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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

14. 9. 2011 - 13:46

Für immer jung

Sympathie für die Plattenindustrie: "Nevermind" von Nirvana wird 20 Jahre alt und ist immer noch eine sehr, sehr gute Platte. Und wird - man ahnt es schon - wiederveröffentlicht.

20 Jahre Nevermind

Ein Spezialtag zum Jubiläum, mit jeder Menge Interviews, persönlichen Erinnerungen und dem Mitschnitt des Nirvana Konzertes im Wiener U4. Das genaue Programm gibts hier.

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Wenn es von irgendwas oder irgendwem, einem Buch, einer Platte, einer Sängerin, einer Band heißt, es oder sie "fange den Zeitgeist ein" oder "sei die Stimme einer Generation", ist das meist ein Haufen Bullshit.

Nirvana Nevermind

nirvana nevermind

Es gibt die "Generation Golf", weil jemand ein Buch geschrieben und es so genannt hat, möglicherweise gibt es auch die "Generation Glow Stick". Natürlich gibt es zu keiner Zeit ausschließlich diese eine einzige Generation, jedoch freilich immer wieder eine gewissen Anzahl von Menschen, die ähnlich denken, dasselbe Tofu-Sandwich gut und denselben Krieg doof finden, denselben Richard Linklater mögen und denselben Präsidenten nicht wählen.

Wir wissen es: Heute sind jugendliche Subkulturen noch stärker zerfasert und heterogener als 1955, 1977 und 1991 und definieren sich selbst nur mehr kaum über musikalische Vorlieben. Nicht einmal mehr Grabenkämpfe zwischen HipHop und Techno sind zu verzeichnen.

The Year Punk Broke

Wenn jetzt "Nevermind", das zweite Album von Nirvana, 20 Jahre alt und mit großem Pomp und in fetter Deluxe-Editon wiederveröffentlicht wird, wird man hauptsächlich - und das natürlich sehr zu Recht - davon zu hören bekommen, wie die Platte als mediales Ereignis, als ewiger Totem eines kulturellen Gezeitenwandels eine Zäsur in die Musikgeschichte gefräst hat.

Man soll es nicht vergessen: Es war 1991 nicht üblich, dass die Nummer 1 Band der USA und für kurze Zeit der Welt, drei Männer, Frauenkleider trägt und sich feministisch äußert. Sarkasmus, Zynismus und Ironie wurden als die Sprachen des gepflegten Ennuis der aufständischen Mittelschicht eingeführt. Outcast-Sein, das hieß mit und nach "Nevermind" Teil-einer-Jugend-Bewegung, Teil-der-In-Crowd-Sein.

Von Kurt Cobain flammende verehrte und auch gerne in die Öffentlichkeit getragene Acts wie die Raincoats, Daniel Johnston und die Melvins durften ein bisschen verdienten Ruhm einfahren. Die Kategorie "Alternative" ist im "Mainstream" aufgegangen - zwei tatsächlich schon gar abgestanden schmeckende Zuschreibungen, die mittlerweile fast ausschließlich in Anführungszeichen funktionieren. Was schon per Definition nach einiger Zeit zu Widersprüchen in sich selbst, Rechtfertigungsnotstand und gröberen Problemen führen musste. "Generation X" und "Reality Bites": Das hat "Nevermind" auch erfunden.

nirvana nevermind

nirvana nevermind

Wer es nicht weiß: Das alles ist klarerweise nicht das Verdienst von "Nevermind" alleine. Im Klima von allgemeiner Angepisstheit nach ewigen Jahren Reagan, George Bush I. und Golf-Krieg, nach der viel zitierten Yuppiehaftigkeit der 80er war die Zeit wieder einmal bereit für den Wechsel der Lifestyle-Werte.

Diese Platte, die wie kaum eine andere für jugendliches Aufbegehren, Fuck-You-Attitude und Anti-Corporate-Rock steht, ist mit massivem Aufwand in der Vermarktung, mit Major-Maschine im Hintergrund und hohem Produktionsaufwand entstanden. Was "Nevermind" nur interessanter macht und auch immer wieder gut an der alten Frage knobeln lässt, ob man aus dem Inneren des Bauches des Biests mit Subversion "das System" zersetzen muss. Oder aber, ob es nicht doch auch - wie oft übermittelt - so war, dass Cobain genug hatte von indiehafter Geheimniskrämerei von Sub Pop und bloß Pop-Star sein wollte.

