Erstellt am: 1. 9. 2011 - 22:44 Uhr
Journal 2011. Eintrag 164.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute über den Unterschied zwischen echter und gekünstelter Sexualpolitik.
Meine gute Freundin Anonyma hat eine gute Zeitlang in einem guten Theater einer größeren deutschen Stadt gearbeitet. In Deutschland ist es durchaus üblich, dass die Kantine der jeweiligen guten Theater immer auch ein Treffpunkt für die Szene dieser Stadt ist - die Burgtheater-Kantine wär das gern, isses aber nicht.
Jedenfalls war Charlotte Roche damals (und diese Begebenheit hat schon einige Jahre auf dem Buckel) gern und oft Gast in nämlicher Kantine; und natürlich im Fokus des Szene-Tratsches. Ihr Aufenthalt galt nämlich einem anderen Szene-Star, dem Roche nachstellte.
Alles nichts Ungewöhnliches, an sich.
Das irgendwie Unrunde an dieser Affäre war die seltsam öffentliche Abführung. Denn die Begehrende scheute nicht davor zurück, sich in prekäre Situationen zu begeben, also ihrem Angebetenen sehr publik den Hof zu machen. Und der, der Begehrte, konnte sich offenbar nicht dazu entscheiden, die schon grassierende Peinlichkeit aus dem öffentlichen Fokus rauszunehmen. Zudem waren beide verheiratet; und zwar nicht nur so verheiratet, sondern so richtig, mit Kindern und mit Home-Story-Geschnatter. Was dann wiederum selbst in der Bohemian-Szene für Gerede über die Verlogenheit sorgte.
Erzählstrang 1: Charlotte Roche
Nun mag dieses verlogene und ein wenig peinliche Spiel auch deshalb so unangenehm rübergekommen sein, weil sich da zwei Halbprominente in einem sinnlosen Kräftemessen verloren haben. Meine Freundin Anonyma schüttelte es jedenfalls beim Erzählen dieser Geschichte; weil sie die niedere Schamschwelle der Roche wirklich mitgenommen hatte.
Daran musste ich denken als aus der semiprominenten Moderatorin Roche die Superstar-Prominente und Buchautorin wurde. Weil der Zugang da ganz ähnlich war: sowohl im Kantinen-Fall als auch bei den Schoßgebeten und den Feuchtgebieten ist die niedere Schamschwelle, das Aussitzen einer peinlichen Situation der Unique Selling Point von Frau Roche.
Da kann der Text noch so schlecht und die Marketing-Maschinerie noch so berechnend sein - so gesehen ist Roche mit ihrem Werk schon in Einklang, so gesehen ist das alles authentisch. Die Naivität des Zugangs, das nervige Ins-Detail-Gehen, das in jedermanns Intimsphäre eindringende Nachhaken, das sich in den Büchern manifestiert, ist Teil der Roche'schen Herangehensweise ans Leben.
Glaubt man kaum, aber die alte Episiode aus der Theater-Kantine bestätigt das.
Erzählstrang 2: Sinead O'Connor
Ich war ja schon mit Sinead O'Connor im Bett.
Sie war der abgefeierte Superstar, die kahlgeschorene irische Anti-Madonna mit den Springerstiefeln, die live im TV das Papstbild zerrissen hat, die zu "Nothing Compares 2 U" weinen konnte, die radikale Kämpferin gegen Missbrauch, die umstrittenste Pop-Ikone Anfang der 90er, die Frank Sinatra Schläge androhte.
Sie saß auf dem Kopfpolster des großen Doppelbetts und hauchte Antworten auf Fragen, die ich auf der Fußseite des Bettes sitzend stellte, ins Uher-Mikrofon. Soviel defensive Zartheit hab ich seitdem nie mehr erlebt.
Sinead O'Connor hat sich unter anderen wegen dieser Diskrepanz zwischen Angriffigkeit und der Stärke das öffentlich auszuhalten ziemlich ins Private zurückgezogen und nur noch nach Lust und Laune produziert.
In Irland und Umgebung gilt sie weiter als Säulenheilige der Popkultur und wird immer dann um Kommentierung gebeten, wenn es heikel wird, politisch und gesellschaftlich.
