Erstellt am: 4. 9. 2011 - 23:23 Uhr
Journal 2011. Eintrag 165.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer Samstag Nacht der großen Überraschungen, zwischen Prater und Donauinsel.
Es ist womöglich die letzte laue Samstag-Sommernacht, also raus.
Party? Party. RunVie-Eröffnung, in der Pratersauna, Ogris Debris, Dorian Concept und andere.
Passt.
Am Praterstern noch eine Viertelpizza, aufgeschnitten, beim besten Pizza-Takeaway der Gegend, der Stadt, des Landes, des Planeten. Die Leute, die vorher den Stehtisch hatten, lassen eine volle Dose zurück, danke dafür!
Und ab durch den Prater, es ist Zufuß-Wetter.
Beim Würstelstand hinterm Fluc gibt's eine Auflegerei, Freiluftgetanze auf dem blinkenden Fußweg. Vorbei am Praterdome, vorbei an den Hoch-in-die-Luft-und-ordentlich-Kreischen-Dingern, über den Blauen Platz, vorbei am Afrikanerinnen-Strich rüber zur Pratersauna.
Super, genau so gekommen, dass beim Einlass noch kein Gedränge ist (eine viertel Stunde später schauts schon scheißiger aus) und rein.
Nettes smoothes leicht dancehall-angehauchtes Flair am kleinen Floor, Überfüllung draußen, weil wieder einmal der Pool und das Gras gesperrt sind, und ein okay klingender größerer Floor in der Schwitzstube. Dahinter ist heute geschlossen, ist eine kleinere Party. Wenig übliche Verdächtige, der Vice-Co-Herausgeber und seine Posse, der etwas verloren herumstreichende Trishes...
Maturaball, brav. Das alte Pratersauna-Dilemma
Ein Getränk und ein Gesamtdurchlauf später macht sich leise Ernüchterung breit. Der Sound ist gut, ja, aber die Musik bleibt seltsam flach, tapetig, dient als Hintergrund. Und die Stimmung: Maturaball, aber einer ohne Aufführen und Ausfälle. Ein sehr braves, ein sehr einheitliches Publikum; kaum optische Unterschiede, auch kein Benehmensgefälle. Die paar Burschis mit frisch gekauften HipHop-Poser-Caps; aber auch die kommen daher wie aus dem Katalog geschnitten.
Ich bin sicher, Ogris Debris hätten zumindest den größeren Raum später noch aufgemischt - aber die Kopfbedeckung des Mietzekatze-Reinstreuers wäre das Optimum an Wagemut geworden an diesem Abend.
batesman
Es ist letztlich recht egal, welche Veranstaltung drin Platz nimmt - die Location überlagert das eigentlich angesprochene Publikum.
Es ist das seit Beginn virulente Pratersauna-Dilemma.
Sie schafft es nicht zu einem Kulminations-Punkt zu werden, wie es früher die Meierei im Stadtpark einmal war. Beides sind/waren an sich Schnösel-Locations von geschäftstüchtigen Söhnen der politischen Kaste; die Meierei hat es aber geschafft aus diesem reinen Ghetto rauszukommen und einen Publikums-Mix zu kriegen, der den entscheidenden Funken reinbringt, in die Party, in alle Parties, und damit letztlich die Location.
Der entscheidende Publikums-Mix gelingt nicht
Dieser Funke fehlt der Pratersauna seit Anbeginn.
Sie schafft es nur in minimal gesetzten Einzelfällen, mehr als die brave Jeunesse dorée anzusprechen - ich hab das zuletzt bei "Die Antwoord" erlebt, vorher so gut wie nie, nachher auch nicht... - sie bleibt in einer letztlich uninteressanten Klientel-Politik stecken.
Die Meierei war auch nur deshalb ein echter Hit und um die Jahrtausendwende sowas wie der nötige Gegenpol zum damals dominierenden Flex, weil ihr die Mischung gelang, weil sich ihre Parties sehr bewusst öffneten.
Die Pratersauna schafft und schafft das nicht. Bald wird die WU nebenan einziehen und sich den Betrieb vollinhaltlich einverleiben - und dann wird die Örtlichkeit komplett uninteressant werden.
Wir sind dann, weil die Nacht schon angebrochen war und weil eine banale Flucht ins Fluc auch zu berechenbar gewesen wäre, einem Impuls gefolgt und zur Donauinsel gefahren. Denn die grausig-grindige Copa Cagrana befindet sich im Krieg mit der Stadt Wien, da droht der Niedergang, der Abriss, whatever - und einmal sollte man sich das Elend doch live geben, bevor man sich dann eingestehen muss, nie dortgewesen zu sein.
Ab zur Mainstream-Disco auf der Donauinsel
Gegen ein Uhr Nachts hatten zwei fette Disco-Hütten noch offen, inselseitig, also in der sogenannten Sunken City, auf den rausgebauten Stegen. Sansibar und Son-Latino.
