Erstellt am: 7. 9. 2011 - 18:08 Uhr
Glitzerleggins statt Ringelstrümpfe
Dienstagnachmittag, 16.30 Uhr, Amanda Palmer probt in der Wiener Arena: die Sonne blinzelt durch die Fenster hinter der Bar in die große Halle. Die Scheinwerfer sind noch heruntergelassen. Amanda Palmer übt mit Drummer und Gitarrist. Denn mittlerweile hat sie eine Band und eine neue Show, „very high energy“ kündigt Amanda im Interview an.
FM4/Irmi Wutscher
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Später kommen noch vier Bläser dazu, um den Sound aufzufetten. Den MusikerInnen und der Vorband pop:sch wird schnell noch ein Frage-Antwort-Spiel auf deutsch beigebracht, nämlich „Ein Stuhl in der Hölle“ von den Einstürzenden Neubauten: Getragene „Sag es mir“ und „O weh mir“-Chöre werden da einstudiert. Und dann noch ein Einwurf: „Oh and have I told you guys, that there will be a singing saw player?“ sagt Amanda am Ende der Probe, “It just happened today…”
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Spontaneität und Improvisation ist bei diesem Konzert nicht Sahnehäubchen auf der Tomatensuppe, sondern Grundzutat. Amanda Palmer hat ihre bisherige „me, myself and a piano“-Show eingemottet, die Ringelstrümpfe gegen Glitzerleggins eingetauscht und sich eine neue Auftrittsform gegeben, die am besten mit Nummernrevue beschrieben werden kann. War die Grand Dame des Punk Cabaretts zwar schon dafür bekannt, ihre Lieblingssongs von „War Pigs“ von Black Sabbath bis zu „My Favourite Things“ aus Sound of Music bei Konzerten aufzugreifen und in ihre eigene Piano-Soundwelt zu übersetzen, hat sie dieses Ansinnen diesmal mit zig Gästen und Showeinlagen auf die Spitze getrieben und die Show selbst zu einem Cabaret gemacht. Hat sie die Zeile „Life is no Cabaret“ aus ihrem Song "Sing" vergessen?
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Mini-Europatour
Das Konzert vor ausverkauftem Haus gestern in der Arena Wien war eine von nur sechs Stationen auf einer Minitournee durch Europa. „We only chose the places, we thought we might like the most“ sagt Amanda Palmer später auf der Bühne, Wien und die Arena seien ihr ans Herz gewachsen, seit sie das erste Mal hier gespielt habe, als Vorband der Nine Inch Nails.
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Das ist mittlerweile sechs Jahre her, die Dresden Dolls haben sich aufgelöst und diesmal hat Amanda sich die Vorband ausgesucht, und zwar höchstpersönlich. Das ist ihr sehr wichtig, sagt Palmer, die Supportband soll die Show ergänzen und sie möchte auch, dass das Publikum die Supportband wertschätzt, deswegen sagt sie sie auch selber an und bindet sie ins Geschehen ein. „I have a big fanbase in Vienna, but no musician friends“, deswegen habe ihr der Promoter eine Liste vorgelegt. Dann hat Amanda das Video zu „Shave“ gesehen und war beeindruckt: „I loved the music, I loved the look, I loved how fucking ridiculous they were“. Und somit waren sie gebucht.
Rampensau-Power-Songs
pop:sch eröffnen die Show mit einer energiegeladenen 80er-Synthie-Pop Show mit ekstatischem Rumgehüpfe und viel Gepose. Man merkt dass die vier WienerInnen sehr aufgeregt und noch immer euphorisch sind, von Amanda Palmer ausgewählt worden zu sein. Sängerin Andrea macht alle Ansagen auf englisch „I want Amanda to understand me!“
FM4/Irmi Wutscher
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Danach wird es ernst, der in der Probe angekündigte Sägengeiger nimmt auf einem Stuhl in der Bühnenmitte Platz und beginnt mit dem unheimlichen Gesinge. Es ist Adrian Stout von den Tiger Lillies, in Melone und Anzug und mit fiesen Grimassen erinnert er an den Dresden Dolls-Drummer Brian Viglione. Bei „Missed Me“ wird er noch einmal auf die Bühne geholt, und beim intensiven Zusammenspiel mit Amanda Palmer habe ich unweigerlich einen Dresden Dolls Flashback.
