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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

1. 9. 2011 - 00:24

Beirut

Wenn die Strömung ins offene Meer hinauszieht. "The Rip Tide" ist unser Album der Woche.

Ein Beben in Brooklyn

Diese Aufnahmen sind Mitte Juni beim Northside Festival im Williamsburg, Brooklyn entstanden. Sie zeigen einen gereiften Zach Condon und eine groß aufspielende Beirut-Backingband unter Leitung von Kelly Pratt.

Beirut

Christian Lehner

Zach, der musikalische Vagabund, gab ein Heimspiel und präsentierte erstmals sein neues Album The Rip Tide. Das Material war so frisch, dass wir keine Drehgenehmigung erhalten hatten. Schade, denn wie sich herausstellen sollte, waren Beirut an diesem Abend im McCarren Park zu Hipsterhausen on top of their game. Es ist ein Jammer, dass Condon und sein Bandprojekt bei der anstehenden Tour zum neuen Album wieder nicht in Österreich haltmachen, obwohl Zach immer wieder davon träumt, einmal in Wien zu spielen.

Beirut, Brooklyn, New York

Christian Lehner

Beirut, Zach Condon, The Rip Tide

Christian lehner

Wochen später treffen wir den Singer-Songwriter mit den Parforce Horn-Tattoos in seinem Häuschen in Brooklyn. So wie Condon selbst wirkt alles ein wenig aufgeräumter als bei unserem letzten Besuch, obwohl sich sämtliche Instrumente der Band im Wohnzimmer stapeln. Tour-Pause. Die Condons, Zach und seine Frau Kristianna, sind gerade aus Zachs Heimatstadt Santa Fe, New Mexico zurück. Von dort ist er als Teenager abgehauen und hat die nächsten Jahre von New York aus die Welt bereist. Die Mitbringsel waren musikalische Eindrücke von Mittel- und Osteuropa, verarbeitet 2006 im Beirut Debüt "Gulag Orkestar", das der Multi-Instrumentalist und Liebhaber der Trompete noch ganz allein eingespielt hat. Mit seiner Heimat Santa Fa hat sich der ehemalige Ausreißer mittlerweile wieder versöhnt. Auch davon handelt das dritte Beirut Album "The Rip Tide". Ein Song trägt den Titel des Herkunftortes.

beirut, brooklyn, new york

Christian Lehner

Während unseres Interviews bebt die Erde. Wie so viele New Yorker merken wir davon zunächst gar nichts. Erst eine Stunde später wird uns der Manager erzählen, dass er soeben eine SMS mit den Neuigkeiten erhalten hat. Sie wurde kurz nach Beginn des Gesprächs gesendet und ist erst 60 Minuten später auf seinem Display gelandet. Das Mobilfunknetz war zusammengebrochen wie in vielen Gebieten an der Ostküste. Wir alle staunen, lachen und reißen Witze. Die Sorglosigkeit der Nichterlebenden. Als ich am nächsten Tag das Filmmaterial sichte, bemerke ich, wie Zachs Beagle mit dem schönen Namen Cousteau plötzlich aufspringt, zu seinem Herrl stürmt, ihn mit den Pfoten antapst und dann versucht, auf seinen Schoß zu springen, worauf Zach lachen muss und wir das Interview kurz unterbrechen. Vielleicht hat Coustau die Schwingungen bemerkt und wollte Zach warnen? Vielleicht, vielleicht.

Beirut, Zach Condon, The Rip Tide

Christian Lehner

Das neue Album

„The Rip Tide“ hinterließ bei mir nach dem esten Durchhören keinen tieferen Eindruck. Alles schien wie immer, aber etwas fehlte. Aber was? Genau, es waren die fremdländischen Sensationen, die tosenden Trauermärsche Mexikos, das Grau Berlins, die rotweinschwere Melancholie eines Pariser Dippelbrüdertreffens, der Balkan-Blues. All das schwingt und walzert zwar noch mit auf "The Rip Tide", doch es ordnet sich der in den Vordergrund gerückten musikalischen Persönlichkeit Condons unter, verliert sein Lokalkolorit, wird in Beiruts Weltkarte eingezeichnet und nicht umgekehrt. Zach dazu:

Letztes Jahr habe ich eine schöne Entdeckung gemacht. Ich habe realisiert, dass es schon immer diesen eigentümlichen Beirut-Sound in meiner Musik gegeben hat - egal wie offensichtlich die musikalischen Einflüsse auch waren. Und genau diese Essenz wollte ich aus dem neuen Album herausholen – ganz offen und ungeniert.

