Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "This Woman's Work: Annie Clark ist St. Vincent"

Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

13. 9. 2011 - 10:30

This Woman's Work: Annie Clark ist St. Vincent

Annie Clark aus Texas ist freigeistig, geheimnisvoll und hochbegabt. "Strange Mercy" heißt ihr neues Album.

„Pray, God, you can cope. I stand outside this woman´s work, this woman´s world.“ (Kate Bush, „This Woman´s Work“, 1989)

St Vincent Musikerin

St Vincent

Gleich der erste Song auf „Strange Mercy“, dem neuen Album von Annie Clark aka St. Vincent, beginnt Kate Bush-ig, was nicht als Nachteil zu verstehen ist. Dann aber rockt Annie Clark los wie La Bush es nie getan hätte. „Chloe In The Afternoon“ ist der erste Song von „Strange Mercy“. Wer ist Chloe, und was macht diese Chloe in the afternoon?

Sex, sagt mir eine Rezension vom neuen St. Vincent Album im britischen Guardian. Nein, don´t spoil it. Jetzt weiss ich also alles. Hatte ich doch schon gedacht, Chloe geht in den Wald Rehlein füttern. Aber macht nichts, es wäre wahrscheinlich ohnehin auf das Gleiche herausgekommen. Beim Rehleinfüttern wäre dem Rotkäppchen - das von schneewittchenhafter Schönheit ist, um im Märchenland zu bleiben - sowieso jemand begegnet, ein Wolf vielleicht. Und weil das geplante Interview mit Annie Clark, via Telefon, wieder abgesagt wird, habe ich auch nicht die Möglichkeit, zu fragen, worum es denn in den einzelnen Songs geht. Selbst interpretieren ist also angesagt, aber das ist sowieso immer das Beste wenn es um Songs und ihre Inhalte geht. Aber grundsätzlich, so sagt mir ja der Guardian, geht es also um Sex am neuen St Vincent Album.

Annie Clark

Annie Clark

Von „Chloe In The Afternoon“ also zum nächsten Song: „Cruel“. „I ´ve had good times with some bad guys. I´ve told whole lies with a half smile. Held your bare bones with my clothes on.“ Ok. Sex. Ok.

Next up „Cheerleader“: Textzeile: „I spent the summer on my back“. Oh. Wunderschönes Orchester, und Mackenzie Smith, der Dummer ist ein ganz Großer. Der Sticksman von Midlake trommelt am kompletten Album von St. Vincent, wie schon zuvor. Er tut das auch für Regina Spektor, aber Annie Clark ist sein homegirl und die Nr 1, nach Midlake.
Annie Clark kommt aus Dallas, Texas. Denton, Texas, wo Midlake herkommen, ist ja sozusagen gleich ums Eck. St. Vincent spielte auch schon im Vorprogramm von Midlake, und von Grizzly Bear, und Arcade Fire und Death Cab For Cutie. Davor war sie Teil der vielköpfigen texanischen Band The Polyphonic Spree - ja, die bis zu 24 MusikerInnen mit den wallenden Gewändern, die gern eine Texas-Sekte dahinter vermuten ließen. Und sie spielte in der Band von Sufjan Stevens. Geht´s noch? Ja. Auch mit David Byrne arbeitete Annie Clark zusammen, und mit Amanda Palmer machte sie einen Song, und einen mit Bon Iver - für den „Twilight/New Moon“-Soundtrack.

St Vincent

Clark

Liz Taylor meets Kate Bush

Annie Clark ist erstens – der Künstlername St Vincent soll vom Namen ihrer Urgroßmutter kommen – eine faszinierende Erscheinung, mit einer Optik irgendwo zwischen Kate Bush und Liz Taylor, und zweitens ist sie anders als die anderen zeitgenössischen Musikerinnen. Annie Clark ist kein Folk-Mädchen. Don´t get me wrong, die Musikwelt sollte nie genug bekommen von ihnen und ihrer Musik, aber Annie Clark ist keine von ihnen. Und Annie Clark will nicht Joanna Newsom sein. Annie Clark legt auch nicht einfach einen hübschen Dancepop-Beat unter ihre Texte. Alles ist komplexer. Annie Clark kommt vom Jazz, von der Jazz-Gitarre, von Walter Becker und Donald Fagens großer 70er Jahre Band Steely Dan („Rikki Don´t Lose That Number“), aber auch von Led Zeppelin.