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Neben den Rampensau-Power-Songs wie Girl Anachronism oder Guitar-Hero kommen drei neue Songs zum Einsatz, unterstützt vom Bläserquartett. Die bleiben allerdings angesichts des übrigen Hitfeuerwerks kaum im Gedächtnis, sind auch musikalisch wenig interessant.
Showeinlage jagt Showeinlage
Zwischen den Songs jagt eine Showeinlage die andere. Mit den Worten „Ich habe meinen Mann mitgebracht“ wird Neil Gaiman auf die Bühne geholt, um einen Song zu singen. Der erzählt, dass er von dieser Einlage erst fünf Minuten vor Beginn der Show erfahren habe.
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Mit dem Satz „Would you like to dance?“ wird eine Art Eighties-Aerobic-Einlage eingeleitet, bei der Assistentin Superkate im rosa Stirnband auftritt, Publikum und Arena-Belegschaft auf der Bühne auf- und abhopst und Amanda sich schlussendlich crowdsurfend in die Menge stürzt.
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Das Publikum ist Teil der Show, es singt in Chören bei „Stuhl der Hölle“, klatscht den Takt ein bei „Oasis“ und gibt bei „Map of Tasmania“ jedem von Amandas gestöhnten „Ohmygod“ ein „Fuck It!“ zurück.
Amanda being Amanda
Zu Map of Tasmania erzählt Amanda Palmer, dass der Song von Peaches inspiriert wurde und dass es auch einen Remix gibt, bei dem Peaches einen expliziten Rap zur Schambehaarung beigesteuert hat. Im Zusammenhang damit erzählt Amanda, dass sie Peaches in Österreich kennen gelernt hat, nämlich am Donaufestival 2006, wo ihr Peaches ein Geburtstagsständchen auf Jiddisch sang.
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Ansonsten waren die Anekdoten und Anekdötchen aus dem Leben der Amanda aber diesmal rar gesät. Erfuhren wir beim letzten Konzert noch, dass der Erlös aus jener österreichischen Fernsehwerbung, in der Coin Operated Boy vorkommt, noch immer Brians und Amandas Gesundheitsversicherung bezahlt und wie das erste Abendessen mit mittlerweile Ehemann Neil war, gibt’s diesmal Power und Rampensäuigkeit, aber wenig Nachdenklichkeit und „Amanda being Amanda“. Was ein wenig schade ist, denn die Geschichten plus die ein wenig rotweinselige Zugaben-Policy („Should I do just one more?“) haben bisher den Charme der great, big Amanda-Show ausgemacht.
FM4/Irmi Wutscher
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New Challenges
Vermutlich ist ihr das aber zu langweilig oder es ist ihr alleine auf der Bühne zu einsam geworden. Als ich sie frage, ob ihr das Touren schon so zur Routine geworden sei, dass sie immer nach neuen Herausforderungen suche, meint sie: „Touring is never boring. I often think that the time that I would spend being a good musician, gets spent doing this shit! But I am not interested in being a good musician. I know it sounds really sacrilegious, but I am much more interested in having fun with people, than I have in singing well or warming up my voice or learning how to play the piano.”
FM4/Irmi Wutscher
Bei den Dresden Dolls war es das intensive Zusammenspiel mit Partner Brian Viglione, das die unglaublich greifbare Live-Energie ausmachte. Die bisherigen Shows waren von Personality-plus-Piano auf der Bühne geprägt. "Amanda being Amanda" hat gestern abend ein bisschen gefehlt. Aber Spaß und Power Show hat ihr auch nicht schlecht zu Gesicht gestanden. Life is a cabaret, old Chum!