Erstellt am: 7. 9. 2011 - 16:40 Uhr
Fußball-Journal '11-97.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit den Nachwehen zum gestrigen Türkei-Länderspiel, das das überfällige Ende der gruselig-schmieren-komödiantischen "Ära" Constantini darstellte.
Wie immer die Links, die etwas können:
1) die laola1-Taktikanalyse
2) die abseits.at-Analyse
3) die ballverliebt-Analyse
4) Tom Schaffers standard.situation - vielleicht kommt noch eine Netzwerkanalyse im Standard dazu.
Auch hochinteressant: ballverliebts strategischer Rückblick auf alle Constantini-Matches und die deutsche Sicht im Taktik-Blog Spielverlagerung.
Es ist vorbei mit dem Constantini-Spuk (zwar erst im Oktober, aber immerhin).
Die knieweiche Vorgangsweise des ÖFB (die getwitterte Version der Pressekonferenz von heute Vormittag findet sich hier bei 90minuten) macht aber klar: Es wird nix Besseres nachkommen, dafür werden Windtner und Co schon sorgen.
Abgesehen davon: Das Auswechseln einer einzelnen Führungs-Person bringt (sofern diese nicht eine ungeheure natürliche Autorität oder ein ungebremstes Pouvoir hat) nichts, wenn das gesamte Werkel seit Jahren im Dreck steckt. Und wenn der (der Dreck) hart wird, weil man den Stillstand abfeiert, geht gar nichts.
Was tun?
Sich abfinden und die Realität beklagen?
Weiter öffentliche Aufklärung und Mobilmachung betreiben?
Ja, sicher.
Aber die Vorwürfe des Gscheid-Redens von 8 Millionen Teamchefs unter besonderer Berücksichtigung von Journalisten und ganz spezieller Berücksichtigungen von Taktik-Bloggern und Kapperl-Trotteln (die zuletzt für einiges an Bewegung gesorgt haben) treffen dann schon irgendwie zu.
Konstruktivität vs. Besserwisserei?
Wie sagt das der Phillip Bauer in einem Standard-Kommentar mit dem schönen Titel Es ist vorbei, bye bye!: "[...] wissen es die aus dem Internet tatsächlich besser? Warum machen wir nicht einfach Martin Blumenau zum neuen Nationaltrainer? Oder gar unseren Schaffer Tom? Oder den 'Trottel' mit dem Kapperl von 90minuten.at? Weil sie Journalisten und keine Fußball-Trainer sind. Sie glauben auch gar nicht, diesen Job besser als Constantini ausüben zu können. Was sie aber sehr wohl drauf haben: sich Gedanken machen, sich intensiv mit den Problemen auseinandersetzen, reinhackeln. Mindestanforderungen, die Constantini in seiner Ära aber nie vermitteln konnte."
Darum geht's.
Und diese Problem-Auseinandersetzung lässt dieser Tage gar nichts anderes zu, als sich dem Strauß an Maßnahmen zu widmen, die die ÖFB-Verantwortlichen jetzt in Gang setzen müssen, um zukunftsfit zu sein. Und da ist der neue Teamchef eben nur einer von zehn Punkten.
Zehn Punkte, die ich vorhin auf einen Zettel gekritzelt habe, den mir die Thekenkraft der Kaffeeküche gespendet hat.
Maßnahmen-Katalog: Arbeit an 10 anstehenden Baustellen
Zehn Punkte, die der ÖFB in diesem Herbst auf der Checklist haben müsste.
1) Hauptamtlichkeit der Mitarbeiter
Nur Mitarbeiter, die ihre gesamte Kraft in den Dienst ihres Auftrags stecken, sind wertvolle Mitarbeiter. ÖFB-Angestellte, die ihre Tätigkeit als Nebenjob betreiben, und den Job als Sprungbrett betrachten, sind verzichtbar.
Das gilt vor allem für Trainer in allen Bereichen.
Wenn die österreichische Realität es schon erfordert, dass der ÖFB-Präsident ein politisch und wirtschaftlich einflussreicher und vernetzter Mann ist (wobei fraglich ist ob Leo Windtner diese Ansprüche in vollem Umfang erfüllt), dann braucht es zumindest einen geschäftsführenden Vize-Präsidenten, der den Laden fulltime schupft. Und zwar jemanden, der in diesem Jahrtausend lebt und die alte Schule des pensionsüberreifen Consigliere Gigi Ludwig überkommt.
2) Installierung eines Sportdirektors
Aktuell schmückt sich Willi Ruttensteiner mit dem Titel des "technischen Direktors"; ist damit aber ein König ohne Land.
Was der ÖFB wirklich braucht ist ein Sportdirektor, wie ihn der DFB in der Person von Matthias Sammer besitzt, sogar mit noch weiterreichenden Kompetenzen in den gesamten sportlichen Bereich.
