Erstellt am: 3. 9. 2011 - 21:30 Uhr
Fußball-Journal '11-94.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit den Nachwehen des gestrigen Total-Versagens von Constantini und den Trottelsager-Buam in Gelsenkirchen. Und den Folgen, die die Nicht-Analyse, das Nicht-Hinterfragen und das Nicht-Handeln jetzt schon für die nächsten Jahre hat; vor allem für die WM-Qualifikation 2014.
Lesenswerte Taktik-Analysen zu Deutschland - Österreich:
... die von laola1.at...
... die von ballverliebt.eu...
... Tom Schaffers standard.situation...
... die von abseits.at...
... und die überaus späte Netzwerkanalyse im Standard...
... andere "Nachberichte": sehr verzichtbar.
Die Fakten liegen nach dem gestrigen Match klar auf dem Tisch: nicht eine aus meist jungen, mit genügend Talent, Kraft und Spielintelligenz versehenen Akteuren zusammengesetzte Nationalmannschaft hat die EM-Qualifikation unnötig klar vergeigt, sondern das Trainerteam.
Ein Trainerteam, das diesen Namen nicht verdient, weil es weder moralisch noch sportlich geschafft hat, aus guten Einzelspielern eine stragetische Einheit zu formen. Und genau das (und nichts anderes) ist die Aufgabe eines Verbands-Coaches.
Diesen Job kann also nur jemand ausüben, der über einen klaren taktischen Verstand, die nötige Kommunikationsfähigkeit ud Durchsetzungsvermögen verfügt.
Ein Coach wie Constantini, bei dem im Ausland tätige Spieler, die es gewohnt sind von ihren Vereinstrainern gut auf Bedingungen und Gegner vorbereitet zu werden, händeringend um Infos und Anweisungen bitten müssen, nur um dann erst recht keine (oder nur oberflächlich-Plattes) zu erhalten, erfüllt diese Vorraussetzungen nicht.
Wie auch die meisten anderen österreichischen Trainer; und auch einige Coaches, die bereits zu lange hier tätig sind, und wissen, dass sie sich hier auch mit wenig Anstrengung halten können, solange sie über eine gute Lobby verfügen.
Sein Team sehenden Auges in den Untergang schicken
Das ist kein "Nachher sind alle g'scheiter"-Gerede. Dass es mit null Nachdenken und dem flachen 4-4-2, dem System, auf das alle österreichischen Coaches deswegen zurückfallen, weil sie es in den 90ern so gelernt haben (ohne zu verstehen, warum) in Gelsenkirchen nicht gehen würde, war im Vorfeld schon klar.
Hab ich am Mittwoch deutlich gemacht, haben die Kollegen von ballverliebt in ihrer Preview mit dem Label "Hausaufgaben-nicht-gemacht-Variante" versehen. Warnung genug.
Um mich nicht nur selber zitieren zu müssen, nur ein ballverliebt-Satz dazu: "Das wäre eine Blendervariante die Mut vortäuschen würde; Sie würde erhebliche Schwierigkeiten im Mittelfeld garantieren."
Das ÖFB-Trainerteam trampelte also sehenden Auges in eine selbstgestellte Falle. Wie kopflose Generäle trieben sie ihre Soldaten in einer sinnlosen Formation in den sicheren Tod. Weil man einfach keine Ahnung hat oder wichtigen Dingen ihre Bedeutung nicht zugestehen will/kann.
Bislang ist sich das ausgegangen, auch weil niemand innerhalb des Mainstream-Media-Klüngels nachgefragt hat (auch deshalb, weil die sich genausowenig auskennen; merkt man an den durchgehend substanzlosen sogenannten Einzelkritiken nach den Länderspielen, die wie besoffen gewürfelt daherkommen).
Historisch: die erste echte Live-Nachfrage zur Taktik
Durch den Druck der Taktikblogger mit den Kapperln und Hüten, der von den Online-Medien und auch vereinzelten Print-Medien aufgenommen wurde, wurde jetzt etwa auch ORF-Interviewer Oliver Polzer dazu ermutigt, erstmals im österreichischen Fernsehen gezielte Fragen nach Taktik und Vorgaben zu stellen, sich dabei was überlegt zu haben und auch nachzuhaken. Applaus an dieser Stelle - auch und vor allem, weil sich der klüngelhaft strukturierte ÖFB garantiert beim Medien-Partner ORF darüber beschweren wird...
Constantinis Erstaunen über diese Frage war seinen ins rechte obere Eck rollenden Augen anzumerken. Und weil Polzer auch die Spieler getrennt voneinander befragte, schälte sich die "taktische Vorgabe" für das Spiel heraus. Das Mittelfeld-Dreieck (Schweinsteiger-Kroos-Özil) sollte unter Kontrolle gebracht werden. Mehr an "Taktik" gab es nicht. Und selbst dafür stellten Constantini und die fischstummen Trottelsager-Buam der Mannschaft nicht das benötigte Instrumentarium zur Verfügung. Der zentrale Doppel-Sechser mit Baumgartlinger und Alaba sollte das allein händeln - Harnik, der mit Arnautovic den Job hatte, ganz vorne per Pressing zu stören, fiel dafür aus. Zwei gegen Drei - nunja, das kann sich nicht ausgehen.
