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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

30. 8. 2011 - 19:38

Alles nur Hype?

Eine Nachbetrachtung zu Hurricane Irene.

Ist man nachher tatsächlich klüger? Irene hat New York also nicht gefressen. Bereits am Sonntag regte sich Kritik an Behörden und Medien: Aufmerksamkeit maßlos! Vorbereitungen übertrieben! Reaktionen überzogen! Möglicherweise. Dem gegenüber steht jedoch eine vernichtende Bilanz: Über 40 Tote, Milliardenschäden, Millionen Menschen ohne Strom. Nie dagewesene Überflutungen. Irene was for real und kein Emmerich-Streifen - New York City hatte einfach riesiges Glück.

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Die tropische Furie verzichtete darauf, dem Big Apple eines mit der Handtasche überzuziehen. Sie war zwar da, hat ihre vernichtenden Arme jedoch nicht über der Stadt geschlossen, sondern hat statt dessen im benachbarten New Jersey und in Folge in der Hudson Region Upstate New York und dem nördlich gelegenen Vermont gewütet. Für viele ein Beleg. Nur für was eigentlich? Intensität und Verlauf eines Hurricans können nur schwer berechnet und höchstens über das Potential des Sturms prognostiziert werden. Dass das National Hurricane Center also trotz abflauender Irene nach wie vor am oberen Ende des Vorstellbaren ansetzte, zeugt eher von Verantwortungsbewusstsein denn Panikmache.

Irene And The City - Sturmblog

Bürgermeister Doomberg?

Aber gut, es gibt noch immer die Politiker, die man für ein verpatztes Wochenende verantwortlich machen kann. Bloomy doomy! Und ja, es ist davon auszugehen, dass sich die zuständigen Verantwortungsträger gern und durchaus eitel als Herren der Lage gerieren, als Chief Executives im Katastrophenfall. Aber werden sie nicht genau dafür in diese Positionen gewählt? Oder soll man besser gar nichts aus der jüngeren Geschichte lernen, um es mit Katrina zu sagen, und einer korrupten Stadtverwaltung mit Privatwohnungen in den höher gelegenen Quartieren und einem Beobachterpräsidenten vertrauen? Der New Yorker Katastrophenplan wurde bereits 2006 in Reaktion auf den berüchtigten Hurrican entwickelt, der New Orleans beinahe von der Landkarte gespült hätte und setzt einen Automatismus in Gang, der sich entlang verschiedener Richtwerte und Entwicklungen hantelt.

Dass in NYC keine Menschenleben zu beklagen waren, verdanken wir also nicht nur den unberechenbaren Launen eines Hurricanes, sondern auch einer Stadtregierung, die mit Umsicht gehandelt hat.

So ohne war das übrigens auch wieder nicht, was sich hier abgespielt hat. Es erscheint bloß in Anbetracht der übrigen Verwüstungen zu recht etwas bescheiden.

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Media - Blowing In The Wind

Und die Medien? Katastrophenbewirtschaftung statt Journalismus? Deppenbilder von ReporterInnen in Regenmänteln „on location“`? Kampfrethorik? Sichtlich erregte Wettermänner vor Vulva-gleichen Modellen auf Touch-Screens? Thementunnel und überproportionale Fixierung auf die Achtmillion-Metropole - zufällig noch immer Medien-, Finanz- und Kulturwelthauptstadt? Geschenkt, klar, aber auch ziemlich relativ, weil man ja neben dem Gehype auch gut gewarnt und informiert wurde. Wer nur Anderson Cooper zur Verfügung hat, ist natürlich arm dran. Aber selbst bei CNN, das sich gestern ausgerechnet via Piers Morgan zu einer Verteidigungsshow bezüglich der Irene-Berichterstattung genötigt sah, konnte man parallel zu den Ereignissen stets erfahren, dass der Sturm an Fahrt verloren hat, dass sein Verlauf nicht hunderprozentig vorausgesagt werden kann, dass auch andere Gebiete betroffen sind, wie etwa hier nachzulesen ist . Es liegt halt nicht nur im Auge des Hurricanes sondern auch des Betrachters.

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Snowzilla & Heatageddon

Zugegeben, auch ich mach mich immer wieder lustig über die mediale Wetterhysterie meines Gastlandes. Andererseits ist den Amis die Naturskepsis tief in die Seele eingeschrieben. Seit Pioniertagen wird sie als zu bändigender Feind betrachtet, der einem großen Respekt und mörderische Anstrengungen abnötigt. Die Naturvorstellung ist also konträr zum verkitschten Bild, das sich in Österreich durchgesetzt hat - durch die Romantik, die Nazis und schlussendlich die manipulativen Kniffe, die die Nazis aus der Geschichte wegzuzaubern. Und es ist ja dann auch so, dass die Elemente den Geist der US-amerikanischen Extreme widerspiegeln. Allein in den letzten zwölf Monaten hatten wir es in New York mit einem waschechten Tornado zu tun, dann schlug Snowzilla zu, später die ärgste Hitzewelle seit Ewigkeiten, ein kleines Beben vergangene Woche und schließlich Irene. Wen wundert es da noch, dass man sich vorbereitet und anschließend relativ gelassen zur Tagesordnung übergeht, wenn es nicht so schlimm gekommen ist?

Hurricane Irene, New York

Christian Lehner

Die Fotos stammen übrigens von einem Spaziergang duch meine Hood gestern Nachmittag. Clinton Hill (der Name!) und der angrenzende Teil von Fort Greene (der Name!) lagen außerhalb der Evakuierungszonen. Hier war man also sicher. Beide Gebiete wurden kein einziges Mal in den Medien erwähnt, es gab hier keine Sturmreporter und Katastropheneinsätze. Dennoch fällte Irene beinahe an jedem Block einen Baum - und das waren ihre milden Taten. Irgend jemand hat im FM4-Facebook Forum in Bezug auf New York geschrieben, dass höchstens ein paar Menschen auf ihre Yogastunden verzichten mussten. Stimmt genau! Gottseidank sind diese Menschen zu Hause geblieben.