Erstellt am: 9. 9. 2011 - 20:26 Uhr
Journal 2011. Eintrag 167.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Abstecher in die Niederungen der Tagespolitik.
Ich weiß, ihr werdet zurecht sagen: die schnelle Tagespolitik mit ihren billigen Kleingeld-Wechselspielen ist nichts, worauf sich ein seriöser Blick lohnt.
Schon gar nicht, wenn es sich um eine Kampagne handelt, die sowieso mit plakativer Verknappung arbeitet.
Und sowieso nicht, wenn es sich um eine politische Kraft handelt, deren Legitimation zusehends schwindet: das BZÖ, das 2005 von Jörg Haider ins Leben gerufene Bündnis, das die "alte" FPÖ aushebeln sollte.
Das BZÖ ist in keinem einzigen Landtag mehr vertreten; und seit seine eigentliche Basis, die Kärntner Partei-Organisation, sich als FPK abspaltete und erst recht wieder der neuen-alten-erfolgreichen Strache-FPÖ anschloß, durch die Hintertür verduftet ist, ist auch der Wiedereinzug in den nächsten Nationalrat mehr als unwahrscheinlich - dort saß man nämlich nur aufgrund der Kärntner Stimmen.
Dieses BZÖ hat nun heute seine Herbstkampagne vorgestellt: eine Wutkampagne gegen die Regierung und die EU-Bosse.
Feindbild Regierung, EU und Spekulanten
Wie das aussieht und in welche Richtung hier argumentiert wird, liegt ziemlich klar auf der Hand. Aber weil mittlerweile jedes Kind weiß, dass etwa die völlig überflüssige, auf politischer Machtgier und Abzocker-Geilheit basierende Hypo-Pleite jeden österreichischen Steuerzahler deutlich mehr kostet, als die für die Erhaltung des europäischen Hauses bitter nötige Griechenland-Hilfe, ist diese Kampagne inhaltlich womöglich von mässiger Relevanz.
Das Interessante ist auch eher ihre Form.
Da hat sich der stellvertretende Klubobmann, Stefan Petzner, nämlich was ausgedacht, mit Zitaten "aus dem meist gelesenen, meist gedruckten und bekanntesten Buch der Welt, der Bibel."
Zwei Plakat-Sujets gibt es:
Sujet 1 - Altes Testament, Hosea Kapitel 8, Vers 7: Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten.
Sujet 2 - Neues Testament, Lukas-Evangelium: Denn
sie wissen nicht, was sie tun.
Die Bibel, das bürgerliche Buch der Bücher?
Die Bibel, sagt Petzner, ist "für viele Menschen auf der ganzen
Welt Richtschnur" und der "Ursprung der Regeln unseres
gesellschaftlichen Zusammenlebens und letztlich auch unseres
Rechtsystems". Und: "was ist bürgerlicher, als das Buch der
Bücher?".
Nun es ist zum einen höchst gefährlich ist die Bibel ernsthaft als Richtschnur des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu erhöhen - auch weil das genau das ist, was viele Christen dem Islam in Bezug auf den Umgang mit dem Koran vorwerfen; weil sich in der Bibel eine Vielzahl völlig überkommener Vorschriften finden, deren heutige Umsetzung nicht nur den Menschenrechten wiederspricht (Sklaverei, Selbstjustiz und Vigilantentum sind mittlerweile zurecht kriminalisiert), sondern sich auch mit modernen Moralvorstellungen spießt. Denn die Bibel ächtet und kriminalistiert Homosexualität - was auch Petzner nicht entgangen sein kann.
Die Bibel in diesem Zusammenhang als "bürgerlich" zu bezeichnen - gewagt.
Radikal, widerständig, visionär - massiv antibürgerlich
Die heilige Schrift der Christen ist in seiner Mehrheit nämlich das exakte Gegenteil von bürgerlich: sie argumentiert radikal, besteht auf zahlreichen Brüchen mit gesellschaftlichen Konventionen, sagt der zeitgenössischen Variante des Kapitalismus den Kampf an, spricht sich gegen das Konzept von weltlichem Besitz aus und erzählt seine Gleichnisse brachial und durchaus rabiat, bietet praktische Anleitungen zu Widerständigkeit im Sinn der Befreiungs-Theologie, schildert Visionen wie man sie aus Fieberträumen kennt.
Antibürgerlicher gehts gar nicht.
Bürgerlich ist nicht die Bibel, auch nicht die christliche Lehre, und schon gar nicht die jahrhundertelange "Händefalten-Goschnhalten"-Praxis der katholischen Kirche (die ist machtpolitisch motiviert).
Bürgerlich ist eine diffuse Vorstellung von Ordnung und Sittsamkeit, die durch die Bibel selber nur insofern gedeckt ist, als sich Details in biederen Sonntagsreden verpacken lassen. Bürgerlich ist also nur die duckmäusige Interpretation der Bibel.
Seit Breivik ist Pause für christliche Kampfrhetorik
Interessanter aber als diese irrtümliche Verwendung des Bürgerlichkeits-Begriffs ist aber etwas anderes.
Die Kampagnen-Verschlagzeilung wie sie hier angeführt wird, kennt man eigentlich von Petzners Ex-Partei, der FPÖ. Die hat sich aber in den letzten Monaten erstaunlich zurückgehalten; und auf Motive mit religiösem Hintergrund verzichtet. Das war nicht immer so: Islam-Witze, serbische Betketten, Kreuze, Moschee-Spiele, Mohammed-Verunglimpfungen,...
Aktuell greift die FPÖ aber nicht auf diesen Topos, also die aggressive Verwendung von christlichen Kampf-Szenarien zurück. Auch die konservativen Teile der ÖVP tun das nicht. Wie auch die katholische Kirche, die seit Monaten mäuschenstill ist, was öffentliche Äußerungen betrifft.
Der Grund dafür ist klar: seit die radikal-hysterische Rechte in Europa sich als Kreuzritter positioniert haben und die Irrsinnigkeiten dieser verquer interpretierten Gesinnung durch das Breivik-Massaker in alle Kanäle verbreiten haben, ist Vorsicht angesagt. Seit sich der rechte Terror über die Militanz der historischen christlichen Verteidiger des Abendlandes definiert, hat sich niemand mehr mit religiösen Kampfbegriffen bewaffnet in eine politische Kampagne geworfen.
Bis jetzt eben.
Um mich nicht mißzuverstehen: natürlich hat das aktuelle BZÖ genau gar nichts mit dem rechtsradikalen Terror zu tun. Aber irgendwie fehlt es an Bewußtsein für die Gefahr mit biblisch wuchtigen Motiven aus der sturmbringenden Breivik-Welt der Kreuzfahrer zu argumentieren, an Verantwortung und Vorsicht, wie sie alle anderen politische Kräfte zeigen.
Wahrscheinlich ist das nicht einmal absichtlich passiert, sondern durch den Eifer endlich einmal in ein Terrain vorstoßen zu können, wo sonst immer schon Kickl und Vilimsky die Hand drauf haben. Bibelfest jedenfalls ist das nicht.