Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Fußball-Journal '11-95."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 9. 2011 - 20:38

Fußball-Journal '11-95.

Ein paar Fragen und Antwort-Versuche zum morgigen Türkei-Spiel.

Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einer Preview auf das letzte EM-Quali-Heimspiel, morgen abend gegen die Türkei.

Die Gretchenfrage lautet: Wird es eine ernsthafte Überlegung darüber, wie man dieses Spiel strategisch angeht, geben oder nicht?

Das hängt nur in geringem Maß damit zusammen, ob man sich mit der medial und intern grotesk gehypten Mikro-Aussicht auf Platz 2 die Psyche zuschmieren lässt oder sich doch um die Sicherung von Platz 4 kümmert.

Alle anderen Fragen sind nachrangig und am Mittwoch wieder auf der Agenda. Etwa die Möglichkeit jemanden wie Marco Pezzaiuoli zu bekommen; ich kann grad nicht vermitteln, was für eine Erleichterung das für mich wäre... Und gleich drauf, als ich lese, dass Windtner andenkt den Steinzeit-reaktionär Rehhagel zu exhumieren, kommen dann diese kotzigen Würgegefühle hoch.
Auch hier - philosophieärmer und linienloser gehts nicht.

Wie lässt Constantini sein Team gegen die Türkei einlaufen?

Wenn Constantini seine Platitüden ernst meinen würde, dann hätte er nämlich fürs Türkei.Spiel auch die Türkei-Legionäre nonminiert - im Deutschland-Spiel war das seine Ausrede für die sieben Legionäre in der Startelf; die seien so besonders motiviert.

Außer Ekrem Dag ist aber kein einziger überhaupt nominiert: Veli Kavlak, Yasin Pehlivan, Tanju Kayhan fehlen. Offizielle Ausrede - die türkische Meisterschaft hat noch nicht begonnen. Komisch, da dürfte Hiddinks Team dann gar nicht erst aulaufen, was?

Hintergrund: Constantini schießt seit einiger Zeit die Secondos gezielt ab, weil sie als Troublemaker (Stichwort: Arnautovic-Riots) gelten. Der auch in dieser Frage völlig linienlose ÖFB duldet das.

Wenn der Teamchef auch nur einigermaßen nach dem, was er so von sich gibt, handeln würde und seine Aussagen echten Wert hätten (anstatt des substanzlosen Hü-Hott-Populismus, dessen sich Constantini seit Anbeginn bedient), dann müsste er seine Mannschaft mit demselben System wie beim Hinspiel in Istanbul aufs Feld schicken.

Das war ein 4-3-2-1, das DiCo den Medien (großteils erfolgreich) als 4-3-3 verkaufte, das aber in Wahrheit sofort zu einem (Zitat ballverliebt.eu) Hosenscheißer-4-1-4-1 wurde.
Und das liegt nicht an der Mannschaft, sondern an den Vorgaben der Coaches. Und: grobe Fehler im Grundsystem lassen sich auch von der Bank aus in Minutenschnelle korrigieren. Wer das nicht tut, zeigt damit der Mannschaft, dass es eh passt.

Die Analyse zeigt auch schön, wie es Hiddink beim Hinspiel im März verstand, jeden der (tölpelhaften) Schritte der ÖFB-Coaches zu kontern. Da stand man einem Meister gegenüber.

Der wird auch morgen Abend wieder dirigieren.
Gibt es da ein Mittel dagegen, taktisch?

Kann man Hiddink etwas entgegensetzen?

Wird schwierig.
Hiddink changiert zwischen zumindest drei Möglichkeiten seine Offensive taktisch auszurichten. Er kann es wie im Hinspiel mit einem 4-2-3-1 machen, es stehen aber auch ein 4-1-4-1 oder ein 4-4-1-1 im Raum. An die letztgenannte Variante, mit Kazim-Kazim als hängende Spitze hinter Burak, glaubt die gut informierte Presse.
Sorgen machen Hiddink weniger die Verletzungen von Nuri Sahin oder Hamit Altintop (die kann er durchaus ersetzen), sondern wohl eher die Sperre seines spielsicheren Sechsers Selcun Inan und die Verletzung des kleinen Emre Belözoğlu. Statt dem soll Selcuk Sahin (von Fener) kommen.

In jedem Fall werden es aber (ebenso wie Schweinsteiger-Kroos-Özil) wieder drei Mittelfeld-Offensive sein, die uns das Leben schwermachen werden: Ekici, Arda Turan und Mehmet Topal. Schon im Hinspiel haben Ekici, Arda und Hamit Altintop das ÖFB-Team mit ihren Dauer-Rochaden völlig wahnsinnig gemacht - wird morgen abend wohl ähnlich werden.