The Unholy Trinity aus Coaches, Medien und Präsidenten
Unter anderem deshalb fordert heute der Standard einen Versuch mit einem 4-3-3.
Eh schön - deutlich sinnvoller wäre es gewesen, diesen bereits am Mittwoch dringend erhobenen Vorschlag schon im Deutschland-Spiel umzusetzen.
Das Problem dabei ist: in zivilisierten Ländern lässt sich so eine Debatte führen, auf durchaus breiter Ebene, mit allen Beteiligten. In Österreich müssen sich Trainer, die sich taktisch und strategisch weiterbilden und auskennen von den Freunden der Trottelsager-Buam als Streber beschimpfen lassen, die gefälligst das Level nicht anheben sollen, damit auch der hinterletzte Ex-Teamspieler mit null Trainer-Fähigkeiten auch seine Job-Pfründe bekommt. In Österreich müssen sich Journalisten, die sich jenseits der Campaignisierung, des Mittätertums und der Homestory bewegen, vom Boulevard anpflaumen lassen, dass sie doch das Niveau tiefer ansetzen sollen, weil doch das Publikum eh nur aus Trotteln bestehe. Und in Österreich bestimmen immer noch völlig unbeleckte, eitle und herrenbauernartig herrschende Frühstücks-Direktoren, was in Verband oder Liga passiert, und sind empört, wenn sie dann von den wenigen Profis geklagt werden müssen.
Diese Dreieinigkeit der Ignoranz, der Weiterbildungs-Resistenz und der Pfründe-Verteilung ist es, die die Weiterentwicklung einer guten Generation bremst - wiewohl sie sie in ihren Sonntagsreden doch so fesch vorantreiben will.
Raus aus dem Grind und dem Homer-Simpson-Level
Deshalb wird in diesen Tagen bereits die WM-Qualifikation für 2014 verspielt. Und das nicht nur, weil die herzlose Wurschtigkeit Constantinis bereits den Terminplan für 2012 (also einen Zeitraum, den er gar nicht mehr betreuen wird) völlig versaut hat.
Weil die Dreieinigkeit keinen echten Änderungsbedarf sieht.
Weil es keine echte Analyse gibt.
Weil auch die nächsten Entscheidungen wieder nur more of the same bringen werden, im besten Fall Andreas Herzog, der sich vom Rest seiner Kollegen leider nur marginal unterscheidet und sich als U21-Teamchef auch am unschönen Mächtespiel beteiligt hat.
Die Basis mit Akademien, Leistungszentren, der prinzipiellen Zusammenarbeit mit den größeren Klubs und Infrastruktur ist so halbwegs gelegt. Für die Umsetzung auf der obersten Ebene, dem Nationalteam braucht es jetzt einen Roy Hodgson, einen Mirko Slomka (die beide schon fast einen ÖFB-Vertrag hatten, dann aber von den Kräften der unholy trinity wieder abgeschossen wurden), von mir aus einen Marcel Koller.
Es benötigt jemanden, der Bescheid weiß über echte Trainerarbeit und sich geistig nicht im vorigen Jahrtausend befindet wie Constantini oder auf Homer Simpson-Level wie die Trottelsager-Buam. Jemanden von außen, jemanden, der diesen ganzen Austro-Fußball-Grind noch nicht verinnerlicht hat und glaubt, dass das eben so sein muss, für immer.
Einzige heimische Ausnahme: Paul Gludovatz, der das System ÖFB von innen kennt und es knacken kann. Einzige umgekehrte Ausnahme: bloß niemand, den der Firlefranz empfiehlt.
Stillstand als Lebensprinzip der Totengräber im ÖFB
Der Mut zu diesem Schritt wird fehlen; denn bestimmen tun das ein nur Luftblasen produzierender ÖFB-Präsident, Landesverbands-Chefs, die noch ein bis zwei Klassen drunter anzusiedeln sind oder ein irrwitzig radebrechender Liga-Präsident. Und einflüstern tut ein auf Lebenszeit bestimmter ÖFB-Generalsekretär, der auf Stillstand als Lebensprinzip setzt.
Deshalb herrscht aktuell nur Wirrniss, die sich bis zum Türkei-Match am Dienstag ziehen und dann tags darauf in eine unsinnige Richtung hin explodieren wird.
Der Panik-Plan mit Christoph Daum, einen Esoterik-Hexenmeister von vorgestern zu ordern, ist in seiner Verzweiflung bemitleidenswert, aber auch in seiner Durchsichtigkeit (damit wären die Medien endlos beschäftigt) zum Verzweifeln.
Es wird also entweder ein weiterer heimischer Coach aus der Nomenklatura der Taktik-ist-überbewertet-Mafia von Ex-Teamspielern oder ein überwuzelter Star-Oldie aus dem Ausland. Und das unter dem Applaus der Mainstream-Media-Totengräber.
Und damit ist die Qualifikation für die WM 2014 auch schon verspielt. Da können auch elf Arnautovice und Alabas nichts dagegen unternehmen. Ohne schlaue, zeitgemäße und im wahrsten Wortsinn frisch erarbeitete Spielvorgaben werden sie nämlich auch weiterhin in die von vornherein verlorene Schlacht geworfen werden.