3) Installierung eines Jugend-Koordinators
Das Herzstück des ÖFB auf Bundesebene sind die Junioren-Nationalmannschaften. Gerade die Querelen der letzten Zeit zeigen, dass hier dringend ein handlungsaktiver Koordinator vonnöten ist, der intensiven Kontakt zu den Akademien, Leistungszentren und Amateur-Teams der Liga-Clubs hält.
Zudem wäre nach Schweizer Vorbild eine weitere Person, der intensiven, coachenden Kontakt mit den im Ausland befindlichen jungen Spielern hält, angebracht.
Österreichische Spezial-Aufgabe: gezielte Arbeit mit den bislang links liegengelassenen und aktuell chancenlosen Migranten-Kids.
4) Persistenz des Challenge-Projekts
Die Ideen und Visionen die in die durchaus zu beachtenden Projekte 'Challenge 08' und 'Projekt 12' geflossen sind, müssen dauerhaft festgemacht werden: Gezieltes Individualtraining für die Top-Talente ist ein Schlüssel zum Erfolg - die Schweiz und Deutschland können hier als Vorbild dienen.
5) Abschaffung der Versorgungsposten
Systematische Vertragsauflösung mit Trainern und Coaches, die ihre Jobs als reines Alibi, als Versorgungs-Posten bekommen haben, weil sie "verdiente Ex-Spieler" sind.
6) Neuaufbau des Jugend-Coach-Systems
Das Lippenbekenntnis "Die besten Trainer in die Jugendarbeit" umsetzen. Aus der Sonntagsrede eine Realität schaffen. Besonderes Augenmerk auf die didaktischen Fähigkeiten richten: Die vielgepriesene Vorbildwirkung von Ex-Spielern auf die Jungen ist für die neue, digital geprägte Generation nur ein Witz; G'schichtldrucker, die die gute alte Zeit preisen sind out - die Jungen erwarten gezielte, moderne Erkenntnis-Vermittlung.
7) Einführung der Jahrgangs-Realität
Wie der DFB oder der SFV gilt es die Jahrgangs-Realität einzuhalten. Die internationalen Regeln und der Event-Kalender geben die Struktur deutlich vor. Das planlose und nur die Eitelkeiten der Coaches befriedigende Hochziehen von jüngeren Jahrgängen in ältere Teams muss gezielt abgesprochen werden. Das gilt vor allem für den Austausch zwischen A- und U21-Team.
8) Installierung eines Team-Managers
Ein Team-Manager nach deutschem Vorbild (Oliver Bierhoff) entlastet den Teamchef, also den Coach, in organisatorischer und vor allem in medialer Hinsicht. Was zum Beispiel bei der Vienna im Kleinen funktioniert, sollte für den ÖFB im Großen nicht unmöglich sein.
9) Installierung eines Teamchefs
Der neue Chefcoach der A-Nationalmannschaft kann sich nur durch ein sehr konkretes Anforderungs-Profil finden.
Er muss Potential für eine langfristige Bindung besitzen.
Er darf kein "Star" sein, sondern seine internationale Profilierung durch den ÖFB-Job erreichen wollen.
Er muss deutschsprachig sein.
Er sollte mit der österreichischen Realität ansatzweise vertraut, jedoch nicht durch zu lange Beschäftigung im Land bereist davon angegriffen sein.
Er soll also über internationale Erfahrung verfügen.
Er muss Fußball2.0-affin sein.
Er muss Stärken in Kommunikation und medialer Transparenz besitzen.
Er muss die modernen Methoden wissenschaftlicher, psychologischer und strategischer Trainingslehren verinnerlicht und bereits praktiziert haben.
10) Festlegen einer Philosophie
Wie bei Roy Hodgson in den 1990ern in der Schweiz und wie bei Klinsmann/Löw in den Nuller-Jahren in Deutschland ist (nach einer seriösen Evaluierung) eine gezielte Festlegung auf eine grundsätzliche Spiel-Philosophie und ein Basis-System notwendig.
Dieses System ist dann auf alle Jugend-Mannschaften anzuwenden; das bedeutet das Ende des aktuellen Anything-Goes-Chaos in den U-Teams und die taktische Planlosigkeit der A-Nationalmannschaft.
Diese Spiel-Philosophie ist von allen sportlich Verantwortlichen (Teamchef, Sportdirektor, Jugendkoordinator) gemeinsam auszuarbeiten, und dann von allen Coaches umzusetzen.
Das wär's.
Eine Qualifikation für Brasilien 2014 wird sich damit wahrscheinlich auch nicht ausgehen - so kurzfristig greift ein Neuaufbau nicht; die Alternative (bis auf absehbare Zeit gar kein großes Turnier mehr) ist jedoch bedeutend unattraktiver.