Aus der Abwehr vom Hinspiel fehlen Rechtsverteidiger Gökhan Gönül (der ein großes Spiel lieferte) und der angsteinflößende Servet. Dafür kommt Zaubermaus Sabri wieder zurück. Egemen Korkmaz feierte gegen Kasachstan sein Teamdebut.

Ein eng verhaktes Mittelfeld mit klugen Außen-Dreiecken

Auf all das kann man sich nur einstellen, wenn das schon im ersten Spiel angedachte 4-3-3 auch tatsächlich vollzogen, also sinnvoll umgesetzt wird. Wenn sich ein Dreier-Mittelfeld mit Scharner-Baumgartlinger-Alaba (mir wäre Manuel Weber lieber) in der Defensive zwischen die eineinhalb Angreifer und die drei Mittelfeld-Chefs der Türken in Stellung bringen kann, dann wird deren Spielraum eingeengt. Wenn die beiden Außenposten dieses Dreier-Mittelfelds mit den beiden Außenspielern (also Außenverteidigern und den beiden offensiven Flügeln, Harnik und am besten Alaba links) jeweils effiziente Dreiecke bilden dann kommt auch auf den Seiten wenig durch.

Erschwert wird all das durch die verheerende Personal-Politik Constantinis.
User Bernhard Henning hat mir eine frappante Statistik geschickt, die belegt, dass in den zweieinhalb Jahren seiner Tätigkeit jede Position (selbst der scheinbar gesetzte Linksverteidiger) mindestens fünffach belegt war, auf manchen (zb Mittelfeld, rechts) probierte er bis zu 12 Akteure aus. Kein Wunder, dass "das Team nicht fähig ist über drei Stationen zu kombinieren".

Die Kunst einer solchen Ausrichtung ist es, diese klug geballte Defensiv-Kraft schnellstmöglich in die Offensive zu bringen. Dazu braucht es schnelle und spielintelligente Leute mit ein wenig internationaler Erfahrung und guter Technik.
Das heißt also: Arnautovic vorn drin, nicht Maierhofer; Dag rechts hinten, nicht Klein; Royer nur von der Bank, Dragovic, nicht der noch zu unsichere Schiemer in der Abwehr-Zentrale neben Pogatetz; und selbstverständlich nicht Scharner - der gehört ins Mittelfeld, wie beim Verein.

Ein verhaktes, defensiv eng stehendes 4-3-3, das im Fall der Balleroberung innerhalb von 10 Sekunden Nadelstich-Angriffe bis zum Abschluss bringen soll. Das wäre (in unserer Gewichtsklasse, Deutsche oder Spanier könnten anderes) ein Rezept gegen Hiddink.

Das flache 4-4-2, das in der zweiten Hälfte des Hinspiels noch viel verloreren war als der Versuch der ersten Halbzeit, wird hingegen nichts ausrichten.

Der neue Hilfs-Assistent als leiser Hoffnungsträger

Weil sich einer der Trottelsager-Buam im Krankenhaus befindet, heißt der aktuelle Teamchef-Assistent Willibald Ruttensteiner. Das ist ein Vorteil. Der kann denken, sprechen und vermitteln.

Und kann deshalb vielleicht verhindern, dass die nach außen getragenen Banalitäten der Marke Wir müssen noch mehr laufen verinnerlicht werden. Gelaufen bis zum Umfallen ist man bereits gegen Deutschland, allerdings hinterher, ineffizient, plan-, taktik- und strategielos.

Mehr kann Ruttensteiner in diesen paar kurzen Stunden nicht machen, eine neue Kultur der genauen strategischen Ausrichtung, der genauen Vorbesprechung, der genauen Verteilung der Aufgaben, der genauen taktischen Anweisungen, braucht wirklichen Willen, eine entsprechende Philosophie und kontinuierlichen Aufbau.

Das öfter erwähnte Hinspiel ist heute abend/nacht (21 Uhr, Wh: 3 Uhr) auf SportPlus (tw1) nochmal nachzusehen

Die Gretchenfrage bleibt. Wird es eine ernsthafte Überlegung darüber, wie man dieses Spiel strategisch angeht, geben oder nicht? Die Chancen stehen, durch das ein wenig zu hitzige Anti-Constantini-Klima, den plötzlichen Hype um die Taktikblogs, der die Mainstream-Journalisten aufgeregt hampeln lässt, so gut wie lange nicht. Schade, dass das just vor einem Match gegen einen taktisch so ausgeschlafenen Trainerfuchs passiert. In den Spielen, die dann allen unendlich viel wurschter sein werden, in Baku oder Almaty, da wär diese Sorgfalt viel stärker vonnöten.