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Pia Reiser

Filmflimmern

12. 9. 2011 - 09:39

Achy breaky (He)art

Zwei Bobos himmeln einen Beau an und verlieren den Boden unter den Füßen: In "Les Amours Imaginaires" spinnt Regiewunderkind Xavier Dolan eine Liebesfantasie und eine Ode an die Oberfläche.

Wer denn der selbstzufriedene Adonis sei, fragt Marie, Essen in einer Schüssel glattstreichend ihren besten Freund Francis. Da sei Nicolas, antwortet der mit einem einem viel zu langen Zögern vor dem Namen. Auch er hat den bondgelockten, leichtfüßigen Neuzugang im schicken Freundeskreis bereits bemerkt. In Zeitlupe drehen Marie und Francis die Köpfe zu Nicolas rüber, anhimmelnde Blicke schmiegen sich an den Jüngling, der rauchend lacht und lachend raucht. Das vielleicht nicht obskure aber doch ein wenig rätselhafte Objekt der Begierde wird die Herzen, die Nerven und die Freundschaft von Marie und Francis auf die Probe stellen.

Niels Schneider in "Les Amours Imaginaires"

waystonefilm

Xavier Dolan, der 22jährige Franko-Kanadier, der 2009 mit "I killed my mother" die Herzen der Cannes-Besucher höher schlagen und fallweise explodieren ließ und zum "Regie-Wunderkind" geschlagen wurde, bringt mit "Les Amours Imaginaires" einen Film auf die Leinwand, der in jeder Einstellung seine Liebe zum Kino beweist und beschwört. Der junge Regisseur, der hier auch für Drehbuch und Ausstattung verantwortlich zeichnet und die Rolle des Francis spielt, malt mit Farben des Francois Ozon, Stimmungen eines Wong Kar Wei und Figuren, die wohl auch mit Antoine Doinel gut und gerne eine ganze Stange Gitanes geraucht hätten, einen Liebeswahn auf die Leinwand.

Xavier Dolan in "Les Amours Imaginaires"

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Hoffen und bangen

Und wie kann man den Wahn des Verliebtseins, die zittrigen Hände, das Hoffen und Bangen und den Sturm und Drang, die Unvernunft und Ungeduld besser auf die Leinwand hieven, als mit Überhöhung, großen Gesten und Pop. Die Leinwand ist für Dolan kein Spiegel der Realität, dafür liebt er die Formen und Möglichkeiten des Kinos viel zu sehr und weiss sie einzusetzen. Und doch erzählt "Les Amours Imaginaires" ganz nebenbei ein wenig vom globalisierten Hipster-Alltag.

Die schicken jungen Menschen in Montreal schauen so aus wie die schicken jungen Menschen in anderen Großstädten auch. Man hat die Urban Outfitters Bibel gelesen und verstanden. Man weiss, dass Dov Charney alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse ist, aber was soll man machen, American Apparel macht nunmal die bestsitzenden Shirts. Die Haare sind wohlüberlegt geschnitten und frisiert, tun aber so, als hätte man nie einen Gedanken daran verschwendet. Über die Nostalgie- und Retro-Objektobsession seiner Figuren macht sich Dolan leise lustig. Nur, weil es Vintage ist, heißt das nicht, dass es automatisch schön ist, so Francis zu Marie.

Xavier Dolan und Mona Chokri in "Les Amours Imaginaires"

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Die Schönheit der Dinge

Xavier Dolan liebt, schätzt und verehrt die Oberfläche. Wer sich darüber mockiert, dass der Film nicht in die Tiefe geht, hat etwas nicht verstanden. Der Film singt ein Liebeslied an die Oberfläche. Die Kamera weidet sich an Hutschachteln, orangen Kaschmirpullovern und einer Schleife an einem Kleid. I try to stay in my comfort zone, which is poetry and pretention, so Dolan in einem Interview.

Dichterlesung, Kaffehaus, um Mitternacht beim Vietnamesen essen. Die Welt, in der sich die Figuren bewegen ist ein Hipster-Fiebertraum zwischen 2nd Hand Laden, Wohnungsparty und Naturidyll. Mit pochenden Herzen und verdrehten Köpfen werden Marie und Francis zu Kindern, die mit Nicolas im Wald verstecken spielen.

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"Les Amours Imaginaires/Herzensbrecher" läuft seit 9. September 2011 in Kinos in Wien und Graz

Jüngling und Kino

In einer alles überstahlenden Szene von "Les Amours Imagnaires" tanzt Nicolas auf einer Party im Stroboskoplicht zu The Knife. Gegegngeschnitten werden hier Michelangelos David und Zeichnungen von Jean Cocteau. Spätestens hier ist klar, das Nicolas eine reine, schöne Projektionsfläche ist, eine Idee vom idealen Jüngling. Francis und Marie sitzen am Rand der Tanzfläche und starren ihn an. Eine Situation wie im Kino. Staunen, Bewunderung, flackerndes Licht, das Eingenommen-Sein von einem Bild; schöner wurde dem Kino in letzter Zeit selten eine Liebeserklärung gemacht. Nach "I killed my mother" soll es in Cannes achtminütige standing ovations gegeben haben. Nachdem ich "Les Amours Imaginaires" gesehen hab, hab ich mich zu 12minütigen outstanding ovations hinreissen lassen.