Erstellt am: 7. 9. 2011 - 12:48 Uhr
Perfektionierte Jugendsünden
Mit sechs Jahren habe ich die Beatles mit Buntstiften gezeichnet. Zu der Zeit hat sich auf meinen Wunsch hin nämlich das Apfellogo auf dem Plattenspieler meiner Eltern unaufhörlich gedreht. Mit zwölf waren es dann "Mixtapes", also Audiokassetten, die ich mit aus dem Radio aufgenommenen Songs in "kunstvollem" Hin-und-Her-Überspielen zusammengestellt habe. Mehr musikalische Kreationen waren damals nicht drinnen.
Jack Steadman jedoch hat in seinen frühen Teenagerjahren in Nord-London dem Anschein nach viel Zeit im gar nicht so stillen Kämmerlein verbracht. Der Songschreiber und Sänger hat mit fünfzehn eine Band gegründet, aus der mit seinen Freunden Jamie MacColl, Ed Nash und Suren de Saram der Bombay Bicycle Club hervorgehen sollte. Und als das Quartett die Schulhürde dann endlich genommen hatte, war der Weg frei. Frei für unbändig wundervolle Indiepopsongs. Und selbst in dem dritten Album „A Different Kind Of Fix“ sind die Ideen der dreizehnjährigen Steadmans heauszuhören.
UniversalMusic
How can you swollow so much youth?
Angesichts des zarten Alters der vier Engländer wirkt der Titel ihrer ersten EP "The Boy I Used To Be" eigentlich recht ironisch. Aber auch wenn das viel gelobte Debüt "I Had the Blues But I Shook Them Loose" noch jugendlich ungestümen Indierock in sich trug, so war schon damals eine gewisse alte Seele aus den kompakten Songs herauszuhören. Ich erinnere nur an das locker flockige Always Like This, das für mich die musikalische Grundstimmung des Bombay Bicycle Clubs gut auf den Punkt gebracht hat. Nachdem die Band "eher zufällig" mit dem Album "The Flaws" einen Ausflug in die folkige Akustiklandschaft unternommen hatte (eigentlich sollten die Songs laut Gittarist Jamie gar nicht auf Platte veröffentlicht werden), so erfindet sie sich mit dem dritten Werk "A Different Kind Of Fix" erneut ein Stück weit neu.
Bombay Bicycle Club
Der Eröffnungssong "How Can You Swallow So Much Sleep", der mit gehauchten Stimmsamples und akustischer Gitarre anfängt, entwickelt sich zu einem elektronisch angehauchten Track, der leichtfüßig um ein, zwei harmonische Themen herum tänzelt. Sofort fällt die Selbstverständlichkeit auf, mit der Bomby Bicycle Club ganz einfache Melodien in ein komplex geschichtetes Arrangement einbettet und so eine unterschwellige Spannung erzeugt. Auch das folgende "Bad Timing" ist von krautrockigen Riffschleifen und synthetischen Sounds bestimmt. Und die leicht angezerrte Basslinie von "Your Eyes" scheint diesen ebenfalls extrem tanzbaren Indierocksong gekonnt mit der jungen Vergangenheit des Quartetts zu verbinden. Wobei auch hier das unglaublich clevere Arrangement den Track mit einem wundervoll atmosphärischen, von Handklatschen begleiteten, endlos erscheinenden Schlussteil zu einem absoluten Höhepunkt der Platte werden lässt.
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Verschwendete Jugend ist auf diesem dritten Album keine herauszuhören. Die himmlisch swingende Popnummer "Lights Out, Words Gone" mit dem Engelsgesang von Lucy Rose hätten selbst Phoenix nicht besser hinbekommen. Und den Hitvogel haben die Engländer wohl mit der ersten Single "Shuffle" abgeschossen. Ein schräges, prägnantes Vocal-Sample durchzieht den druckvollen Sound (wobei ich mir hier nicht sicher bin, ob ich an Aphex Twin oder doch Art of Noise denken soll) und das fröhlich dahin hüpfende, in seine Akkorde zerschnittene Klavier treibt dieses Stück mit derart hoher Geschwindigkeit durch die Gehörgänge, dass selbst nach den knappen vier Minuten lange Zeit für nichts anderes, Akustisches im Gehirn Platz bleibt, als diesen grandiosen Sommersong.
How can you swollow so much electronic?
Die auffällige Hinwendung zu elektronisch manipulierten Sounds ist für Jack Steadman ein ganz natürlicher Prozess gewesen. Schließlich hat der Mastermind des Bombay Bicycle Clubs von einiger Zeit begonnen, mit seinem Laptop herumzuexperimentieren und im Alleingang auch einige Tracks veröffentlicht, die sich interessanter Weise oft auf schweren Hip Hop Beats aufbauen. Allerdings wird diese Vorliebe fast unhörbar in die noch immer von Gitarre und Schlagzeug dominierten Songs eingeflochten. Es ist die Form der Songs, die durch das Abtauchen in elektronische Musik beeinflusst wurden. Das klassische Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Schema ist auf "A Different Kind Of Fix" nicht mehr so oft zu finden. Die Dramaturgie der neuen Stücke wird durch loophafte, sich immer wiederholende harmonische Strukturen aufgebaut und erzeugt somit immer wieder einen hypnotischen Sog. Selbst die eher akustische, Herz zerreißend schöne Ballade "Fractures" lässt einen in das weite Klangmeer des Bombay Bicycle Clubs hinab tauchen.
Wenn mit der Nummer "Still", die lediglich mit Steadmans zerbrechlichem Gesang und Klavier auskommt, das Kapitel "A Different Kind Of Fix" geschlossen wird, dann bleibt kein Zweifel daran, dass die vier Musiker endgültig ihren musikalischen Jugendjahren entwachsen sind. Gleichzeitig können wir uns sicher sein, dass mit diesem Album der Reifungsprozess keinesfalls abgeschlossen ist, sondern sich auch in dem (vielleicht schon nächstes Jahr erscheinenden) nächsten Werk widerspiegeln wird.
Jo McCaughy