Erstellt am: 6. 9. 2011 - 17:58 Uhr
Ein Wochenende mit Kimmo
Hast du schon mal eine Telefonnummer gewählt, die in einem Roman stand? Oder eine Nachricht an eine Emailadresse geschickt, die auf den Seiten zwischen dem Einband einladend oft vorkam? Seltsam, das man das nicht versucht. Jan Costin Wagner würde ich gern fragen, ob Emails in dem Postfach zu veryhotlarissa@pagemails.fi eingelangt sind, seit er in diesem Sommer den Krimi "Das Licht in einem dunklen Haus" veröffentlicht hat. Sein Kommissar Kimmo Joentaa jedenfalls bekommt von Larissa, der Besitzerin des Email-Kontos, ab und an Mails. Doch ob die Frau, die ihm schreibt, tatsächlich Larissa heißt, bleibt ungeklärt.
Aber: Keine falschen Schlüsse ziehen. Jan Costin Wagners jüngstes Buch ist kein Email-Roman. Die 309 Seiten erzählen auch weit mehr Geschichten als "nur" die eines Kriminalfalls.
"Das Licht in einem dunklen Haus" will man nicht mehr zur Seite legen, und dennoch nicht mit den Augen über die Zeilen sprinten. Zu vertraut wird einem dieser Kommissar Kimmo Joentaa. Zu dicht verstrickt sind die Gedanken dieser zweiten Person, deren Erzählen damit ringt, Ereignisse zu begreifen, und in Tagebucheinträgen die Vergangenheit wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Zu schön erzählt der Autor von überbordender Trauer und scheuer Liebe. Gemordet wird freilich auch. Das erste Opfer wird eine Koma-Patientin in der Universitätsklinik von Turku.
Just listen!
Jan Costin Wagner liest die ersten Seiten von "Das Licht in einem dunklen Haus".
Alles, was man nach den ersten Seiten mit Bestimmtheit sagen kann, ist: In die emotionalen Krater, in denen diese Menschen waren, will man nie fallen. Aus der Helikopter-Perspektive wären die Ereignisse ein Schauspiel. Aber Jan Costin Wagner gewährt keine Distanz. Und das macht den Reiz seiner Literatur aus. Ein Möder, der weint, und ein Kommissar, der funktioniert, weil sich Weitermachen als die einzige Strategie erweist, kämpfen mit dem Dasein.
Innen und Außen
Dennis Yenmez
In der Welt der schwarzen Buchcover mit roten Schriftzügen ist Kimmo Joentaa kein Unbekannter. Mit seinem finnischen Ermittler hat der deutsche Autor Jan Costin Wagner seit "Eismond" - erschienen 2005 - Studien von Zuständen geliefert, die KritikerInnen begeisterten und in vierzehn Sprachen übersetzt wurden.
Wagner seziert menschliches Verhalten wie nebenbei, bis Innenleben offen liegen. Nach den Folgeromanen "Das Schweigen" und "Im Winter der Löwen" steht Kimmo Joentaa nun vor seinem vierten Fall - und nach wie vor leicht neben sich. Bereits zu Beginn der Karriere des Kimmo Joentaa starb seine Frau an Krebs. Und die Anwesenheit der neuen Liebe Larissa bleibt ungewiss wie ihr realer Name.
Verlag Galiani Berlin
Er begann, morgens das Licht anzuschalten, wenn er ging, und er spürte ein Stechen im Magen, wenn das Haus irgendwann, nach Tagen oder Wochen, wieder im Dunkeln lag, als er zurückkehrte. Dann saß sie mit angewinkelten Beinen auf dem Sofa, wendete den Blick in seine Richtung und sagte, sie sei wieder da.
Ein Polizist, der sich in eine Prostituierte verliebt, und doch so fern vom Klischee erscheint wie Schnee von Zuckerwatte. Diese Metapher jedoch schätzt Wagner. Und er muss es wissen: Finnland wurde für den 39-jährigen, gebürtigen Frankfurter zur zweiten Heimat.
Innenwelten und äußeres Geschehen fügen sich zu dichten Porträts. Zwischen Dialoge drängen sich Gedankensplitter. Wie Wagner all die Gedanken, Eindrücke und Umwelteinflüsse klar erfasst, baut mehr Spannung auf als die Morde, deren Vorbereitungen man als Leser nahezu beiwohnt. Abwechselnd begibt man sich auf eine der zwei Erzählebenen, und ist Kimmo Joentaa schon bald um etliches Wissen voraus. Als der Kommissar dann aufholt, führt der nächste Weg in die Buchhandlung. Die Kimmo Joentaa-Romane lesen sich auch gut rückwärts.