Erstellt am: 7. 9. 2011 - 17:02 Uhr
"Wir probieren, der Anstupser zu sein"
Seit Wochen häufen sich Aufdeckungen, Ärgernisse und Ungereimtheiten über Facebook und dem Umgang des US-amerikanischen IT-Konzerns mit den privaten Daten seiner rund 600 Millionen User. Im Sekundentakt werden freiwillig private und persönliche Informationen auf Facebook-Profile gestellt. Der Glaube der informierten Öffentlichkeit daran, dass diese Informationen nur die jeweiligen "Friends" zu sehen bekommen, und das Unternehmen dahinter kein langfristiges Interesse an den veröffentlichten Inhalten hat, wird von Tag zu Tag kleiner.
news.ORF.at:
"Wiener erzwingen Razzia bei Facebook"
Anlässlich einer Seminararbeit während eines Auslandsjahres in Kalifornien hat der 23-jährige Jusstudent Max Schrems aus Wien damit begonnen, tiefer in das System des Facebook'schen Datensammelns vorzudringen. Am Anfang seiner Fehde gegen Facebook stand ein Auskunftsersuchen. Jeder hat das Recht zu erfahren, welche Daten über einen selbst gespeichert werden - theoretisch. Denn gerade bei digital gesammelten Daten, die auf geheimen Serverfarmen irgendwo auf der Welt gespeichert sind, ist eine Überprüfung der übermittelten Daten illusorisch. Man muss nehmen und glauben, was man kriegt. Doch auch das unvollständige personalisierte Datenpaket war in einer bedenklichen Weise beeindruckend: Schrems und seine Unterstützer haben jeweils viele hundert A4-Seiten Informationen über sich selbst zugeschickt bekommen.
Auf der Website "Europe versus Facebook" haben Max Schrems und seine Unterstützer die zugesandten Daten veröffentlicht.
"Unterm Strich ist das einfach nur stochern. Wir schauen einmal, wie weit man kommt und was man machen kann als kleiner Student gegen den großen Konzern. Wir haben auch kein großes Risiko. Wir müssen schauen, dass wir nichts behaupten, was nicht stimmt, sonst kann Facebook hinter uns herjagen, aber sonst sind das ein paar Papierzettel, die man nach Irland schickt und schaut, was die Iren dann machen.
news.ORF.at
Was Max Schrems durch Recherchen und Auskunftsersuchen auch herausgefunden hat: Facebook Europa sitzt quasi - vermutlich aus Steuergründen - zur Gänze in Irland. Deshalb ist auch europäisches Recht anwendbar - anders als etwa bei Google, wo der Rechtsstandort der Firma komplett in den USA liegt. Das ist in Bezug auf den rigorosen Umgang mit Datenschutz die Achillesferse von Facebook, anhand derer Schrems nun die maßgeblich unterschiedlichen Datenschutz-Philosophien von Europa und den USA getrennt wissen will.
"Wir haben eine total andere Rechtskultur in Europa. Es gibt in den USA im Prinzip keine Datenschutzreglementierung, dort besteht jeder Bürger aus drei Nummern, die aussagen, was für Zahlungsfähigkeiten er hat. Praktisches Beispiel: Wir waren Schifahren, ein Kollege verliert die Kreditkarte und bekommt fast einen Herzinfarkt, weil deshalb sein Rating runter ginge und damit sein Hauskredit teurer würde. Das sind Sachen, die sind bei uns unvorstellbar."
Rohstoff Daten
Es ist zynisch, dass Facebook auf seiner Startseite damit wirbt, dass es immer kostenfrei bleiben würde und andererseits - gemeinsam mit unzähligen Partnern, die für Facebook entwickeln - unverhohlen Werbegelder mit den Profilen und Daten der User lukriert und darüber hinaus keine Information darüber abgibt, was mit den Datensätzen später passiert.
Das komplette Interview mit Max Schrems findet sich im FM4 Interview Podcast.
"Wenn man das ganz klassisch und plakativ sieht, ist das in den USA der pure freie Markt, wo man sagt: Wir haben einen neuen Rohstoff, das sind Daten, und wir haben ein neues System, mit dem man diesen Rohstoff verarbeiten kann - während die Europäer schon in den 80er Jahren begonnen haben, persönliche Daten aus dem freien Markt herauszunehmen. Das sind verschiedene Ansatzpunkte, und die zu synchronisieren ist meiner Meinung nach relativ unmöglich."
Was fehlt - und das ist auch Max Schrems' großes Anliegen - sind klare rechtliche Reglementierungen, was erlaubt ist und was nicht. Er bringt den griffigen Vergleich mit Postsendungen: Was wäre, wenn Briefe und Pakete stets vom Zustellunternehmen gelesen, gescannt, inhaltlich sortiert und gespeichert werden würden?
Der Stein kommt ins Rollen:
Die für Datenschutz zuständige EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat erneut mehr Transparenz von Sozialen Medien wie Facebook eingefordert. Mehr auf news.ORF.at.
"Facebook speichert alle Messages, die man jemals geschickt und empfangen hat, analysiert die, und man kann sie nie wieder löschen. Stellen wir uns vor, die Post würde morgen sagen, wir reißen alle Briefe auf, kopieren die, analysieren sie und speichern sie in einem riesen Datencenter; und niemand kann sich aussuchen, was damit passiert und kann dem auch nicht widersprechen. Das ist vollkommen jenseits der Vorstellung. Genau das macht Facebook - aber ist nicht angreifbar. Ich habe am Ende keinen aufgerissenen Brief."