Unlängst hat die Blogosphere eine Statusmeldung ihrer eh auch wie ein Blog aufgebauten Website aufgeschnappt und mit weit aufgerissenen Augen aufgeregt verbreitet. Unter dem Titel "Is Sinead about to hump her truck?" gab die streitbare Dame eine Art öffentliche Kleinanzeige auf. Ihre "shit-uation sexually/affectionately speaking" wäre so verzweifelt, dass sie jetzt ein Anforderungs-Profil für einen "very sweet sex-starved man" angibt.
'Am in desperate need of a very sweet sex-starved man'
Sineads Anforderungs-Profil:
He must be no younger than 44.
Must be living in Ireland but I don't care if he is from the planet Zog.
Must not be named Brian or Nigel.
Must be blind enough to think I'm gorgeous.
Has to be employed. Am not fussy in what capacity generally but vehicle clampers need not apply.
Leather trouser- wearing gardai, fire-men, rugby players, and Robert Downey-Junior will be given special consideration. As will literally anyone who applies.
I like me a hairy man so buffed and/or waxed need not apply.
No hair gel.
No hair dryer use.
No hair dye
Stubble is a non-negotiable must. Any removal of stubble would be upsetting for me.
No after shave.
Must be very 'snuggly'. Not just wham-bam.
Must be wham-bam.
Has to like his mother.
Has to like his ex and or mother/s of his children.
Has to live in own place.
I must end now as I have a hot date with a banana
Das changiert zwischen überaus offenherzigen Angaben und ironische Retuschen und entbietet nicht das Portrait einer Frau, die vieles erlebt hat und es umzusetzen weiß, sondern auch das einer sexuell ersten wirklich selbstbewussten Generation. Und weil Sinead sich immer als öffentliche Person verstanden hat, mit all den Nachteilen der Angreifbarkeit, zieht sie das öffentlich durch.
Ein paar Tage später setzt sie noch einen drauf:
"I've been repeatedly asked will I do anal sex. Let me make it very clear. Any man I contemplate has to be into anal sex... So if u don't like 'the difficult brown'. Don't apply... I would now like to make it clear that women will also be very much considered."
Noch einen Tag später blies sie die Suche ab: "Search called off for now. Suitable man found. Hands down winner. That position has been filled by an extremely sweet, kind, very respectful, considerate but absolutely FILTHY minded, un-inhibited RUDE sex maniac."
Diese scheinbar spontan hingeschriebenen Sätze sind wahrscheinlich das, was Charlotte Roche gern können würde. Weil sie das aber nicht schafft, schreibt sie ganze und lange Texte, in denen sie letztlich auch nicht viel anderes sagt.
Was will eigentlich die Roche-Kleinanzeige in Buchform?
Letztlich drängt es auch Charlotte Roche in die Öffentlichkeit, in der O'Connor sich so fischimwassermäßig bewegt, ganz ohne falsche Scham.
Letztlich ist der Roche'sche Zugang, sich auch nicht drum zu kümmern, was sonstwer sagen könnte, durch die beiden Bücher noch stärker verankert worden.
Ich will gar nicht werten, wer hier wahrhaftiger oder offener handelt oder wer sich hier eher im Leben bewegt und wer nur pretendet oder die ungewöhnlich ausgesprochene Sexualität als neue Währung innerhalb des Distinktions-Diskurses in die Waagschale wirft.
Das wäre auch unsinnig, weil ich/wir hierzulande nicht einschätzen können, wie viel tongue-in-cheek bei O'Connor mitschwingt. Wir wissen nur, dass Roche nicht ironisch ist/funktioniert. Ob das dadurch gleichzeitig für Klemmerei steht, und ob das erfolgreich erhöhte Schoßgebet der wilden Irin moralisch höher zu bewerten ist - keine Ahnung.
Beides verschiebt in jedem Fall die Grenzen dessen, was sagbar ist. Das ist immer eine zweischneidige Sache - fragt nach bei den Kickls dieser Welt, die arbeiten damit, machtpolitisch. Im Fall der Sexual-Politics, im Kampf gegen die Prüderie der Heimlichkeit, die unsere westliche Gesellschaft immer noch umfasst wie ein Riesenkrake, ist jeder Vorstoß, der zu eine Antipornographisierung beiträgt, bitter nötig. Und natürlich ist O'Connors Erzählung vom difficult brown da eine imminente Gegendarstellung, ein bedeutendes, weil realistisches Narrativ. Und gar nicht soweit von der verfemten Roche-Erzählung entfernt.