liss
Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein
Israelische Künstler haben ihre Zelte vors Weiße Haus geschlagen und weil das nicht erlaubt ist, begonnen, die Zelte zu tragen und mit ihnen im Gehen zu protestieren.
Mit unpolitisch ist gemeint, den Israel-Palästina-Konflikt, der sonst Identität und Wahlverhalten bestimmt, nicht einzubeziehen.
Unterschiedliche Teile der Gesellschaft sind das, die sich plötzlich zusammen tun, Schwulenrechtsaktivisten und orthodoxe Rabbinats-Studenten, Firmenanwälte, Obdachlose und israelische Araber. Ein älterer Mann im Stalin T-Shirt, eine alleinerziehende Mutter, ein Filmstudent. Manche mit Ideologien, manche mit besserem Verständnis für Ökonomie als andere, manche kommen nur, um Fragen zu stellen und zu lernen. Dass Menschen in Cafés oder nachts beim Campen auf urbanen Straßen wieder gerne über Politik reden, egal wwelche Ansichten sie haben, ist ein bedeutender Verdienst der Bewegung.
"Für mich hat es eine Zeit gebraucht, bis ich mich darüber freuen konnte", sagt Shlomi Elkabetz. Zu ambivalent ist das zeitgleiche Ausklammern der Probleme im Westjordanland.
Ist es nicht vielleicht wichtig für Israelis, sich ein Ziel zu erlauben, das nicht mit dem Konflikt in Verbindung steht? Nur ein relativ geeinigtes Israel kann schließlich einen Friedensprozess wieder ins Rollen bringen.
Devora Liss
Nach der bisher größten Demonstration bauen die Protestierenden jetzt langsam ihre Zelte ab. Weil sie nur Symbole sind. Weiter wird gewartet, was im Herbst nach so einem Sommer, nach so einem Arabischen Frühling, passiert.
Reality Check:
Middle East showdown
Ein spannender Herbst ist jedenfalls absehbar, der UN-Entscheid über einen palästinensischen Staat am 20. September wird Folgen haben - trotz möglicherweise vorhersehbaren Ausgangs. Bald wird sich die Regierung den Vorschlägen des anlässlich der Proteste einberufenen Kommitees stellen. Außerdem sind Beziehung zu Türkei und Ägypten angespannt, und die Nachwirkungen der letzten Terroranschläge in Israel und Bombardierungen auf Gaza zu spüren.