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Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

2. 9. 2011 - 11:30

Michael

Pädophilie, Kindesmissbrauch, ein Keller. Warum man sich den Film "Michael" von Markus Schleinzer trotzdem anschauen sollte.

Der pädophile Michael ist 35 Jahre alt, Versicherungskaufmann und hat den 10-jähren Wolfgang entführt und im Keller seines Einfamilienhauses eingesperrt. Sexueller Missbrauch, Angst und Autorität, eine perverse Mimikry von "Familie", ein bizarres Doppelleben im Schutz der beruflichen Normalität: um all das geht es im Debütfilm des Österreichers Markus Schleinzer.

"Michael" orientiert sich ganz offensichtlich an den großen Chronikfällen, die Österreichs Hobbykeller für immer den letzten Rest an "Gemütlichkeit" ausgetrieben haben.

Michael Markus Schleinzer

geyrhalter film

Von der Humanität des Bösen

Regisseur Markus Schleinzer war bisher für das Casting bei unter anderem Michael Haneke zuständig. Der große H. liegt auch als Schatten über den formalen Qualitäten von "Michael". Trotz der strengen Schnittführung (kann man dieses Wort auch im Filmzusammenhang schreiben), der hinlänglich bekannten Konzentration auf scheinbar banale Tätigkeiten, kein Score, keine hollywoodeske Gefühlsproduktion durch "Spannung" oder "Plot-Twists" ist "Michael" aber weit entfernt von der mitunter enervierenden Käfersammlerperspektive, mit denen Haneke seine Laboranordnungen inszeniert.

filmposter michael markus schleinzer

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"Michael" von Markus Schleinzer läuft ab Freitag, 2. September in den österreichischen Kinos.

Durch den Film weht ein Mitgefühl, eine Anteilnahme für die handelnden Personen und sogar an manchen Stellen so etwas wie Humor. Nicht die viel zitierte "Banalität des Bösen", eher die "Humanität des Bösen" wird in all ihrer Ambivalenz gezeigt.

"Michael", großartig gespielt vom relativ unbekannten Michael Fuith ("Rammbock"), ist kein irreales Monster, kein überdimensionierter movie-villain. Der unscheinbare Angestellte bleibt in seinem Bemühen, der Situation den Anstrich von Normalität zu geben, sehr nahe am Zuschauer.

Die Dialoge in der Betriebskantine, beim Skiausflug, mit der entfremdeten Schwester (Ursula Strauss), sind so gut und lebensnah geschrieben, dass sie in all ihrer Beiläufigkeit wohl schon jedem in der einen oder anderen Form passiert sind. Das Grauen des Kindesmissbrauchs kann überall lauern, das ist wohl die "Botschaft", die Markus Schleinzer vermittelt.

Hinter der Kellertür

Liest und hört man den Regisseur über seinen ersten Film reden, merkt man, dass es ihm ernst ist, mit seinem Anliegen, das heikle Thema Pädophilie und Missbrauch so öffentlich zu machen, dass man wieder darüber sprechen kann ohne in den hysterisierten Boulevardjargon zu verfallen.

Genaue Recherche und Unterstützung von diversen ExpertInnen zum Thema bei der Konzeption des Films rücken "Michael" weit weg von spekulativem Schock-Kino. Explizite Gewalt bleibt ungezeigt, die Türe zum Keller bleibt in den entscheidenden Szenen auch für den Zuseher undurchdringlich.

Wie es der Film trotzdem schafft alles zu erzählen und dabei nichts zu beschönigen ist tatsächlich ein kleines Wunder. "Michael" steht zwar in jener heimischen Kinotradition, in der die bedeutungsschwangere Auslassung schon fast zum manieristischen Stilmerkmal verkommen ist, so sinnvoll, dem Thema angemessen und in dieser Perfektion ausgeführt, hat man das aber bisher noch selten gesehen.

Michael Markus Schleinzer

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Warum muss ich mir so was anschauen?

Diesen Freitag ab 19 Uhr spricht Elisabeth Scharang im Jugendzimmer mit dem Regisseur Markus Schleinzer und der Gutachterin und Chefärztin für forensische Psychiatrie an der Nervenlandesklinik Linz Heidi Kastner über „Michael“. Eure Anrufe zum Thema unter 0800 226 990

"Michael" ist sicher kein ideales first-date-movie. Über die Sinnhaftigkeit der Täterperspektive, die Markus Schleinzer gewählt hat, kann man wohl endlos streiten. Den Mut, so ein Projekt in dieser Genauigkeit und Qualität durchzuziehen, die vielen Fallen, die Stoff und Form stellen, so gekonnt zu umgehen das fordert Respekt ein.

Schleinzers Anliegen, den Diskurs über Kindesmissbrauch und Pädophilie nicht dem Boulevard auf der einen Seite und den Fachleuten auf der anderen Seite zu überlassen, ist für mich nachvollziehbar. Die Ambivalenz, als Zuschauer auch so etwas wie "Faszination" für einen Täter ("das Böse") zu empfinden, muss man aushalten können.