Beirut, Zach Condon, The Rip Tide

Christian lehner

Beirut, New York, The Rip Tide

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So klingt jemand, der reifer geworden ist und auch selbstbewusster. Das Dumme daran ist nur, dass diese Reife nicht selten mit Fadesse und Routine einhergeht. Nicht so bei Beirut. Bei gleichzeitiger Reduktion hat der Musikus den brüchigen Charme seiner bisherigen Produktionen ins Unterholz verlagert. Das daraus erwachsende Risiko, womöglich diejenigen zu verlieren, die auf einen Instant-Fix oder Folklore-Böller für die nächste Studentenparty aus sind, hat er bewusst in Kauf genommen.

Und er findet, dass es immer noch besser ist, das eigene Idiom zu pflegen und langsam reifen zu lassen, als mit dem erneuten Wildern in exotischen Gefilden endgültig als ewiger Forschungsreisender im Weltmusikfach abgelegt zu werden.

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Die Arrangments sind jetzt schlanker, das Pathos reduziert, der Instrumententschungel etwas geordnet. Umso deutlicher tritt der emotionale Gehalt der Stimme Condons in den Vordergrund, der mit seinen 25 Jahren über einen Schmelz verfügt, der an ganz große Sangeskünstler wie etwa Roy Orbison erinnert und gleichzeitig an das umfassende Talent eines Stephin Merritt gemahnt.

Beirut, Zach Condon, The Rip Tide

Christian Lehner

Bereits nach wenigen Wiederholungen dienen sich Songs wie "Santa Fe" oder "Vegabond" als uplifiting Beirut-Klassiker an. Condon brilliert auch zum ersten Mal so richtig als Piano-Man im elegischen Fach. Ein Stück wie "Goshen" lässt den Wasserpegel in den Augen steigen und Kerzenschein durch die dunkle Nacht dringen.

Beirut, Zach Condon, The Rip Tide

Christian lehner

Reife bedeutet im großen Buch der bürgerlichen Sittlichkeit auch, Verantwortungen abgeben können. Zach, der die Songs im kalten Winter des letzten Jahres zurückgezogen in einer Hütte in Upstate New York komponiert hat, spielte erstmals in der Beirut-History nicht alle Instrumente selbst ein. Er schrieb auch nicht alle Arrangements, sondern lud die Band zur gemeinsamen Aufnahme ein. In den bisherigen Reviews nur wenig Erwähnungen fanden die Bedroom-Producer-Spuren, die in "The Rip Tide" noch immer zu finden sind. Repetitiv, etwas schrottig (Condon: „that’s never gonna change, hahaha“) und äußerst sanft bilden die Rechnerleistungen und Patterns das Gerüst für Songs wie "Vegabond" oder "Santa Fe".

Beirut, Zach Condon, The Rip Tide

Christian lehner

"Eine Rip Tide ist eine Strömung, die ins offene Meer hinauszieht", erklärt Condon. So habe er sich die letzten Jahre oftmals gefühlt. Auch darum geht es in diesem Album. Jetzt sitzt er zuhause in seinem Häuschen in Brooklyn. Wohin es als nächstes geht, steht noch nicht fest und ist auch nicht so wichtig. Immerhin hat Condon schon in jungen Jahren die befriedigende aber auch ernüchternde Erkenntnis aller philosophierenden Reiseveteranen gewonnen, dass man in der Fremde schlussendlich immer nur sich selbst finden kann.