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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

4. 9. 2011 - 06:00

Gemüseschlacht

Alljährlich kämpfen Friedrichshain und Kreuzberg in einer Gemüseschlacht gegeneinander. Heuer mit überraschendem Ausgang...

Wie ja allgemein bekannt ist, herrscht Krieg in Berlin und jeder kämpft gegen jeden. Nachts werden Autos angezündet, es brennen die Kinderwägen in den Treppenhäusern, Radfahrer und Autofahrer sind einander spinnefeind, die Ureinwohner hassen die Schwaben, die Zugezogenen verdrängen die Alt-Berliner, die Flugroutengegner, die libanesischen Großfamilien, die Bezirke bekriegen einander. Es geht um Ost gegen West, arm gegen reich, jung gegen alt, Zwietracht und Disharmonie überall.

Seit 1998 findet dieser alltägliche Hass seinen tätlichen Ausdruck in der großen Gemüseschlacht zwischen den Bezirken Kreuzberg und Friedrichshain.

ankündigungsflyer für die gemüseschlacht in berlin

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Wird irrtümlich als Wasserschlacht angekündigt, ist aber eine Gemüseschlacht.

Nach der Wiedervereinigung 1990 blieben die Berliner Bezirke zuerst bestehen, aber in der Verwaltungsreform von 2001 wurden neue Großbezirke geschaffen und der Ostbezirk Friedrichshain mit dem Westbezirk Kreuzberg zu Friedrichhain - Kreuzberg zusammengelegt, ja zwangsfusioniert. Kein Wunder, dass jedes Jahr im Sommer ein als Demonstration angemeldetes Gemetzel auf der malerischen Oberbaumbrücke - die die beiden Stadtteile über die Spree hinweg miteinander verbindet - stattfindet.

jährliche gemüseschlacht in berlin

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Friedrichshain und Kreuzberg sehen dabei den jeweils anderen Stadtteil als abtrünnig an und bezichtigen einander gegenseitig, vom anderen Bezirk völkerrechtswidrig abgespalten oder okkupiert worden zu sein. Friedrichshain bezeichnet Kreuzberg als "Unterfriedrichshain", Kreuzberg nennt Friedrichshain "Ostkreuzberg". Erklärtes Ziel ist es daher immer, die Einheit der beiden Stadtteile – selbstverständlich unter eigener Führung – wiederherzustellen.

Auf Friedrichshainer Seite tragen die Kampfverbände Namen wie "Wasser-Armee-Friedrichshain (WAF)", für Kreuzberg tritt unter anderem die "Kreuzberger Landwehr" an, die sich als militärischer Arm der "Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum" (KPD/RZ) versteht, einer Partei, die sogar einmal einen Sitz in der Bezirksversammlung ergatterte und sich dort für das Nachtflugverbot für Pollen einsetzte.

jährliche gemüseschlacht in berlin

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Unterstützt werden die Truppen von selbst gebauten Wasserwerfern, Panzerattrappen aus Pappe, Schaumstoffschlagstöcken und Schleudern für Essensreste, Eierkatapulten und Mehlbomben. Geworfen werden Möhrenbrei, Matsch-Tomaten, vergorene Obstreste, ranziger Pudding und faule Eier – erlaubt ist alles, was matschig ist, glibbert, wabbelt und stinkt.
Durch Hass-Parolen wird die Stimmung zusätzlich angeheizt: "Kein Friede mit Kreuzberg!" oder "Keiner stinkt gemeiner als der Friedrichshainer!"

jährliche gemüseschlacht in berlin

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"Da nützt kein Hauen, nützt kein Stechen, wenn sich die jungen Friedrichshainer rächen!", schallt es über die Brücke.

Gemeinerweise ging Friedrichshain in den vergangenen Jahren regelmäßig als Sieger aus der Gemüseschlacht hervor. Die selbstkritischen Kreuzberger fragten sich deshalb Jahr um Jahr: "Was sind die Gründe unseres ewigen Versagens? Ist es die überlegene Artillerie der Friedrichhainis mit ihren Wasserwerfern und Gemüseschleudern, ist der Friedrichhainer einfach hinterhältiger und in seiner Autoritätshörigkeit besser organisiert? Verfügt er mit seinen eingelegten Matjesfilets und benutzten Windeln einfach über die effektiveren Wurfsätze? Unterliegt der Kreuzberger, weil er von Natur aus individualistisch ist, keine Hierarchie anerkennt und das Strategische ihm fern liegt?"

Dieses Jahr, letzten Sonntag war alles anders

Zuerst drohte die Schlacht ins Wasser zu fallen, die Anmeldung wurde wegen Sicherheitsbedenken zurückgezogen, aber die verfeindeten Stämme trafen sich einfach ohne Anmeldung. Nach einigem Hin und Her wurde die Oberbaumbrücke von der Polizei für den Verkehr gesperrt, und zum ersten Mal seit acht Jahren geschah das Unglaubliche: Das Gute, also Kreuzberg, gewann!! Das mussten auch die unabhängige Schlachtenbeobacher anerkennen.

Den Friedrichshainern blieb nichts übrig, als beschämt, übelriechend, mit Mehl bestäubt und mit verrottetem Gemüse behaftet zurück nach Ostkreuzberg zu schleichen.