Erstellt am: 7. 9. 2011 - 14:10 Uhr
Die Hände des Diktators
Ich heiße Todor. Wie mein Opa. Als ich klein war, haben alle über mich gescherzt, dass ich nach dem kommunisitischen Diktator Todor Zhivkov benannt sei. Das hat mich immer zutiefst verletzt. Zu Hause wurde Todor Zhivkov als eine furchterregende Gestalt angesehen. Ich wollte gar nicht, dass irgendwer meinen Namen mit seinem verbindet.
Da meine Familie mit dem Kino verbunden ist, wurde ich als Kind immer für irgendwelche Rollen ausgesucht. In meinem ersten Film spielte ich, als ich sechs Jahre alt war. Meine einzige Erinnerung an den Film ist, dass ich ein langes Gedicht auswendig lernen musste. Ich konnte es nicht. Als ich das Gedicht aufsagen sollte, fing ich vor laufender Kamera zu weinen an. Ich wusste gar nicht, dass genau dieses spontane Weinen das Ziel des Regisseurs war.
Dann spielte ich ein radioaktiv verstrahltes Kind, das wieder Tränen im Publikum erwecken sollte. Meine nächste Rolle war in einem Krimi und ich wurde aus einem Fenster geworfen. Der Höhepunkt für mich als Schauspieler war eine Hauptrolle (geteilt mit meinem Bruder, aber mein Name kommt in den Endtiteln zuerst).
Mit dem Ende meiner Kindheit endete auch meine Schauspielkarriere. Ich konnte das Publikum mit meiner Eselsstimme nicht mehr zum Weinen bringen.
Bis zu diesem Sommer, wo ich eingeladen wurde, Todor Zhivkov zu spielen. Er wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Geboren wurde Todor Zhivkov am 7. Septmber 1911 im kleinen bulgarischen Dorf Pravetz. Trotz fehlender Bildung entwickelte sich Zhivkovs Karriere bei der kommunistischen Partei sehr schnell. Er zeigte Qualitäten, die für einen Politiiker damals wie auch heute wichtig sind – tiefe psychologische Kentnisse seiner Feinde und Freunde, extreme Selbstsicherheit und Brutalität. Nach dem Kurs der „Entstalinisierung“ der kommunistischen Parteien des Ostblocks unter Chruschtschow wurde 1954 der überzeugte Stalinist Zhivkov zum jüngsten Staatsoberhaupt des Warschauer Paktes ernannt. Zhivkov regierte Bulgarien 35 Jahre lang, unter allen Staatsoberhäuptern des Warschauer Paktes war er derjenige mit der längsten Amtszeit.
Todor Zhivkov
Ich spielte in einem Dokumentarfilm mit einigen wenigen Spielfilmepisoden, die alle nur mithilfe von Close Ups gedreht wurden – Füße, Hände und Gegenstände. Ich hatte die Möglichkeit, die Gesten Todor Zhivkovs zu studieren. In einer einzigen Episode bin ich sogar Todor Zhivkov in voller Körpergröße. Na ja, von Weitem zu sehen und nur von hinten, aber immerhin von Kopf bis Fuß Todor Zhivkov.
Nichts geht in unserem Leben verloren. Sogar die blöden Witze. Früher brachten sie mir Tränen der Wut. Heute bringen sich mich nur zum Lachen. Die Menschheit soll sich lachend von seiner Vergangenheit trennen, sagte mal Karl Marx. Eigentlich weiß ich gar nicht, ob Zhivkov Marx je gelesen hat.