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Sammy Khamis

Are you serious...

10. 9. 2011 - 12:58

Ein Fest der Totengräber

Ägypten nach dem arabischen Frühling ist abgekommen vom goldenen Königsweg der Demokratie.

Und wieder ist es alles und nichts. Ein Tag wie der gestrige entlässt jeden Ägypter und jeden Demonstranten irgendwo zwischen Trauer, Freude, Depression und Entschlossenheit. Zuerst der friedliche Protest auf Tahrir, für den sogar Polizei und Militär den Platz geräumt haben. Dann die hässlichen Ausschreitungen vor der israelischen Botschaft, wo in den Morgenstunden des Samstags bis zu 400 Menschen verletzt wurden. In sich wiederholenden Bildern: Menschen die eine Mauer einschlagen, Tränengas, Militär, Feuer, Menschenmassen, durch die Nacht flatternde Dokumente.

Bereits Mitte August wurde eine Mauer um die israelische Botschaft gezogen, um sie vor Demonstranten zu schützen. Diese Demonstranten kamen dann auch. Aber nicht vom Tahrir Platz.

Um zu verstehen weshalb sieben Monate nach Ende der friedlichen Revolution in Ägypten wieder Gewalt auf den Straßen Kairos herrscht muss man sich vergegenwärtigen, dass die letzten sieben Monate vom regierenden Militär sowie von den politischen Erben der Ära-Mubarak dazu genutzt wurden eine Gegenrevolution aufzubauen. Deshalb hatten die liberalen politischen Gruppen zum „Tag zur Berichtigung des Pfades (der Revolution)“ auf dem Tahrir aufgerufen. Ein Marsch der Millionen. So hölzern sich die Umschreibung der sonst so schnittigen Bezeichnungen (Day of Anger, Day of Rage usw.) anhört, so hölzern ist auch der Weg auf dem sich Ägypten derzeit befindet. Denn die Situation, die sich über die letzten Monate eingestellt hat ist keineswegs verfahren, oder ins Stocken geraten. Nein. Mit vereinten Kräften der alten, wie der neuen Machthaber wird an der Gegenrevolution gearbeitet. Das Militär sowie das unüberschaubare Heer an Mubarak-Anhängern, haben die letzten sieben Monate verstreichen lassen ohne den gewichtigsten Forderungen der Demonstranten (also dem Großteil des ägyptischen Volkes) nachzukommen und arbeiten so mit allen Mittel gegen die Revolution.

Schachspiel

Sammy Khamis

Ein Beispiel wäre die Notstandgesetzgebung. Eingeführt nach der Ermordung Sadats, wurde sie 30 Jahre unter Mubarak aufrecht erhalten. Unter anderem ermöglichte sie es Zivilverfahren vor Militärgerichten abzuhalten. Die Notstandsgesetze wurden bereits im Februar abgeschafft. Heute aber stehen 12 000 (in Worten: zwölftausend) Zivilsten vor Militärgerichten und werden im Schnellverfahren verurteilt. Wieso, so eine legitime Frage, bekommt jemand der einen Fernseher klaut in einem Verfahren, das vielleicht einen Tag dauert, mehrere Jahre Haft, wenn die großen politischen Verbrecher weiterhin in aller Ruhe ihre Verhandlung genießen?

Weitere Beispiele: Wo bleiben die Wahlen? Wo bleibt der Zeitplan für die Wahlen? Wo bleibt die Gewissheit, dass das Militär seine Macht wieder abgibt? Wieso ist die Geheimpolizei an jeder Straßenecke, beschützt aber niemanden vor immer weiter um sich greifender Kriminalität?

Ägypten ein halbes Jahr nach dem arabischen Frühling ist abgekommen vom goldenen Königsweg der Demokratie. Es folgt nun einem kleinen Pfad. Deshalb waren Zehntausende an Tahrir und fordern dass die Regierung endlich erfüllt, was sie vor Monaten versprochen hat. Zehntausende sind hier um friedlich, ohne Gewalt, ohne Polizei, ohne Bewaffnung und ohne Brutalität zu demonstrieren. Aber die Menschen auf dem Platz stehen vor allem dafür, dass was im Januar in 18 Tagen geschaffen wurde, ein Moment der Einheit, heute nicht mehr zu greifen ist.

Flagge und Kind

Sammy Khamis

Kinder mit Bemalungen im Gesicht

sammy Khamis

All dies soll die Gewalt gegen die israelische Botschaft nicht rechtfertigen oder kleinreden. Aber man kann sie erklären. Teile der jungen Männer, die im Januar furchtlos gegen die Staatsmacht kämpften, sind Fußball-Ultras. Sie kennen die Strategien der Polizei und wissen um ihr vorgehen. Letzte Woche wurde das Spiel zwischen Al Ahly und Al Ahlawy in den letzten Minuten unterbrochen, weil sich die Sicherheitskräfte von den Fußballfans provozieren ließen. Schlagstöcke und Schlachtfeld, statt Fußball. Diese Gruppen nahmen am Freitag ebenso an der Demo wie an der Demolierung der Botschaft teil.

Ausschreitungen im Fußballstadion

AlAhram online

Man muss ebenso sehen, dass in Israel ein universelles Feindbild geschaffen wurde. Ähnlich wie im Januar, als sich jeder Ägypter auf einen Gegner, den Gegner Mubarak, einigen konnte wird nun im undurchsichtigen politischen Dickicht nach neuen Fixpunkten gesucht.

Die meisten dieser Punkte sind nicht positiv mit Inhalt aufgeladen. Im politischen Leben in Ägypten steht kaum jemand FÜR etwas. Die meisten sind GEGEN etwas. Also gegen Israel, gegen die Militärregierung usw. Entscheidend ist, dass die breite Koalition, die sich im Januar gebildet hat, heute fragmentiert, teils verfeindet ist. So waren am Freitag keine Islamisten auf dem Platz, weil sie die Demos in ihrer Effektivität anzweifeln, die Salafisten gar noch Glauben in die Militärregierung haben. Deshalb ist es auch naheliegend, dass die Personen, die die Botschaft angegriffen haben nicht die sind, die auf Tahrir friedlich demonstriert, gesungen, geredet und diskutiert haben. Und auch wenn es Israel egal sein wird wer ihre Botschaft zerstört hat, so ist es wichtig zu wissen, dass zehntausende auf Tahrir friedlich gegen hunderte in Giza stehen.
Denn mitunter das Wichtigste, was dem arabischen Frühling entsprungen ist, ist die Entdeckung der arabischen Völker als heterogene Gebilde. Als Pool an Meinungen, Richtungen, Ideologien und nicht als uniforme Bedrohung.

Nun hat aber die Militärregierung wieder ausreichen Vorwände um das Bild des unberechenbaren und unmündigen Volkes nach außen und nach innen hin zu füttern. Aus Befreiern werden Totengräber.