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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

19. 9. 2011 - 17:28

Generation Angst

Eine ängstliche Generation in der Pauschaltherapie.

"Wie cool ist das denn?!" wird Florian Illies, Autor von "Generation Golf" auf einem Sticker am Cover von "Wir haben keine Angst" zitiert. Das kommt nicht von ungefähr, ist doch auch "Wir haben keine Angst" ein popliterarisches Generationenbuch, das im Untertitel gar die "Gruppentherapie einer Generation" verspricht.

Nina Pauer - Portrait

Dennis Williamson

Nina Pauer, geb.1982, hat Geschichte, Soziologie und Journalistik studiert und ist freie Autorin. Sie schreibt vor allem für das Feuilleton der ZEIT und das ZEITmagazin.

Die Journalistin Nina Pauer beschreibt darin unsere Generation, also die heute 25- bis 35jährigen, anhand zweier beispielhafter Figuren: Anna, die ewige Streberin, die sich trotz schulischer, studentischer und beruflicher Bestleistungen nicht gut genug ist, und Bastian, der mit minimalem Aufwand und einer kurzen Begeisterungsfähigkeit dahinschludert, und den unendlichen Möglichkeiten unserer Generation mit verzweifelter Verweigerung begegnet.

"Anna war das Mädchen, das vor und nach der Klassenarbeit jammerte, dass sie sicher eine Fünf schreiben werde. Die, die eine Woche später mit einer Eins plus unter ihrer Arbeit dasaß und überwältigt stammelte: "Das hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht, wirklich nicht, diesmal echt nicht." ... Bastian hat immer noch dieselbe wirre Frisur wie in der dritten Klasse. Er guckt auch immer noch genauso verquer wie damals. Sein Lächeln ist allerdings noch süßer geworden. Bastian hat noch nie eine Eins geschrieben. Trotzdem oder gerade deshalb haben ihn in der Schule alle geliebt."

Anna ist auch später in ihrem Job in einer Werbeagentur (wo auch sonst?) noch die selbe. Sie macht trotz Überlastung noch Überstunden und Fleißaufgaben. Sie fühlt sich bei Kritik an der Arbeit eines Kollegen selbst kritisiert. Sie teilt ihren Tag penibel ein, hakt brav To-do-Listen ab und ist immer super-busy. Sie lässt sich vom Agenturchef küssen, weil, ja, das weiß sie selbst nicht. Bastian hat sich auch nicht verändert. Er hat bereits drei oder vier Studien angefangen, bringt aber nichts so recht weiter. Er lebt in den Tag und isst Toast mit Senf oder Nudeln mit Ketchup. Er verliebt sich immer wieder unsterblich, nur um nach ein paar Monaten Beziehung das Interesse zu verlieren.

JedeR kennt jemanden, der oder die Anna oder Bastian ähnlich ist. Aber sie sind nicht alltäglich. Die Schulklassen waren nicht voll von diesen beiden Typen. Sie sind definitiv nicht repräsentativ für unsere Generation. Das mag ja für alle Generationenbücher gelten, aber Nina Pauer verallgemeinert so detailliert und so ungeniert, dass man versucht ist, sich tatsächlich einem der beiden Charaktertypen zuzuordnen. Und natürlich findet man hie und da eine Parallele. Die macht aber noch keine Typisierung. Das bin nicht ich. Das sind nicht wir. Hier scheitert "Wir haben keine Angst" zum ersten Mal.

buchcover orange nina pauer: wir haben keine angst. gruppentherapie einer generation

fischer verlag

Nina Pauer: Wir haben keine Angst. Gruppentherapie einer Generation. Fischer Verlag 2011

In fünf Kapiteln arbeitet sich die Autorin an der Angst und der Unsicherheit dieser Generation in der Arbeitswelt, der Liebe, den Freundschaften, im Verhältnis zu den Eltern und jenem zur Politik ab. Beispielhafte Sequenzen aus dem Alltagsleben der Hauptfiguren (uns allen!) werden von Sitzungen bei dem Therapeuten Herr G. abgelöst - die aber leider gar nichts bringen. Begründet wird unser unstetes, unsicheres, politisch desinteressiertes, bindungsunfähiges und oberflächliches Verhalten mit einer Angstüberflutung seit unserer Kindheit: Von Tschernobyl und saurem Regen, BSE, Vogel- und Schweinegrippe, kaltem Krieg und Waldsterben, Klimawandel, Hackerangriffen und Killerbienen abgehärtet fragt uns Nina Pauer frei nach dem Werbespruch eines Limonadeherstellers: "Wie oft soll es denn noch fünf vor zwölf sein?" Und wir werden ja nicht nur von der Angstmache überfordert, sondern von praktisch allem.

"Unsere Köpfe sind Sammelbecken für sämtliche Weck-, Erinnerungs- und Klingeltöne, sie sind die Fläche, auf die der Zufall jeden Tag wieder ein großes, chaotisches Klanggemälde malt. In ihnen vermischt er die Eingangsgeräusche von Milliarden von e-Mails mit dem Schrillen von mobilen und festen Netzen, in ihm trifft der pochende Beat des Facebook-Chats auf das Blubbern der Nachrichten und das alte Telefonringen von Skype, durch das ab und zu der undefinierbare Ton vom Google Mailchat ertönt."

Irgendwann mittendrin kommt man drauf, dass man nicht vom eigenen Liebes-, Arbeits oder Internetleben gestresst ist, sondern von diesem Buch, das suggeriert, wir alle hätten diese Unzahl an Problemen. Und zu allem Überfluss bietet "Wir haben keine Angst" trotz der therapeutischen Begleitung dieser unserer kranken Generation keine Hilfe. Außer der Stehsatzerkenntnis im Schlusswort, dass Thematisierung der erste Schritt zur Heilung ist.

Und hier liegt das zweite Problem des Buches. Denn nach der Lektüre bleibt für den thematisierten Leser, die behandelte Leserin nur die Erkenntnis, dass dieses Buch nichts weiter als einer jener gefühligen Neon-Titelartikel ist - aufgeblasen auf 198 Seiten. Florian Illies findet das cool. Und das sollte als Warnung denn als Werbung verstanden werden.