Annie Clark ist die Nichte von Tuck Andress vom erfolgreichen US-Duo Tuck & Patti. Onkel Tuck, ein Jazzgitarren-Virtuose mit Ppcrossover-Geschichte, gab ihr schon als Teenager die Möglichkeit, auf Tour zu gehen und Live-Erfahrung zu sammeln – als Roadie für Tuck & Patti. Nicht nur in den Staaten, sondern auch in Europa, Japan oder China begleitete Annie Clark den netten Onkel und seine Frau.

Musikerin St Vincent

St Vincent

Strange Mercy

Im Titelsong „Strange Mercy“ heißt es, „Oh little one, I´ll tell you good news that I don´t believe. If It would help you sleep.“ Eerie und edgy ist dieses Lied, von nervöser Unheimlichkeit. Ein Wiegenlied? Da ist ein dirty policeman. Wir sind also doch zurück beim Album-Thema Sex: "a dirty policeman, who roughed you up." Oh mein Gott, was ist passiert?

Champagne Year

„It´s not a perfect plan, but it´s the one I got“, singt Annie Clark dann im Leonard-Cohen-esken Song „Champagne Year“. Dass hier ein Riesentalent schlummert hörte man schon am ersten Album von St. Vincent: „Marry Me“, 2007, das Annie Clark größtenteils komplett allein erschuf. Dann folgte „Actor“, 2009. „Is the actor happy?“, fragte sich Vic Chesnutt einmal. „Actor“ war „all about losers“, sagte Annie Clark im FM4-Interview zu diesem Album: „It´s about the creative struggle, the existential crisis.“ Jeder Song der Annie Clark war/ist ein kleines Drama, und Drama „isn´t necessarily about winners winning. Sometimes it´s about losers winning, or winners losing, or losers losing.“ Musik zum Tief-Hineintauchen. Aber niemals Wohlfühlpop.

Albumcover St Vincent Strange Mercy

St Vincent

„Strange Mercy“ von St. Vincent ist bei 4AD Records in London erschienen.

Annie Clark aka St Vincent hat also einen Jazzbackground, aber auch eine Liebe zu Bob Dylan, Ennio Morricone, Disney-Filmen, Igor Strawinsy und dem brasilianischen Bossa Nova. Im Alter von 18 Jahren verließ sie Texas, um nach Boston zu ziehen. An der US-Ostküste studierte Annie Clark Musik.

Year Of The Tiger

„When I was young, the coach called me the tiger. I always had a knack with danger. Living in fear in the year of the tiger.“ Dann singt sie in „Year Of The Tiger“ von Italian shoes und suitcases. „I had to be the best of the bourgeoisie.“ Doch schade, dass Annie Clark nicht ans Telefon geht, um sie nach diesem Song zu fragen, und nach jener Sängerin als Inspiration, die da immer ein klein wenig im Hinterkopf ist. Laura Nyro vielleicht?

P.S.:

Entstanden ist „Strange Mercy“ zum Teil in Brooklyn, wo Annie Clark heute meist lebt, und zum Teil in Texas, im Elmwood Studio von John Congleton. Er hat selbst eine Band – The Paper Chase – und produzierte unter anderen Modest Mouse oder Clap Your Hands Say Yeah, aber auch Erikah Badou, die Roots, Marilyn Manson oder Antony And The Johnsons. John Congleton bringt gerne eine gewisse Dunkelheit im Sound mit, die auch zu St Vincent passt.