Man kann davon ausgehen, dass es - immerhin hinsichtlich kulturellen Impacts und gebetsmühlenartiger Wieder- und Wiederversicherung desselben - nie wieder ein Album wie "Nevermind" geben wird. Die erste Arcade Fire? Zweimal Radiohead? Strokes? Kanye West? All das wirkt blass im Vergleich zu "Nevermind". Deine Mutter kennt Nirvana. Man muss sich jedoch fragen, was eine 20 Jahre alte Platte beispielsweise heute 13-, 14-, 15-jährigen, die gerade ein bisschen den Wunsch nach kleiner Anti-Haltung in sich keimen spüren, geben kann. 1991 war eine Platte von 1971 kaum existent - wenn sie nicht gerade langweilig in der Sammlung von Eltern oder älteren Geschwistern herumstand. Das war doch angestaubter Quatsch aus der Grammophonstube vom Opa. "Led Zeppelin IV"? Rockistischer Rock-Rock vom Gitarrenrock-Lehrer.

Die Reissue von "Nevermind" erscheint am 23. September: Remastered, Deluxe und Super Deluxe mit viel Bonus-Material. "Für Fans".

Es ist auch Musik drauf

nirvana

nirvana nevermind

Kurt Cobain ist schon längst ein bloßes T-Shirt, ein diffuses Symbol für ein schwammiges Dagegen-Sein. Ein Jim Morrison, ein Che, ein Bob Marley. Dabei kann man sich diese großartige Platte, die "Nevermind" nach wie vor ist, auch anhören. Und muss nicht ständig und ausschließlich vor der zweifelsfrei vorhandenen Bedeutsamkeit und Zeichenhaftigkeit dieses Albums in die Knie gehen.

"Nevermind" ist - man vergisst es oft - bei weitem nicht nur bitter, zerfressen und von den Verwirrungen mit der Welt da draußen gezeichnet. Das ist auch eine sehr lustige, übersprudeldende und bisweilen gar alberne Platte - man kann das in den Texten nachlesen. Was Cobain, Nirvana und "Nevermind" um so vieles besser macht als all die grottenüblen Epigonen, die danach gekommen sind: Die nämlich haben nix verstanden und nur die Selbstmitleidigkeit und murmelnden Knödelgesang in ihre Musik hinübergerettet.

Auch musikalisch ist "Nevermind" perfekt. Man muss sich immer wieder ein bisschen wundern, wie denn Nirvana so einfach in einen Topf mit den Kollegen Pearl Jam, Alice in Chains und Soundgarden geworfen werden konnten. Während die anderen Herren aus Seattle sich nach wie vor stark an traditionellem Blues-Rock aus dem ganz großen Stadion orientierten, waren bei Nirvana immer die knappen Formen von Pop und Punk das Fundament. Jaja, sicher, Hüsker Dü und die Pixies hatten das dynamische Laut/Leise-Spiel schon gut vorgemacht, auf "Nevermind" erstrahlt simple Songwritingkunst aber in selten so klar gesehenem Licht - was nicht zuletzt an der Produktion von Butch Vig liegt.

12 schlichte, durchwegs herrliche Lieder, komprimiert auf die Essenz, gegossen in die übliche - und ideale - Vinyl-LP-Länge von etwa 43 Minuten (minus Bonus). "Smells Like Teen Spirit", "In Bloom" und "Come As You Are", kurze Radikalitätssteigerung mit "Breed", danach "Lithium" und mit "Polly" das - in eine Ballade gepresste - vermutlich brutalste Stück des Albums als Abschluss: Ist es die beste erste Album-Seite aller Zeiten?

Es gibt aufregendere und mutigere Platten als "Nevermind", in kaum einer verdichten sich jedoch Musik, Image der Band, umgebende Laune der Welt, eine Haltung, aber auch gleichzeitig die Reflexion einer Haltung so fehlerlos und funkelnd. Und wenn immer alle Leute sagen "Man wird nie vergessen, wann man diese oder jene Platte zum ersten Mal gehört hat" ist das abgestandener Phrasen-Kaffee und stimmt meistens ja eh nicht.

Mit "Nevermind" will man jedoch viel mehr: Sich selbst belügen und sich einreden, man könnte sich ganz genau daran erinnern und diesen Moment mit möglichst viel nostalgischem Ballast beladen. Diesen Moment, als da nach gut 10 Minuten Stille nach dem letzten Album-Track namens "Something In The Way" plötzlich ein noch nie gehörter Krach aus den Boxen drang und man ein sich vor lauter Schrecken breit machendes Grinsen im Gesicht spüren konnte. Eine Platte, die Gefühle, von denen man nur vage gewusst hat, das sie in einem existieren, in Worte fasst, die man nicht immer versteht.