Erstellt am: 8. 9. 2011 - 20:20 Uhr
10 Jahre 9/11
Wieder steht der halbe Nordosten unter Wasser. Auf Irene folgte Lee. Seit Tagen regnet es. Die Kameramänner am Ground Zero fluchen. Schirme über Linsen und Mikrophone. Diejenigen, die es sich noch leisten können, haben halbe Redaktionen nach New York entsandt. Ein Kollege flüstert, dass ein deutsches Boulevardblatt knapp 30 MitarbeiterInnen eingeflogen hat. Von der großen Jubiläums-Show muss man sich schließlich selbst ein Bild machen. Zum 9/11-Betriebsausflug nach NYC - Mensch, Geschichte, Mann!
Empfehlenswerte Artikel zum Thema:
Frank Rich befasst sich in Day's End im New York Magazine mit den Konsequenzen von 9/11 für die Politik und Gesellschaft der USA.
Graham Rayman in der Village Voice über The Winners of 9/11.
Christian Lehner
Christian Lehner
Routiniert posieren die Bauarbeiter und Feuerwehrmänner für Touristen und Journalisten. Sie haben gelernt mit der Aufmerksamkeit umzugehen. Und schließlich lässt sich auch endlich etwas herzeigen. Nach der jahrelangen Baupleite, den Umplanungen und Streitereien wächst das neue „One World Trade Center“ mittlerweile um einen Stock pro Woche. Richtfest noch in diesem Jahr. Versprochen. „7 WTC“ ist bereits fertig. Schräg gegenüber vom Einserturm macht sich „4 WTC“ auf in den Himmel. Heute, an diesem Regenmittwoch, verschwindet der Rumpf des Hauptturms in den Wolken. Selbt wenn er erwachsen ist, wird das bei Schlechtwetter immer so aussehen.
Christian Lehner
Vorhin war ich oben an der Fulton Street und der St. Paul’s Chapel am Broadway. Mitglieder der Kirche, die zu einer der zentralen 9/11-Gedenkstätten wurde, verteilen weiße Bänder mit den Namen der bei den Anschlägen Getöteten. Es ist ein Business-Tag, so schlingen vor allem Touristen die Bänder um die Verstrebungen des Zauns vor der Kirche.
Christian Lehner
Christian lehner
Christian Lehner
Ich hole Erinnerungen ein. Erstaunlich, wie fiktional die Geschichten mittlerweile anmuten. Die Bilderflut, der Narrativ, die Vereinnahmung haben das echte Leben überwältigt und Zusammenhänge verschüttet. Aber vor mir stehen sie, Mary, Liol, Cilia. We are New Yorkers. Sie alle teilen diese Erfahrung, sind am 11. September 2001 nach Downtown zur Arbeit gefahren und mit verdreckten Gesichtern nach Hause zurückgekehrt, haben als Freiwillige bei den Chelsea Piers an der Westside auf Verletzte gewartet, die nie kamen, weil es kaum Verletzte gab oder harrten stundenlang vor ihrem Telefon aus, weil der Ehepartner im WTC gearbeitet hat. Manchmal schauen sie noch in den Himmel, wenn sie ein Flugzeug hören. Unsicher fühle sich aber kaum noch jemand. Auch wenn man nicht vergessen kann und will, It’s time to move on.
New Yorkers on 9/11
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10 Jahre nach 9/11
- Wir sind alle New Yorker (Christian Lehner)
- 9/11 Ten Years On (Joanna Bostock)
- Verschwörungstheorien zu 9/11 (Simon Welebil)
- Ein Besuch am Ground Zero (Christian Lehner)
Das forderte auch Bürgermeister Bloomberg am Dienstag bei einer Rede zu 9/11 und plädierte dafür, die Stelle der Anschläge ab sofort wieder „World Trade Center“ statt "Ground Zero" zu nennen – für die Erinnerungsarbeit sei das 9/11 Memorial da, das am Jahrestag teileröffnet wird. Bloomberg verweist in seiner Post-9/11-Bilanz auf die Revitalisierung von Downtown New York, wo mittlerweile mehr Menschen leben würden, als vor den Anschlägen. Ganz so rosig wie der zuletzt aufgrund seiner letzten Amtsperiode frei aufspielende Bürgermeister sehen das freilich nicht alle. Auch in Downtown geht die Gentrification um. Statt Wohnraum für einkommensschwache Bürger hat der Kommerz Einzug gehalten. Generell hat sich die soziale Situation vieler StadtbewohnerInnen in den letzten Jahren verschlechtert
Christian Lehner
Christian Lehner
Christian Lehner
Christian Lehner
Nicht zuletzt deswegen stoßen die Ansagen Bloombergs, den Blick nach voren zu richten, bei vielen New Yorkern auf offene Ohren - bei den zahlreichen Hinterbliebenenverbänden und Gedenkvereinen wohl eher weniger. Der Großteil der traditionell liberalen Stadtbewohner stößt sich am überpatriotischen Klimbim der alljährlichen Gedenkfeier, der im Gegenzug beschämenden Tatenlosigkeit in der Frage der Gesundheitsfürsorge für Einsatzkräfte und die so genannten first responders und der bewusstlos machenden Symbolik von 9/11, die der nationalen Politik in den Folgejahren als Legitimationsgrundlage für die Einschränkung von Bürgerrechten diente. Die Bush-Regierung führte das Land in zwei Kriege und an den Rand der ökonomischen und moralischen Katastrophe. Nicht nur Journalisten fragen sich 10 Jahre danach, ob die Terroristen indirekt nicht doch auch langfristige Erfolge erzielt hätten.
Cristian Lehner
Christian Lehner
Christian Lehner
Es regnet noch immer. Die Sky Cowboys sind an die Erde gebunden und schnappen sich Pizza-Slices und Sandwiches. Ein Feuerwehrwagen rollt mit eingeschalteten Signalhörnern und ausgesteckter Flagge an der WTC-Site entlang. Ein Tourist erkundigt sich bei einem Polizisten, wo denn der berühmte Ground Zero liege. Vor dem Firefighter-Gedenk-Relief an der Greenwich Street interviewt CNN einen Jungen, der am Sonntag 10 Jahre alt wird. Sein Vater erklärt mir, dass er und seine Frau ein Buch voll mit Geschichten und Portraits von Kindern veröffentlicht hätten, die am 11. September 2001 geboren wurden. Der Bub wird von Kamerateam zu Kamerateam weitergeschoben und wirkt etwas überfordert. Er ärgert sich über den Regen. Keine Angst mein Junge, für Sonntag verspricht der Wetterbericht etwas Besserung.