Erstellt am: 13. 9. 2011 - 10:42 Uhr
Der magische Finger
Ja, es war wohl die Sektbowle, die mir auf meiner Geburtstagsparty in die Tastatur floss, scheinbar ohne die Bowle/Tastatur-typischen Verheerungen anzurichten, für die moderne Tastaturen mit ihrem Foliendesign so anfällig sind. Zwei Monate lang spielte mir meine Tastatur ein Lügenmärchen von Unverwundbarkeit vor - vermutlich, weil sie die verstaubte Anwesenheit meiner IBM Modell M witterte, spürte, Angst davor hatte, Angst zu haben vor diesem unverwundbaren, aber leider für meine geschundenen, Ganglien und Sehnenscheidenentzündungen gebärenden Handgelenke zu wenig ergonomischen Monster einer Tastatur. Oder sollte es eher heißen: Tastatur eines Monsters?
Dann verhakte sich erst das C mit dem Y, dann klinkte sich das L und das Ö aus, meine Schraubendreher-Rettungsversuche brachten zwar viel Zerlegung, aber keine Bewegung in die Sache. Tastatur, Microsoft Ergonomic 4000 oder so: unbenutzbar. Na toll.
Mein Freund und Helfer
Wie sich eine Tastatur für jemanden anfühlt, der nicht mit ihr sein Geld verdienen muss, weiß ich längst nicht mehr. Für mich fühlt es sich aber etwa so an (auch wenn es sich für einen Betrachter lediglich so anhören mag):
In den besten Momenten, dann, wenn ich auf dem Balkon sitze, die Sonne untergeht und die Nachbarn ihren Lebensgeräuschen nachgehen (also: genau so, wie's gerade ist), zerfließen meine Hände und die Tastatur. Das ist wirklich ein seltsamer Moment, sehr berauschend. Vielleicht sogar ein bisschen dissoziativ. Die Tasten kommen dann den Fingerkuppen entgegen und die Finger bewegen sich nicht mehr willentlich, sondern eher von einer magnetischen An- und Abstoßungskraft in Zwangsbahnen. Der unterbrechende Höhepunkt ist das schnelle Trippel-Drücken der Backspace-Taste - das hat in solchen Momenten auch etwas von Zeitmaschine und Raumschiff und Freiheit.
An/Aus, die Maus
Es sind diese Momente des Tastatur-Flows, in denen mir das ganze Konzept einer grafischen Benutzeroberfläche (GUI) wahnsinnig absurd vorkommt. Die klobige, springende, ankantende Maus, die einem magischen, aber noch viel klobigeren, tappsigen Finger entspricht, der Pixel anklickt, wie ET den Finger Elliots. Das mag ja beim ersten Mal ganz entzückend sein. Aber effizient und treibend ist es sicherlich nicht. Aber irgendwie habe ich mich drauf eingelassen - und ich kann mich noch erinnern, wie.
Es war Technik-Geilheit, die mich von meiner geliebten (aber sagenhaft plumpen) Dos-Befehlszeile zu Windows brachte: die Neugier, die unbekannte Insel Windows mit ihren versteckten Konfigurationsdateien und Spielereien zu erforschen. Dazu brauchte es eine Maus, aber sie war einfach das Golf-Wägelchen, mit dem man über die (wie sich im Nachhinein herausstellte) karge Wiese Windows-Golfplatz kurven musste. Aber ich habe mich dran gewöhnt, dann kam Windows 95 und mein Zeichenprogramm und dann war die Sache eh klar. Die Tastatur durfte nur noch eines steuern: Copy/Paste und Rückgängig und vor allem: schreiben. Es kam mir sinnvoll vor.
Dann lernte ich viele Jahre später auf meinem Macbook das magische Quicksilver kennen, das mir unbemerkt wieder eine Befehlszeile unter die Finger schob, auf dass ich die Maus/das Touchpad ruhen und Befehle wieder per Text eingeben sollte. Quicksilver ist ein wichtiges Werkzeug in meinem Computeralltag (und kann das für jeden sein), vor allem aber machte es mich skeptisch: Die Maus, die Tastatur, die grafische Benutzeroberfläche, die Befehlszeile - und zuletzt das Touchpad: das kann es nicht gewesen sein. Glücklicherweise fand ich bald heraus, dass das keine Inselmeinung von mir war, sondern ein in der Interface- und Geek-Gesellschaft schon lange und superinteressant diskutiertes Thema. Ich konnte also was lernen!
Keine Ahnung
Pustekuchen, was lernen ... Verwirrung! Denn für und gegen die Maus/die Tastatur/Touchpads/Befehlszeilen/GUIs spricht so viel, zerzausen sich Design-, Programmier- und Human-Machine-Interface-Konzepter gegenseitig dermaßen die Haare, dass ich fast glauben mag: Wenn das so viel Uneinigkeit provoziert, dann sind alle Lösungen vielleicht nicht die richtige. Denn was richtig und wahr ist, das hat ein eigenes Leuchten, das jeder sofort erkennt.
Apple hat's ja bereits versucht - und ganz schön vermasselt. Das Bedienkonzept für i-Geräte ist toll: Eine Symbolgrafik für eine Anwendung, die eine Aufgabe löst, die zudem die einzige ist, der der Anwender sieht. Das kann jeder benutzen und funktioniert - das Leuchten des Richtigen und Wahren.
Irgendwas muss bei Apple aber schiefgegangen sein, als man versuchte, dieses Konzept, zumindest teilweise, auf das Computer-Betriebssystem OS X umzulegen. Ich erspare mir die Beschreibung des Grauen, das in zahllosen Foren, Artikel und Albträumen längst verarbeitet wird. Nur so viel: Die Kombination aus Touchpad-Gestensteuerung, Mini-Kommandozeile und alten GUI-Konzepten geht vorn und hinten nicht auf. Oder wenn man milder sprechen will: verwirrt.
Für Design-Guru Don Norman, von dem ich früher erwartete, dass er ein strenger Touchpad-Befürworter ist, ist das kein Wunder, wie er in seinem Aufsatz Gesture Wars anhand des Details "Scroll-Richtung" beschreibt; seine generelle Kritik an Touch-Gesten ist aber erst recht super.
Aber die Diskussion spare ich mir - es geht mir nämlich eher um die generelle Frage: Wie soll man künftig Computer und andere technische Geräte steuern?
Und weil es dazu gerade bei Hacker News eine spannende Diskussion anlässlich eines Pro-Kommandozeilen-Pamphlets eines Programmierers gibt, sollen meine Ausführungen auch nur quasi ein Gustomacher für die vielen Hin-und-Her-Argumente sein.
- Stephen Ramsay: The Mythical Man-Finger -- Der Original-Eintrag
- Stephen Ramsay: The Man-Finger Aftermath -- Kommentare zu den Leser-Kommentaren
- Hacker News: Diskussion zu den beiden obigen Blogpostings