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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

15. 9. 2011 - 11:03

Technikverdruss nach der Pubertät

Jetzt ist auch noch mein Handy kaputt - anstatt aber auf den Baum zu flüchten, spüre ich seltsamen Internet-Frust. Ist das endlich der Internet-Backlash oder doch nur Retro-Romantik?

Mein Handy ist kaputt. Das ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist, wie lange es schon fast ohne Murren Nahtoderfahrungen in meiner Hosentasche, im freien Fall, über Beton-Bordsteine und Teerwege hüpfend, zwischen Pfützen taumelnd und am Regen saugend aushielt. Verwunderlich, weil es ein iPhone ist. Erste Generation, so eines mit Metallhülle.

Als ich neulich über einen Artikel stolperte, der die Lust des Technikversagens beschrieb ("endlich eine Ausrede, ein neues Handy zu kaufen"), dachte ich mir noch: Ja, das passt zu mir. Meine Faulheit und mein Geiz sind jeweils Janusgesichter, die mir und sich unentwegt in einem ewigen Blickduell in die Augen schauen können. Ich bin zu faul, mir ein neues Smartphone zu kaufen, ich bin zu geizig mir ein neues Smartphone zu kaufen. Ich bin zu faul, mich mit meinem alten Smartphone herumzuschlagen, ich bin zu geizig, dessen Leben durch Kopfhörer, Schutzhüllen, Klebefolien künstlich zu verlängern. Deshalb dachte ich: Der unnatürliche Frühtod meines Handys wird mich aus dieser Faulheits/Geiz-Falle retten.


Verbringt mehr Zeit!

Pustekuchen. Der drohende Tod meines Handys hat den Ehrgeiz in mir geweckt - und meine Faulheit und meinen Geiz befeuert. Mit lange verschütt gewesener Bastelwut (und überhaupt Wut) schraubte, zerrte, schob ich am Metallgehäuse, verkratzte mit gehärteten Schraubendrehern die die Glasscheibe und brach mir die Fingernägel, nur um mein Handy zurückzuholen in die Welten des Handyschmerzes, den meine Hosentaschen, die Neuköllner Pfützen und Bordsteine nun mal sind.

Technik ist Gewalt über die Natur

Und siehe da, es gelang: Meine alten In-Ear-Kopfhörer, deren Gummi-Einpassung längst verschollen waren, reparierte ich mit FM4-Ohrstöpseln, in die ich Löcher bohrte - und ich konnte wieder telefonieren. Den defekten Home-Button überlistete ich mit der Software "Close Button Widget" und die gelegentlichen Abstürze und Verbindungsabbrüche glorifizierte ich als Beweis, quasi als Kriegsnarben, der langen Geschichte des Scheiterns, die mein Handy und ich teilen.

Aber ich kam auch ins Grübeln - und da kommt ihr, liebe Leser, ins Spiel: Ich spüre einen seltsamen Handy-Überdruss. Und ich glaube nicht, dass es so eine romantische Zurück-nach-Früher-Geschichte ist, in eine Jugend ohne Erreichbarkeit, sondern tatsächlich ein echter Überdruss. Ich benutze mein Handy um meine E-Mails abzurufen, Landkarten anzuschauen und zum Telefonieren. Im Nahverkehr lese ich das Titanic-Archiv und Spiegel Online, auf Zugfahrten lange Webtexte.

Langeweile, Faulheit und Geiz

Das mag trivial klingen, aber mir wird immer klarer, wie es dabei um Langeweile geht - und um Faulheit und Geiz. Weil ich zu faul und zu geizig bin, mir eine Zeitung oder Zeitschrift zu kaufen, kaufe ich mir ein Hunderte Euro teures Gerät, um mir die Langeweile zu vertreiben. Trivial, ich weiß. Aber irgendwie hat sich dieser Gedanke in mir zunächst zu einem Handy-Verdruss verdichtet, der nun auch auf meinen Alltags-Computergebrauch berührt.

Jede Sekunde im Netz, am Computer denke ich: mach was besseres. Und wenn schon Computer, dann mach Musik, schreib was oder bearbeite Bilder. Aber bloß nicht Rumsurfen!

Ich würde mir nicht die Blöße geben, würde ich dahinter nicht einen vielleicht größeren, vielleicht ja auch bei anderen spürbaren Internet-Backlash vermuten: die Gewöhnung, die sich bei mir erst in Kritik und dann in Langeweile ausdrückte. Das Internet macht die Welt nicht heile, schrieb ich bereits. Aber es macht auch mich nicht heile, spüre ich immer deutlicher.

Doofe innere Diskussionen

Es gibt ja diesen Spruch, dass auf dem Sterbebett noch niemand gesagt hatte: "Ach, hätte ich doch nur mehr vor dem Bildschirm gesessen." Als ich das zum ersten Mal gehört hatte, fuhr es mir kalt in Mark und Bein: ich fühlte mich ertappt.

Und jetzt, wo sich das künstlich verlängerte Leben meines Internet-Handys tatsächlich dem Ende zuneigt, überlege ich ganz schön intensiv, was ich tun soll. Noch eines, damit ich auch unterwegs ein wenig arbeiten kann (das wäre ein starkes Argument dafür), oder keines, damit ich keinen schnellen Langeweile-Fix habe - und vielleicht etwas anständiges lese oder so.

Wenn ich das so schreibe, fällt mir auf, was mich an der ganzen (inneren) Diskussion daran wahnsinnig stört. Es fühlt sich an wie das Lament eines naiven, romantischen Reaktionärs ... diesen Text hätte ich auch als Teenager schreiben können.

Aber ich spüre auch: da ist etwas, das mich stark wegzieht vom ständigen Internetkonsum. Es ist sicherlich nicht die Befürchtung, zu transparent, zu abgestumpft, zu erreichbar oder zu abhängig von Technik zu sein. Es ist, vermutlich, viel mehr die Angst, tatsächlich etwas zu verpassen - und mich aus Faulheit und Geiz an die Technik zu klammern, anstatt raus (auch aus mir) zu gehen und etwas zu unternehmen. Aber warum sollte das besser sein? Ich habe soooo keine Ahnung!