Wir erwarten das simple Radio-Energy-Grauen und einen gruseligen Schauer, werden aber enttäuscht. Der DJ im Sansibar mischt die aktuellen Dancefloor-Mainstream-Hadern mit Ethno-Zeug, Türkpop und Klassikern; weit überm Niveau jeder besoffenen Aftershow-Party im Alternative-Bereich.
Das Publikum: Vorstadt-Kids, die Hälfte aus Migranten-Haushalten, Hängenbleiber, Disco-Stus, Tussen in roten Minikleidern. Leute, denen der Praterdome zu blöd ist, die aber trotzdem aufreißen und tanzen wollen; oder tanzen und aufreißen; auch an der Stange und auf der Bar, klar.
Aber schon im schwächer besuchten Sansibar ist nach einer Minute klar, dass hier die eine diverse und authentische Crowd ihre Party macht. Im knackevollen Son-Latino wird es dann noch wilder. Das ist zwar nominell ein Lateinamerika-Treff, aber ethnisch gesehen war da auf ein paar Quadratmetern die ganze Welt geballt: alle Hautfarben, alle Migrationsgruppen und vor allem - they mingle, die haben Kontakt.
Erst aus der Fernsicht an der Donauinsel wird uns die Weißbrothaftigkeit und Ödesse der Pratersauna-Party klar. Da gab es vielleicht drei Gesichter, die nicht klassisch-altösterreichisch waren.
Witziges Multikulti im hochbanalen Praxistest
Ich will hier nicht das falsche Ideal einer proletarisch-multikulturellen Internationale oder das dumme Lied von der effektiveren Körperlichkeit der Unterschichten singen. Das sind Klischees, eh.
Ich will auch nicht, dass hier ein alle Veranstaltungsorte umfassendes General-Problem allein an der Pratersauna festgemacht wird (die haben halt das Pech der Platzhirsch zu sein), das geht weit drüber hinaus.
Ich will auch nicht behaupten, dass es mehr als einmal alle paar Wochen aushaltbar wäre, sich in diesen musikalischen Bum-Tschaka-Mainstream zu begeben. Aber so substanzlos die Sounds da oft waren (im übrigen: rein technisch besser gemischt als in der Pratersauna davor hat jeder Kagrana-DJ, aber mit weitem Abstand), so direkt war ihre Auswirkung auf das Publikum.
Ein Publikum, das wegen der Musik hingekommen ist; und der Begleiterscheinungen, anderer Menschen, die wegen der Musik hinkommen, Getränke, intergeschlechtlicher Annäherung etc.
Ein Publikum das, entgegen aller Klischees, miteinander höflich und friedlich umgeht, jeden sofort anspricht, Auf-Distanzhaltungen der Mädels sofort akzeptiert, und auch bei schmusenden Lesben nicht deppert schaut.
Ein Publikum mit klaren Codes und einem klaren Amüsement-Ziel.
Das Pratersauna-Publikum davor ist zu einem deutlich geringeren Teil wegen der Musik gekommen; hat zu einem deutlich geringeren Teil den Tanzboden gewischt; war deutlich mehr in Grüppchen zersplittert, hat deutlich mehr Wert auf Distinktion und Außenwirkung gelegt.
Steckengeblieben in der Ornamentik
Ich bin mir - nicht jetzt wegen dieses Abends, aber wegen ähnlicher Erfahrungen aus den letzten Monaten - mittlerweile nicht mehr sicher, ob es die Aufgabe von Kulturträgern wie Festivals, Veranstaltern, begleitenden Szene-Medien sein sollte, sich hier als über die reine Party hinausgehender Sinnstifter instrumentalisieren zu lassen.
Wenn es nur noch drum geht die Behübschung, die Ornamentik, den Soundtrack, also die ganzen Nebenbeis zu einer flachen Poserei zu gestalten, verliert sich nämlich der Kultur-Aspekt des ganzen. Der ja da ist. Denn ein paar DJs, ein paar Künstler, ein paar Checker denken sich ja weiter was bei ihren Aktionen, wollen mehr als nur ein Dekor-Pupperl in der allnächtlichen Nippes-Kollektion sein.
Wenn aber nichts mehr passiert, wenn die Matura-Ball-Marge flächendeckend unterschritten wird, wenn Dargebotenes nur noch schmeichelt und nichts mehr mitgibt, dann ist die Grenze zum totalen Nichts bereits durchbrochen.
Dann haben die Rechtfertigungs-Texte mit denen Parties, Tanz-Veranstaltungen und Festivals sich über den Mainstream zum Event mit Anspruch erheben, nur noch eine Alibi-Funktion. Und gefährden damit die Existenz einer ganzen Szene. Die muss ihr Publikum nämlich auch erziehen, hinführen, mit Qualität ködern - damit die den Unterschied erkennen und sie auch einfordern.
Das passiert aktuell, würde ich meinen, ziemlich gar nicht. Und wenn man die Behauptung, weit vorne zu sein als wichtigstes Distinktions-Merkmal mit sich herumträgt, ist eine Bruchlandung umso bitterer.