Erstellt am: 2. 9. 2011 - 12:49 Uhr
Cyberarts 2011
Michael Fiedler Radio FM4
Die Ausstellung im Offenen Kulturhaus OK läuft parallel zum Höhenrausch 2 und ist ebenso genial - doppelter Genuss aller und im besten Sinne. Die Cyberarts zeigt die besten Einreichungen zum Prix Ars Electronica und das ist sozusagen das Nonplusultra technologisch ambitionierter Kunstprojekte: Zwischen 3D-Druckerstatuetten, die aus einem 3D-Scan von BesucherInnen entstehen, über Kinofilme für Affen bis hin zum safe cuddling - Babystrampler. Greift man ein damit bekleidetes Kind zu lange oder an intimen Körperstellen an, schlägt das Kleidungsstück Alarm.
Eine praktikable Lösung für elterliche Ängste oder eine Warnung vor übertriebener Umsorge in Zeiten schier täglicher Jahrhundertmissbrauchsfälle? Nachdem ich in Wien schon einmal eine Kinderleine gesehen habe und für mein ungläubiges Staunen von der Mutter als zukünftiger Mörder meiner ungeborenen Kinder bezeichnet worden bin, würde es mich nicht wundern, wenn das Teil bald in Serie geht.
Michael Fiedler Radio FM4
Noch ferner von den typischen Ars-Kunstwerken bewegt sich der Belgier Tuur van Balen. Seine ebenfalls ironische Arbeit mit ebenso ernstem Hintergrund wirft einige ethische Diskussionen auf, noch bevor uns Großkonzerne vor vollendete Tatsachen stellen: Für Pigeon d´Or hat van Balen ein Bakterium gezüchtet, das im Gedärm von Tauben wirken soll und deren Kacke in Seife verwandelt. Die scheißen die kleinen Haushaltshelfer dann aus ihrem Käfig auf dem Autodach direkt auf die Windschutzscheibe. Oder sie werden entsprechend behandelt auf die Stadt losgelassen und reinigen Statuen und historische Fassaden, anstatt sie mit ihrem Kot langsam wegzuätzen.
Ars Electronica 2011
- Radio FM4 am Ars Electronica Festival in Linz. Alles auch unter fm4.orf.at/arselectronica11
Leider sind die Gentechnik-Gesetze in Europa recht restriktiv, die Bakterien haben das Labor noch nie verlassen und sind auch nie an Tauben ausprobiert worden. Verwunderlich an Pigeon d´Or finde ich vor allem, dass noch keine Tierschutzgruppen dagegen protestiert haben. Tuur van Baalen: "Vielleicht liegt das daran, dass sich Tauben in einer ethischen Grauzone befinden - Wir töten sie vielleicht nicht, aber wir versuchen, sie loszuwerden. Aber genau das interessiert mich daran. Denn viele solcher Grauzonen werden sich auftun, wenn sich die Biotechnologie weiterentwickelt."
Tweeking your World
Am allerlässigsten und gleichzeitig beunruhigendsten ist aber Newstweek, das die goldene Nica in der Kategorie Interaktive Kunst gewonnen hat. Das Tool steckt man einfach in Reichweite eines ungesicherten W-Lan-Hotspots in eine Steckdose und schon attackiert es den Hotspot unauffällig. Die Folge: Alle Daten laufen fortan durch das Newstweek-Teil und können so beliebig verändert werden.
Michael Fiedler Radio FM4
Für die Folgen kann man im OK selbst sorgen: Man kopiere etwa die Schlagzeile Spindelegger: Gruppenbesteuerung nicht antasten in die Newstweek-Konsole und befehle ihr, sie mit einer anderen Überschrift zu ersetzen. Schon lesen alle, die über das offene Netzwerk im OK orf.at ansteuern, dass der Vizekanzler Steuerfreiheit für Politiker fordert. Andere BesucherInnen haben sich auch schon verewigt, denn der Rektorenchef mag die Studienvoranmeldungen gar nicht, Italien steht nicht vor dem Staatsbankrott und von einer Regierungskrise ist in Österreich auch nichts zu spüren.
Mit Newstweek zeigen die beiden Entwickler Julian Oliver und Dana Vasiliev überaus anschaulich nicht nur die Tücken moderner Datenübertragungstechnologien, sondern auch das übergroße Vertrauen der UserInnen in die medial vermittelte Wahrheit. Julian Oliver: "Unser Vertrauen in Technologie steigt - und gleichzeitig auch unsere Ignoranz. Und was wir uns wünschen ist, dass Newstweek zu ein bisschen Misstrauen, ein bisschen gesunder Paranoia führt. Damit die BenutzerInnen Technologie hinterfragen und ihre Bedeutung für sie vielleicht neu definieren."